Nach mehr als zwei Jahrzehnten blinden und verschwenderischen Wachstums will die Führung in Peking den Schutz der natürlichen Ressourcen und ihren sparsamen Verbrauch zum alles entscheidenden Kriterium machen.
Umweltfreundliches Handeln müsse «zur zweiten Natur jedes Unternehmens, jedes Dorfes, jeder Organisation und jedes einzelnen Mitglieds der Gesellschaft werden», ruft Regierungschef Wen Jiabao den 3000 Delegierten am Montag über ein großes Blumengesteck mit rosafarbenen Lilien auf dem Rednerpult zu.
Vor den Türen der Großen Halle des Volkes pfeift ein ungewöhnlich eisiger Wind über den Platz des Himmlischen Friedens. Temperaturen von weit unter Null sorgen für die seit Jahren kälteste Plenartagung des Volkskongresses. Der schwerste Schneesturm, den Nordwestchina seit mehr als einem halben Jahrhundert im März erlebt hat, fegt über die Region hinweg und unterbricht die Strom- und Wasserversorgung für Millionen. Experten warnen, dass der weltweite
Klimawandel noch ganz andere
Wetterextreme bringen wird. China selbst drohen heftige Regenfälle, schlimme Taifune, Dürre, Sandstürme und Wüstenbildung.
Obwohl der Ministerpräsident über weite Strecken seines mehr als zweistündigen Rechenschaftsberichts eine Verringerung der Schadstoffe und einen sparsameren Umgang mit Energie propagiert, erwähnt er nirgendwo den Klimawandel. Dabei wird das Milliardenreich als größter Kohle-verbraucher der Welt die USA als größter Kohlendioxidproduzent schon 2009 und damit fast ein Jahrzehnt früher als bisher erwartet überholt haben. Wenn der weltweite Kampf gegen die
Erderwärmung überhaupt Erfolg haben soll, müsse die viertgrößte Wirtschaftsmacht mitmachen, argumentieren westliche Experten und Politiker.
Doch von den Verpflichtungen im Kyoto-Protokoll ist China als Entwicklungs-land ausgenommen. Beharrlich lehnt China heute eine Begrenzung seiner
Treibhausgase ab, weil es eine Verlangsamung seiner Entwicklung befürchtet. Zuerst seien die entwickelten Länder am Zuge, wird argumentiert. Nicht zu Unrecht. Selbst Umweltschützer verweisen darauf, dass die reichen Staaten heute für rund 80 Prozent der in der Atmosphäre angesammelten Treibhausgase verantwortlich sind. Und obwohl die USA nur fünf Prozent der Weltbevölkerung stellen, sind sie für ein Fünftel des Kohlendioxidausstoßes verantwortlich.
Doch schon aus Eigeninteresse räumt Chinas Regierungschef der Drosselung des Energieverbrauchs und dem Umweltschutz jetzt höchste Priorität ein. Die Umweltschäden in China sind mit schätzungsweise zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes so groß wie Chinas Wirtschaft jedes Jahr wächst. Die Luft in den Städten lässt sich nur schwer atmen. Das Wasser vieler Flüsse lässt sich nicht trinken. Viele Menschen erkranken an Krebs. In der Produktion wird in China drei Mal soviel Energie wie im Weltdurchschnitt verbraucht.
Ein solches Wirtschaftswachstum ist nicht durchzuhalten. Wen Jiabao zieht eine ernüchternde Bilanz. Der Ausstoß der Schadstoffe habe 2006 noch wieder zugelegt, obwohl er um zwei Prozent reduziert werden sollte. Das Ziel, vier Prozent weniger Energie zu verbrauchen, sei ebenfalls verfehlt worden. Wen Jiabao macht sich keine Illusionen, dass er noch einen weiten Weg vor sich hat, bevor ein Umdenken erreicht ist. «Es dauert seine Zeit, bis die entsprechende Politik und die Maßnahmen die gewünschten Ergebnisse liefern.» (dpa)