In Hessen wurden nach Zahlen des Statistischen Landesamtes 2018 rund 14 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle entsorgt. Davon wurden rund
5,7 Millionen Tonnen in Behandlungsanlagen recycelt. Burkhard Siebert, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes Hessen-Thüringen, ist das zu wenig. «Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir nicht mehr alle Projekte realisieren können. Es wird immer teurer, und wir belasten unsere Umwelt immer mehr.»
«Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit stammen aus dem Bausektor», ergänzt Helena Fischer, Geschäftsführerin der Regionalgruppe Nordhessen des Verbandes. Nachhaltiges Bauen und eine möglichst hohe Recyclingquote bei Rohstoffen seien bedeutende Hebel, um den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken und Ressourcen zu schonen. Im Moment lande der größte Teil der Bau- und Abbruchabfälle im Unterbau von Straßen oder direkt auf der Deponie.
«In der Verwertung von Bauabfällen gibt es noch zu viele Hemmnisse», sagt Siebert. Er fordert, dass Recyclingbaustoffe bei Ausschreibungen berücksichtigt werden. Der Recyclinggedanke solle bestenfalls bereits bei der Planung einbezogen werden, meint Fischer: «Welche Stoffe setzt man ein? Wie lang ist deren Lebensdauer? Wie kann man sie nach einem Abbruch wiederverwerten?»
Es brauche intelligente Ansätze, bei denen nicht die Entsorgung, sondern die Verwertung im Vordergrund stehe. Schließlich seien
Rohstoffe wie Bausand, der unter anderem als Zuschlag von Beton und Mörtel eingesetzt wird, keine unendliche Ressource, erklärt Siebert.
Das betont auch Volker Thome, Leiter der Abteilung Mineralische Werkstoffe und Baustoffrecycling beim Fraunhofer-Institut für Bauphysik. «Weltweit werden jährlich etwa 50 Milliarden Tonnen Bausand verbaut», erklärt er. «Schon heute gibt es Länder, denen es daran mangelt.» Der Rohstoff müsse daher dort herausgeholt werden, wo er anfalle, nämlich in Bauschutt. Bisher fehle es allerdings an einem Verfahren, um ihn im großindustriellen Maßstab zurückzugewinnen.
Im Projekt «Favre» (Fragmentierungs-Anlage für Verbundwerkstoff-Recycling) arbeiten Thome und sein Team daher an einem solchen Verfahren. Mit ultrakurzen elektrischen Impulsen zerlegen sie Altbeton in seine Bestandteile und bereiten ihn so auf, dass die Bestandteile als klimafreundliche und ressourcenschonende Ersatzstoffe für die Zementherstellung zur Verfügung stehen. «Das Verfahren fördert die Ressourceneffizienz und hat denselben Energieverbrauch wie etablierte Aufbereitungsmethoden.»
Die neue Anlage könne auch schwierig aufzubereitende Verbundmaterialien wie Stahlbeton fragmentieren, die sich mit den heute üblichen mechanischen Aufbereitungsmethoden nicht vollständig zerlegen ließen. Bei gesicherter Finanzierung könne das patentierte Verfahren in drei Jahren zur Marktreife gebracht werden.
Möglichst viele Rohstoffe wiederzuverwerten, um Ressourcen zu schonen und
Abfall zu verringern, das ist auch das Ziel eines Pilotprojektes der Nassauischen Heimstätte Wohnungs- und Entwicklungsgesellschaft (NHW). «Die Baustoffindustrie ist für 40 Prozent des gesamten Müllaufkommens verantwortlich», sagt Fachbereichsleiter Robert Lotz. Qualitätsprodukte mit hoher Lebensdauer, die noch nicht am Ende ihres Lebenszyklus seien, würden entsorgt.
Bei der Aufstockung zweier Wohnhäuser in Kelsterbach im Kreis Groß-Gerau hat die NHW jetzt solche Wertstoffe wiederverwendet. «Wir haben unter anderem Dachsparren aus einem Abriss zu Holzrahmenbauwänden verarbeitet und Fenster sowie Innentüren aufbereitet und wieder verbaut», berichtet Lotz. Auch Fassadenplatten, Fallrohre, Fensterbänke und Schalter seien wiederverwendet worden, ebenso eine Dachfolie.
Alle Materialien seien auf Tauglichkeit untersucht und in der gleichen Gebäudeklasse wiederverwendet worden. «Wir sind bei der Sicherheit keine Kompromisse eingegangen», betont der Architekt. Die Wertstoffe, die in Deutschland verbaut würden, seien so sicher, dass sie ohne Probleme weiterverwendet werden könnten.
Die Kosten sind Lotz zufolge sogar unter denen eines Neubaus geblieben. Zusätzlich habe man CO2-Emissionen verringern und Primärenergie gespart. Das Projekt zeige: «Die Möglichkeiten sind da, wir müssen nur den Mut haben.»