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09.05.2022 | 15:12 | Rotwildbestand 

Jäger und Wissenschaftler sorgen sich um Bestand des Rotwildes

Wiesbaden/Gießen - Das wachsende Straßennetz und die Zersiedlung der Landschaft bringen Wildtiere in Hessen zunehmend in Bedrängnis.

Rotwildbestand
Sterben in Hessen schon bald die Rothirsche wegen Inzucht aus? Forscher der Uni Gießen kommen in einer Studie zu alarmierenden Ergebnissen - und fordern mehr Freiraum für die majestätischen Tiere. (c) proplanta
Aktuell schlagen Wildbiologen der Gießener Justus-Liebig-Universität wegen Inzuchtproblemen beim Rotwild Alarm: Weil Straßen ihren Lebensraum einengen oder durchschneiden, werden die Populationen zunehmend voneinander separiert und kleiner. Die Widerstandsfähigkeit gegen Umwelteinflüsse und Krankheiten lässt nach, auch Missbildungen sind die Folge. Auch der Landesjagdverband warnt bereits vor dem Zusammenbruch ganzer Populationen in einigen Regionen.

Der ausgewachsene Rothirsch ist mit einer Schulterhöhe von bis zu 1,50 Metern und einem Gewicht von maximal 250 Kilogramm das größte heimische Wildtier. Der Name leitet sich vom rotbraunen Sommerfell ab, im Winter ist es graubraun. Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Gießener Wildbiologe Gerald Reiner mit hessischem Rotwild:

«In einem Drittel der Gebiete im Bundesland müssen wir uns aufgrund mangelnder genetischer Vielfalt ernsthaft um den mittelfristigen Erhalt dieser Art als gesunde Populationen sorgen», mahnt der Professor. Zwischen den rund 20 Rotwildgebieten in Hessen gebe es keinen oder nur mangelhaften Austausch, da vor allem die Hirsche kaum von einem Gebiet ins andere wandern könnten. Das liegt unter anderem daran, dass eine Autobahn eine kaum überwindbare Hürde für die Tiere ist.

Mit der fortschreitenden Inzucht fehle dem Rotwild die Möglichkeit, sich evolutionär anzupassen, warnt Reiner. Schadhafte Gene, die beispielsweise zu Missbildungen führen, könnten sich in der Population ausbreiten. In Hessen seien bereits sechs Kälber entdeckt worden, die einen verkürzten Unterkiefer haben, berichtet der Wildbiologe. Die Tiere sterben zwar nicht direkt an diesem genetisch bedingten Handicap, könnten sich aber deutlich schlechter entwickeln.

«Die Rotwildgebiete müssen wieder verbunden werden», fordert Reiner. Dazu müsse das Netz aus Wildbrücken so ausgebaut werden, dass die einzelnen Biotope miteinander verbunden sind. Das käme auch anderen Tieren zugute, beispielsweise Fledermäusen, die Autobahnen nur über Grünbrücken queren. Außerdem müsse wanderndes Rotwild von der Bejagung ausgenommen werden.

Dafür spricht sich auch der hessische Landesjagdverband aus. Ein Erlass aus dem Jahr 2020, wonach die Einrichtung von Wanderkorridoren für Rotwild erlaubt wurde, sollte aus Sicht des Verbandes möglichst zügig umgesetzt werden. Bisher gilt: Wenn eines der Tiere sich aus einem Rotwildgebiet hinaus bewegt, ist es praktisch zum Abschuss freigegeben. Aus Sicht der Jägerschaft wäre es aber sinnvoll, gerade junge Hirsche auf Wanderschaft zwischen drei und sieben bis acht Jahren von der Bejagung auszunehmen - damit sie in anderen Populationen für Nachwuchs sorgen und so ihre Gene einbringen können.

Dazu hatte der Verband kürzlich auch eine entsprechende Anfrage an das hessische Umweltministerium gerichtet, das sich für eine wissenschaftliche Begleitung beim Festlegen der Wanderkorridore ausspricht. Hierzu solle eine «Wildbiologische Forschungsstelle» eingerichtet werden, was bereits weit fortgeschritten sei, so das Ministerium. Diese werde sich auch dem Thema Verknüpfung der Lebensräume widmen.

Fachleute fürchten allerdings, dass die Zeit davonläuft: «Die Inzucht schreitet ja mit jeder Brunft weiter voran», sagt Markus Stifter, Sprecher des Landesjagdverbandes. Zudem gebe es längst für viele Rotwildgebiete Lebensraum-Gutachten, die von den jeweiligen Hegegemeinschaften ehrenamtlich erstellt wurden. Unter dem aufrüttelnden Titel «Hessens Wälder ohne Hirsche» hat Stifter einen Film erstellt, mit dem er auf die besorgniserregende Entwicklung aufmerksam machen will.

Verschärft werde die Problematik durch strikte Abschussvorgaben für das Wild, um die von Trockenheit und Stürmen geschädigten Waldflächen nach Wiederaufforstung vor Verbiss zu schützen. Dadurch würden die Bestände weiter dezimiert, mahnt der Sprecher.

Auch bei den Wildbrücken sehen die Experten Nachholbedarf. So gab es nach einer Aufstellung der Straßenbehörde Hessen Mobil im Jahr 2019 ganze fünf Grünbrücken an Autobahnen und Bundesstraßen im Bundesland, drei weitere befanden sich seinerzeit im Planfeststellungsverfahren.

Hinzu kamen sechs damals bereits vorhandene Überflughilfen für Fledermäuse und weitere fünf Überflughilfen in der Planfeststellung. Zum Vergleich: Hessen wird alleine von 3.000 Kilometern Bundesstraßen durchzogen.
dpa/lhe
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