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12.11.2022 | 05:09 | Vor 50 Jahren 

Jahrhundertsturm Quimburga befeuerte moderne Waldwirtschaft

Hannover / Braunlage - Vor 50 Jahren fegte das Orkantief «Quimburga» über Niedersachsen und Europa.

Sturmschäden
Vor 50 Jahren sorgte der Orkan «Quimburga» in Europa für Verwüstung. Dutzende Menschen starben allein in Niedersachsen. Gleichzeitig ist der Sturm die Geburtsstunde vieler Aspekte der modernen Waldarbeit. (c) proplanta
Allein in dem nördlichen Bundesland starben 21 Menschen durch den Sturm am 13. November 1972, wie die Niedersächsischen Landesforsten mitteilten. Auf das Leid folgten zahlreiche neue Ansätze, von denen viele noch heute bei der modernen Forstwirtschaft eine Rolle spielen.

Damals wurde vor allem das niedersächsische Flachland bei Oldenburg und der Lüneburger Heide in Mitleidenschaft gezogen. Aber auch im Harz oder Solling stürzten zahlreiche Bäume um. «Quimburga» - von der Bevölkerung als Jahrhundertsturm bezeichnet - entwurzelte laut den Landesforsten auf etwa 100.000 Hektar Bäume. Das entsprach etwa 10 Prozent der niedersächsischen Waldfläche.

«Das waren teilweise Mondlandschaften. In Braunlage gab es zudem drei Tage lang keinen Strom», sagte der Sprecher der Landesforsten für Südniedersachsen, Michael Rudolph. Bis zu zwei Jahre hätten die Aufräumarbeiten gedauert. Laut dem Landwirtschaftsministerium wurden Windgeschwindigkeiten von bis zu 170 Kilometern pro Stunde erreicht, ehe die Messgeräte abbrachen.

Durch Unterstützung aus Schweden und Österreich seien zwar auch Vorläufer der modernen automatisierten Harvester-Erntemaschinen zum Einsatz gekommen. Aber: «Vieles musste noch per Hand und mit Pferden geräumt werden.» 22 Menschen seien bei den Aufräumarbeiten umgekommen. Oft wegen schlechter Ausrüstung oder Unerfahrenheit.

Auch deshalb habe sich innerhalb der vergangenen 50 Jahre viel beim Thema Arbeitssicherheit getan. «Bis dahin kaum eingesetzte Sicherheitskleidung wurde zur Pflicht», sagte der Vizepräsident der Niedersächsischen Landesforsten, Klaus Jänich. Zudem wurden Frühwarnsysteme entwickelt.

Auch in der Ausbildung werde nun stärker auf Sicherheit im Wald eingegangen. «Da geht es darum, wie ich mich vor, während und nach einem Sturm verhalte», sagte Rudolph. «Heute hätte so ein Sturm vermutlich nicht mehr die gleichen Auswirkungen.»

Aufgrund der Menge des umgeworfenen Holzes kam es 1972 zu einer der ersten Anwendungen des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes. Damit regelte die Bundesregierung, dass im vom Sturm nicht betroffenen Süddeutschland weniger bis gar kein Holz geerntet werden durfte, um den Markt nicht zu übersättigen, erklärte Rudolph. Auch heutzutage werde nach jedem Sturm geprüft, ob das Gesetz wieder angewendet wird.

Dennoch dauerte es Jahre bis das gesamte Sturmholz abtransportiert war. In Niedersachsen wurden deshalb erstmals sogenannte Nasslager errichtet. Dort wird Holz regelmäßig beregnet, um es länger haltbar zu machen. In Folge des Sturmes Friederike im Jahr 2018 und des Borkenkäferbefalls liegt auch derzeit wieder gefälltes Holz in Nasslagern.

Auch das letztlich 1991 begonnene niedersächsische Landesprogramm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung («Löwe+») habe seine Ursprünge in «Quimburga» - auch wenn die Brände in der Lüneburger Heide oder das Waldsterben in den 1970er und 1980er Jahren ebenfalls eine Rolle spielten.

Löwe+ sieht unter anderem den Umbau der niedersächsischen Wälder in Mischwälder vor. Ziel ist laut Landesforsten, den Lebensraum Wald zu erhalten und auch künftig den Rohstoff Holz zu produzieren.

An vielen Orten wurden nach 1972 bereits die oft von Nadelbäumen dominierten Forsten durch Mischwälder mit mehr Laubbäumen wie tiefwurzelnden Eichen ersetzt. Zudem wurde bei der Wiederbepflanzung vielerorts darauf geachtet, Wälder stufig anzulegen. Also: Höhere Bäume weiter im Waldinneren zu pflanzen, um den Wind wie mit einer Rampe nach oben abzulenken.

Ein Problem bei der Umsetzung dieser Lehren ist die zunehmende Häufigkeit starker Stürme. «Waldentwicklung ist ein langsamer Prozess. Früher dachte man, so ein Sturm kommt nur alle hundert Jahre», sagte Landesforsten-Sprecher Michael Rudolph.

Gerade in Bergbauregionen wie dem Harz wurde bei der Wiederaufforstung allerdings weiter auf Fichten und andere Nadelbäume gesetzt. Denn: Für die Arbeit in den Gruben wurde viel Holz benötigt und Fichten wachsen schnell.

«Außerdem hat man nicht so viel Vertrauen in Laubbäume gehabt, unter anderem wegen der damals noch kälteren Winter», erklärte Rudolph. Eine Entscheidung, die rückblickend falsch erscheint. Schließlich ist es gerade die monotone Baumbepflanzung, die es dem Borkenkäfer im Harz leicht macht, ganze Bergwälder abzutöten. Fünfzig Jahre nach «Quimburga» wird im Harz deshalb wieder aufgeforstet - dieses Mal mit Mischwäldern und Laubbäumen.
dpa/lni
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