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22.06.2010 | 19:36 | Umweltethik  

Unterschiedliche Bilder von der Natur erschweren deren Schutz - Umweltethik hilft, hitzige Debatten zu versachlichen

Santiago de Chile/Leipzig - Das Verhältnis zur Natur hängt nicht 1:1 von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ab. Das schlussfolgern deutsche und chilenische Wissenschaftler aus Befragungen im Biosphärenreservat Kap Hoorn.

Umweltethik
So hätten beispielsweise die Angehörigen der indigenen Minderheit der Yaghan kein einheitliches Bild der Natur, schreiben die Forscher im Fachblatt Ecology and Society. Für die Untersuchung wurden zwischen 2003 und 2006 insgesamt 69 Einwohner von Puerto Williams, einer entlegenen Hafenstadt an der Südspitze Chiles, interviewt. Da die von Naturschutzmaßnahmen betroffenen Anwohner vor Ort keine einheitliche Vorstellung von der Natur hätten, sei es für die Beteiligungsprozesse wichtig, die verschiedenen Sichtweise zu berücksichtigen. Dieses fundamentale Problem werde oft unterschätzt und könne Naturschutzmaßnahmen zum Scheitern bringen, so die Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und der chilenischen Magellan-Universität.

Die Insel Navarino zählt zu den entlegensten Orten der Welt. Die Hauptstadt  Santiago de Chile ist von Navarino etwa so weit entfernt wie die Sahara von Deutschland. In Puerto Williams, der südlichsten Hafenstadt der Welt, leben knapp 2300 Einwohner. Chiles Außenposten am Rande der Antarktis kurz vor Kap Hoorn wurde 1953 als Militärbasis im Grenzkonflikt zu Argentinien gegründet. Seit 1990 verändert sich die Region stark: Das frühere Militärsperrgebiet wurde für die zivile Nutzung freigegeben. So sind beispielsweise Lachsfarmen entstanden und die Region wirbt neuerdings um Touristen. Um die einmalige, ehemals unberührte Natur zu erhalten, wurde 2005 das UNESCO-Biosphärenreservat Kap Hoorn eingerichtet.

Die natürliche Vielfalt ist das besondere Kapital Navarinos. Doch sie kann nur dann langfristig geschützt werden, wenn die Einwohner dies auch unterstützen. Deshalb hat die Leipziger Forscherin Uta Berghöfer die Bewohner nach ihrem Bild von der Natur befragt. Ihre Ergebnisse fließen ein in die Öffentlichkeitsarbeit des Biosphärenreservates, um im Hauptort der Insel über das Ökosystem und deren Bedrohung zu informieren. Für die Forscher war von besonderem Interesse, dass die soziale Herkunft der Bevölkerung in Puerto Williams sehr unterschiedlich ist. Neben Nachfahren des Ureinwohnervolkes Yaghan leben dort heute Siedler mit europäischen Wurzeln, Marinepersonal und deren Familien sowie Beamte, die ebenfalls meist nur wenige Jahre in dem abgelegenen Ort mit einem Klima wie im Norden Norwegens verbringen. Wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erwiesen sich für das Naturbild jedoch Wissen und Aktionen der Einzelnen. „Bei meinen Interviews zeichneten sich drei wesentliche Faktoren ab: Wissensraum (Was weiß ich und woher?), Interaktion mit der Umwelt (Was tue ich und was sehe ich?) und Identität (Wie bin ich mit dem Ort verbunden?)“, erläutert Uta Berghöfer vom UFZ. „Wir vermuten, dass viele Konflikte nicht zuletzt dadurch entflammen, weil die Unterschiede in der Wahrnehmung und Wertschätzung der Natur nicht erkannt werden.“

Die Art und Weise wie Menschen die Natur wertschätzen - also ethische Aspekte -  durchdringen oft unbewusst die meisten Debatten über den Schutz der Biodiversität, weiß auch Prof. Dr. Kurt Jax vom UFZ und der TU München, der ebenfalls an einer Studie zur Akzeptanz des Bibers auf Navarino beteiligt war. Seit den 1960er Jahren haben sich Kanadische Biber dort ausgebreitet, Gewässer angestaut und Ökosysteme durcheinander gebracht. Da der Biber von einigen Biologen und Naturschützern als Bedrohung für die ursprüngliche Natur angesehen wird, wurde ein Ausrottungsprogramm beschlossen. Gleichzeitig stellt der Biber jedoch eine Touristenattraktion dar, ist das heimliche Wappentier und landet auch auf der Speisekarte. „Gibt es also gute und schlechte Biodiversität? Die Frage, welche exotischen Arten unter welchen Bedingungen als erwünscht oder unerwünscht angesehen werden, ist immer eine Frage der Wertung“, sagt Biologe und Naturschutzethiker Jax. „Die Umweltethik kann keine einfachen Antworten geben. Aber sie hilft, den Raum der Argumente zu strukturieren und die Debatte zu versachlichen.“ 

Dazu haben die UFZ-Studien im Süden Chiles beigetragen, die im Rahmen des BMBF-Projekts BIOKONCHIL durchgeführt wurden. Wissen und Werte der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Hinblick auf die biologische Vielfalt wurden analysiert und für Entscheidungsprozesse nutzbar gemacht. Aus diesen Erfahrungen haben die UFZ-Forscher ein Werkzeug entwickelt, welches dazu dienen kann, Konflikte, wie sie häufig im Zusammenhang mit Naturschutzmaßnahmen entstehen, zu vermeiden. „Wir sind überzeugt“, so Kurt Jax, „dass viele Augen viele verschiedene Arten von Natur sehen und das diese verschiedenen Naturen ein wertvolles Erbe der kulturellen und biologischen Vielfalt unserer Welt sind.“ (ufz)
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