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27.05.2017 | 11:18 | Jahrtausendhochwasser 

Simbach - ein Jahr nach der Flut

Simbach am Inn - Glasklar und friedlich plätschert der Simbach durch sein steinernes Bachbett. Das Wasser glitzert im Sonnenlicht. Blauer Himmel, Vogelgezwitscher.

Jahrtausendhochwasser
Ein Jahr ist vergangen, seit eine fünf Meter hohe Flutwelle durch Simbach rauschte, fünf Menschen in den Tod riss und viele Häuser zerstörte. Ruinen zeugen von dem Drama und machen Teile Simbachs zu einer Geisterstadt. Eine Geisterstadt, in die das Leben zurückkehrt. (c) proplanta
Frühlingserwachen in der niederbayerischen Stadt am Inn, die so heißt wie das Bächlein, das vor einem Jahr zur tödlichen Flut anschwoll. Mit dem Frühling zieht in Simbach Aufbruchsstimmung ein.

Fünf Menschen waren in Simbach beim «Jahrtausendhochwasser» gestorben, zahlreiche Häuser waren unbewohnbar geworden. Nach dem ersten Schock und dem großen Schlammschippen ist nun der Wiederaufbau in vollem Gange. Insgesamt kamen bei der Flut sieben Menschen in der Region ums Leben. 

«Ich denke, wir haben noch einige Jahre zu tun, um wieder Normalzustand in Simbach zu haben», sagt Bürgermeister Klaus Schmid (CSU). Der tiefer gelegene Teil Simbachs gleicht einer Geisterstadt.

Bis zu fünf Meter hoch staute sich hier am 1. Juni 2016 das Wasser, nachdem oberhalb der Stadt nach tagelangem Regen der Damm gerissen und die Flut die Straßen hinabgeschossen war.

Nun stehen die Häuser leer. Am Mauerwerk lässt sich ablesen, wie tief sie im Schlamm standen. Die Fenster sind mit Holzplatten vernagelt. Neben den Haustüren sind noch immer blaue Kreuze zu sehen. Mit ihnen hatten die Retter die Gebäude markiert, nachdem sie sie nach Opfern und Überlebenden durchsucht hatten.

Dass Simbach keine Geisterstadt bleiben soll, ist deutlich spürbar. Stadtverwaltung und Bürger setzen alles daran, ihre Stadt wieder aufzubauen. Etliche Häuser sind eingerüstet, auf Bauzäunen prangen Werbetafeln von Handwerksbetrieben. Es wird gebaut, abgerissen, saniert. «Die Situation ist nicht so, wie viele denken, dass wir bereits fertig sind mit allen Arbeiten», sagt Schmid. «Im Gegenteil.» Aber die ersten Anwohner seien in ihre alten Häuser zurückgekehrt, andere in neue umgezogen. «Der Schritt zur Normalität ist da.»

Vom Rathaus zum Bach sind es nur wenige Schritte. Der Bürgermeister geht die Straße hinab, vorbei an leerstehenden Häusern. Am Bachbett stehend erläutert er die Folgen der Flut und die Pläne für den künftigen Hochwasserschutz. Etwa ein Dutzend der zerstörten Häuser entlang des Simbachs kaufte das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf den Besitzern ab.

Die Gebäude werden abgerissen. Das Bachbett soll verbreitert werden, um dem Wasser im Fall des Falles mehr Platz zu geben. Der gebrochene Deich wird erneuert, ebenso Straßen, Kanäle und Brücken. Die Flut hat enorme Schäden hinterlassen.

Die Besitzer seien froh gewesen, überhaupt einen Käufer für die im Flutgebiet gelegenen, zerstörten Häuser gefunden zu haben, sagt Michael Kühberger, Abteilungsleiter beim Wasserwirtschaftsamt. Auch er spricht von einem Langzeitprojekt. «Das ist alles sehr komplex im Stadtgebiet.» Planungen, Genehmigungsverfahren und Ausschreibungen brauchten Zeit. Die neuen Hochwasserflächen sollen zudem nicht nur funktional, sondern auch attraktiv sein, sagt der Bürgermeister. Grünflächen und ein Radweg seien denkbar.

Der Rathauschef ist voller Tatendrang und Zuversicht. Seine große Hoffnung? «Dass wir es irgendwann schaffen, den Gedanken «1. Juni Flutkatastrophe» in den Hintergrund zu schieben in den Herzen und in den Köpfen, damit man wieder ein normales Leben ohne Angst aufbauen kann.» Buchstäblich wie ein Stadtvater versucht er seine Bürger zu ermutigen. Viele habe er besucht, mit ihnen gesprochen und sie direkt aufgefordert, ihre Läden wieder zu öffnen, berichtet er. Bloß nicht aufgeben.

Einer von ihnen ist Vasile Stratulat. Seine Sattlerei war in den Fluten völlig untergegangen. Alles kaputt. Maschinen, Werkzeug, Leder, Sättel, Möbel. Rund 60.000 Euro Schaden. In nur 30 Minuten sei das Erdgeschoss des Hauses komplett mit Wasser vollgelaufen, erinnert sich Stratulat. 2,65 Meter hoch. Als die Schlammwelle kam, hatte er seinen Laden gerade für die Mittagspause geschlossen und war in die darüber liegende Wohnung gegangen. «Alles war wie immer.»

Plötzlich habe er keine Autos mehr fahren gehört, stattdessen komische Geräusche. Als er aus dem Fenster blickte, stand die Straße meterhoch unter Wasser, Autos und Baumstämme schwammen vorbei.

Stratulat ist sichtlich bewegt. Er geht in den Hinterhof und zeigt auf das schwer beschädigte Nachbargebäude. Es müsse abgerissen werden. Durch die offene Türe sieht man Schutthaufen und an der Decke große Risse. «Stopp! Einsturzgefahr» steht an der Wand.

Eigentlich habe er seinen Laden nicht wieder eröffnen wollen, sagt Stratulat. Zu tief saß der Schock. Doch der Bürgermeister habe ihm Mut gemacht. Der Sattler nahm einen Kredit auf und startete neu durch. Das Treppenhaus ist noch Baustelle, aber der Laden ist seit Jahresbeginn wieder am Leben. «Wir gehen weiter», sagt er. «Aber man denkt immer dran. Vor allem wenn es viel regnet, dann schauen wir gleich aus dem Fenster.»

Nicht weit entfernt von der Sattlerei steht eine weitere Wiedereröffnung bevor. Eine Metzgerei nimmt den Jahrestag der Flut zum Anlass für einen Neubeginn: «Es war ein schwieriges Jahr. Und wir sind froh, dass es vorbei ist», sagt Inhaberin Helga Feyrer. Sie hat alle Hände voll zu tun. Handwerker sind mit letzten Einrichtungsarbeiten beschäftigt. Am 1. Juni soll es losgehen.

Andere Geschäftsleute winken ab, wollen über die Flut nicht mehr sprechen. «Es ist ganz unterschiedlich. Jeder verarbeitet es auf seine eigene Art und auf sein eigenes Herz hin», sagt der Bürgermeister. Bei den einen gebe es noch Bedarf, sich die Seele freizureden. Andere wollten nichts mehr davon hören und sehen.

Da ist es hilfreich, dass endlich auch die letzten Schlammberge beseitigt worden sind. 5,3 Millionen Kubikmeter Wasser und Dreck seien durch Simbach geschossen, bilanziert Schmid. Kurz vor dem Jahrestag ist der Schlamm nun raus aus der Stadt. Und eines Tages werden wohl auch die blauen Kreuze von den Hauswänden verschwunden sein, die wie Mahnmale an die Katastrophe vom 1. Juni 2016 erinnern.
dpa/lby
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