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06.10.2018 | 15:29 | Regenwaldschutz 

Mit dem Kauf eines Medizinbaums Regenwald retten

Tamshiyacu - Francisco Guerra Tananta blickt nach oben in das Blätterdach. Er wirkt klein und zerbrechlich neben dem Urwaldriesen.

Regenwaldschutz
Regenwald oder Kakao-Plantagen? In Peru kämpft ein kleiner Verein gegen das Abholzen in der Amazonasregion. Der Gegner: ein Agrarunternehmen der Schokoladen-Branche. (c) proplanta
Seine Hand liegt auf der Rinde des Baumes, seine Augen sind geschlossen. Die letzten Kilometer durch den Dschungel in Peru waren anstrengend, heute ist es wieder sehr heiß und feucht. Aber der lange Marsch hat sich gelohnt, er hat einen Kapokbaum gefunden. Im Amazonasgebiet werden diese Giganten als Medizinbäume bezeichnet, ihnen werden heilende Kräfte zugesprochen.

Das Holz ist fest und glatt. Viele Meter über dem Boden beginnt die majestätische Krone. Francisco Guerra Tananta strahlt, für ihn besitzt dieser Baum einen ideellen Wert.

Andere Menschen sehen das komplett anders: Das Holz lässt sich teuer verkaufen. Das ist einer der Gründe, aber nicht der Hauptgrund, warum an diesem entlegenen Ort gerodet wird. In erster Linie mussten hier in den vergangenen Jahren viele Bäume weichen, weil mehr Kakao angepflanzt werden soll.

Die Früchte der Kakaopflanzen ähneln in der Form einem American Football. Aus den Samen der Frucht werden Kakaomasse und Kakaobutter gewonnen, die zentralen Bestandteile von Schokolade. Braune und weiße Tafeln, Pralinen, Mousse au Chocolat, Schokokuchen und Schokoeis - Deutschland gehört weltweit zu den Hochburgen der Schokoladenesser. Ein Teil der Kakaobohnen dafür kommt aus Südamerika, auch aus Peru - Tendenz steigend.

Land kaufen, um es zu schützen



Vor 56 Jahren wurde Francisco Guerra Tananta am Amazonas geboren. Er ist Mestize, wie viele Menschen in Loreto, der flächenmäßig größten Region Perus. In Loreto fließen die Quellflüsse Marañón und Ucayali zusammen und bilden den Amazonasstrom. Seine Vorfahren waren Indigene, Spanier und japanische Einwanderer.

Seit Generationen leben sie hier, in einem Land geprägt von Wasser und Wald. Früher ist er viel gereist und hat an verschiedenen Orten Perus gearbeitet. Europa hat er auch besucht, aber die Enge und Hektik machten ihm schnell zu schaffen. Dann wollte er nur noch eins: zurück in den Wald.

Der Kapokbaum steht auf einem Stück Land, das ihm von einem Bauern zum Kauf angeboten wurde. Guerra Tananta möchte es für die Organisation ACELPA - Asociación Civil el Puente de la Amistad (Bürgervereinigung Brücke der Freundschaft) erwerben.

Der gemeinnützige Verein wurde von ihm und seiner deutschen Partnerin Angelika Maria Kotzur vor acht Jahren gegründet. Die ursprüngliche Idee war, Kindern aus armen Familien eine Ausbildung zu ermöglichen. Mit der Zeit verlagerte sich die Arbeit in Richtung Umweltschutz. ACELPA kauft Regenwald, um ihn vor der Abholzung zu schützen.

Die Abholzung begann in der Nacht



«Sie kamen mitten in der Nacht und begannen, mit ihren Motorsägen die Bäume zu fällen», erzählt Angelika Kotzur. Die 55-Jährige war da, als Arbeiter im Auftrag eines Kakaoproduzenten den Wald zu roden begannen, nur ein paar Kilometer von ihrem Camp im Dschungel entfernt. Hinter der Aktion stand das Unternehmen United Cacao mit registriertem Firmensitz auf den Kaimaninseln, das zwischenzeitlich in eine Krise schlitterte.

Nie hätte sie erwartet, dass so weit in der Natur die Planierraupen vor der Tür stünden, sagt Angelika Kotzur. Am Anfang waren da viel Wut und Verzweiflung, mit den Jahren kam der Pragmatismus. Ihre grauen Augen blicken ernst, während sie vom Abholzen erzählt. Die Ravensburgerin ist in der Gegend dafür bekannt, dass sie sich einmischt. «Wir mussten etwas tun.

Allein können wir den Wald nicht schützen. Nur wenn die Menschen hier den Wald wertschätzen und als ihre Lebensgrundlage begreifen, werden sie sich für ihn einsetzen.»

Die Heilpraktikerin kam vor acht Jahren aus Deutschland der Liebe und der Arbeit wegen nach Peru. Guerra Tananta und sie bauten ein Camp mit Holzhütten im Wald, um europäischen Gästen traditionelle Heilarbeit anzubieten. Nachdem die Rodungen 2012/2013 begannen und Hunderte Hektar Wald verschwanden, war ihnen klar: Es musste etwas passieren.

Sie konnten den Verein Rettet den Regenwald und die Zukunftsstiftung Entwicklung bei der GLS Treuhand - als Teil der sozial-ökologischen GLS-Bank - überzeugen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. «Gezielt bestimmte Regenwaldflächen zu kaufen, ist ein probates Mittel, Natur zu bewahren», sagt Reinhard Behrend, Vorsitzender von Rettet den Regenwald in Hamburg. «Entscheidend ist, den Wald nach dem Kauf dauerhaft zu schützen. Dazu ist es sehr wichtig, die Einwohner vor Ort in das Projekt einzubinden.»

Der Amazonas: Bedrohter Lebensraum



Obwohl der Kakaobaum wohl aus Südamerika stammt, spielt der Kontinent im weltweiten Kakaoanbau noch eine relativ kleine Rolle, verglichen etwa mit der Elfenbeinküste und Ghana. Die beiden afrikanischen Länder produzieren zusammen über die Hälfte des globalen Rohkakaos. In beiden Ländern sind auch durch den Kakaoanbau die Wälder stark geschrumpft. Mittlerweile haben Kakaoproduzenten ein Auge auf Südamerika geworfen, besonders auf Peru.

Im Jahr 2007 wurden aus Peru über 4.000 Tonnen exportiert. Neun Jahre später waren es fast 62.000 Tonnen, die 15-fache Menge. Umweltschützer sind deshalb besorgt. Sie sehen die Regenwälder im Amazonasgebiet durch den Kakao-Boom bedroht.

Im Wald erläutert Guerra Tananta seinen Gästen die Funktion eines Medizinbaums. «Der Baum ist etwas Besonderes. Er wacht über diesen Ort und gibt der Umgebung und den Lebewesen Kraft», sagt der 56-Jährige. Er nickt seinen Begleitern zu, um zu signalisieren, dass es weitergeht. Die Gruppe wird noch einige Kilometer laufen, um einen guten Überblick über das Stück Land zu bekommen.

Neben dem Einsatz für den Umweltschutz arbeitet Guerra Tananta als traditioneller Heiler - so wie seine Eltern. Menschen kommen zu ihm, um Körper und Seele behandeln zu lassen. Als Kind ging er mit seiner Familie in den Dschungel, um zu jagen, fischen und Heilpflanzen zu finden.

Aber auch, um in die Mysterien des Waldes einzutauchen. Für die Einheimischen war der Wald sowohl Lebensgrundlage als auch ein Ort voller Geheimnisse und Magie. In einer globalisierten Welt und dem damit oft verbundenen Schwinden traditioneller Lebensweisen verliert er seine spirituelle Bedeutung.

In Sachen Umweltschutz rennt die Zeit



Guerra Tananta bahnt sich in Gummistiefeln den Weg durch Schlamm, Gestrüpp und Lianen, er steigt über zahllose Ameisenstraßen. Wo es nicht weiterzugehen scheint, schlägt er mit der Machete den Weg frei.

Die Luftfeuchtigkeit liegt bei fast 100 Prozent, die Temperaturen steigen über 30 Grad. Bewegung und Arbeit - das kostet Energie, vieles wirkt im Vergleich zu Europa entschleunigt und langsam. Aber in Sachen Umweltschutz rennt die Zeit.

2014 startete das kleine Regenwald-Schutzprojekt mit dem Kauf von 30 Hektar Wald - unterstützt aus Deutschland. «Wir wollen so viel Land wie möglich kaufen, um es für die Region zu erhalten und es zu schützen», beschreibt Francisco Guerra Tananta das Ziel. Mittlerweile gehören dem Verein über 300 Hektar.

Nicht endgültig geklärt ist indes, ob die Abholzung der Kakao-Firma legal war. Im peruanischen Gesetz ist es verboten, sogenannten Primärwald für die industrielle Landwirtschaft zu roden.

Umweltverbände sind sich sicher, dies sei geschehen. Sie beziehen sich auch auf Satellitenbilder. Der Konzern hingegen erklärte in dem Streit mit den Verbänden, das Land sei größtenteils schon vorher landwirtschaftlich genutzt worden, womit die Schutzvorschriften entfielen.

Pro 50 Hektar Land, also für eine Fläche von etwa 70 Fußballfeldern, soll das Kakao-Unternehmen ungefähr 5.000 peruanische Soles bezahlt haben - umgerechnet etwa 1.200 Euro, berichten Umweltschützer. Die Menschen hier sind arm, für sie ist das viel Geld.

Eine dpa-Anfrage an eine Kontaktadresse der Kakaofirma zu dem Sachverhalt blieb unbeantwortet. Wobei das Unternehmen 2017 die Führung wechselte und es Berichte über finanzielle Probleme gab - die Umweltschützer jedoch ein Weiterlaufen der Plantage feststellen.

Die Anbaufläche liegt ein paar Kilometer östlich von Tamshiyacu und umfasst wohl mindestens 2.000 bis 3.000 Hektar. Auf Bildern bei Google Maps ist das Ausmaß der Rodung gut zu erkennen: ein ausgestanztes Feld mitten im Dschungelgrün.

Die Kleinstadt Tamshiyacu mit etwa 6000 Einwohnern befindet sich direkt am Ufer des Amazonas. Eingebettet im Dschungel, ungefähr 50 Kilometer stromaufwärts von Iquitos entfernt, dauert es eine Stunde per Boot, bis man am Steg anlegt. Hier hat der kleine Öko-Verein seinen Sitz.

Fast alle Häuser im Ort sind in einfacher Holzbauweise konstruiert, die Dächer bestehen aus Palmblättern, zunehmend aber auch aus Wellblech. Es gibt Strom, das Abwasser wird in den Fluss geleitet. Die Haupteinkommensquellen der Menschen sind Landwirtschaft und Fischfang.

Im Kakaoanbau sehen manche im Ort für sich wirtschaftliche Möglichkeiten, etwa durch die Arbeiter von außerhalb, die in Tamshiyacu einen Teil ihres Lohnes lassen. Andere stellen die Probleme nach vorne, die die Kakaoplantage bringt.

Rudolf Steiner im Dschungel



Angelika Kotzur legt sich ihr Tuch über Kopf und Schultern, um sich vor der Sonne zu schützen. Sie hat Gummistiefel an, sie sind auch Schutz vor giftigen Tieren wie Spinnen und Schlangen. Sie kommt gerade aus dem nahen Tamshiyacu, um einen biologisch-dynamisch bewirtschafteten Acker, einem weiteren Projekt von ACELPA, einen Besuch abzustatten.

In Deutschland bekommen Produkte, die biologisch-dynamisch angebaut werden, üblicherweise ein Demeter-Siegel. Demeter-Produkte finden sich etwa in Bioläden. Begründet wurde diese Art von Landwirtschaft von Rudolf Steiner, dem Vater der Anthroposophie und der Waldorfschulpädagogik.

Auf dem Feld wachsen Yucca, Bananen, Ananas und andere Gemüse- und Obstsorten durcheinander. Was chaotisch aussieht, hat System. Die Mischung aus verschiedenen Arten soll gesundes Wachstum bringen. Als Gegenstück einer Monokultur, etwa wie bei Kakaoplantagen. «Wir hoffen die Bauern zu überzeugen, ihr Land auf ökologischere und ertragreichere Art zu bewirtschaften, damit sie es nicht an die Industrie verkaufen», fasst Kotzur ihr Anliegen zusammen.

Auch Silvia del Aguila Reyna gehört zum Team. Die 42-Jährige hat Forstwissenschaft in Iquitos gelernt und kommt regelmäßig zu dem Feld. Sie betreut dort Bienenstöcke. Nachher wird sie ein paar Pflanzensetzlinge in der Erde eingraben. Sie sollen zwischen Ananas und Yucca wachsen und später für Heilzwecke geerntet werden.

Der Jaguar kommt in der Nacht



Helfen tut ihr Luis Ipushima Silva, Lucho genannt. Der Vorarbeiter und Wächter schärft seine Machete an einem Stein. Er wird heute Abend mit ein paar Hunden die Nacht hier verbringen. Bewacht werden muss nicht nur der Acker, sondern er achtet auch auf die Arbeitsgeräte wie Schaufeln und Sägen. Wobei: Diebe sind nicht die einzige Gefahr, etwa für die Hühner. Seit neustem ist ein Jaguar auf der Pirsch.

«Er dreht zwischen acht Uhr und Mitternacht seine Runden», erzählt der 65-Jährige. Neulich gab es gegen neun Uhr abends großes Gebell. Als er mit Machete und Taschenlampe die Stelle des Aufruhrs erreichte, war das Raubtier verschwunden - und mit ihm einer der Hunde. Der schrumpfende Lebensraum und die Jagdkonkurrenz durch den Menschen machen der Großkatze zu schaffen. Deswegen wagt sie sich immer näher an Siedlungen heran. Ein weiterer Hinweis dafür, dass eines der letzten großen Regenwaldgebiete der Erde in Gefahr ist.

Der Wert des Landes



Vorarbeiter Ipushima Silva und die Forstexpertin del Aguila Reyna gehören zum festen Team von ACELPA, in dem etwa ein Dutzend Leute arbeiten. Für viele ist Umweltschutz ein noch relativ neues Konzept. Wichtig ist ihnen zuerst, dass ihre Familien von dem Land gut leben können. All ihre Anstrengungen sollen zugleich noch mehr Menschen vom Wert ihres Landes überzeugen.

Francisco Guerra Tananta ist mittlerweile mit seinen Begleitern bei sich zu Hause im Camp angekommen. Es war ein langer Tag. Er ist zufrieden. Er wird dem Besitzer des Landes mit dem Medizinbaum ein Angebot machen. Er schaut sich um. Zwischen den Bäumen summen Insekten, manchmal sieht man einen Kolibri. Für ihn ist es das ideale Leben, in und mit der Natur. Dies zu erhalten, ist seine Lebensaufgabe geworden.
dpa
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