Auf Lilaschattierungen in den Radarbildern blickt der Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes (DWD) derzeit mit besonderer Aufmerksamkeit - denn das heißt: viel Feuchtigkeit in der
Luft und bei der entsprechenden Gemengelage eine der Zutaten für
Unwetter mit Starkregen. Reinartz hatte in der vergangenen Woche selbst an den Radarbildern und Rechnermodellen mitverfolgt, wie sich im Westen Deutschlands das Unwetter zusammenballte, eine Katastrophe mit Ansage.
Reinartz zeigt auf drei Karten, die vergangene Woche von gleich mehreren der sogenannten Globalmodelle für «akkumulierten Niederschlag» berechnet worden waren - die prognostizierte Regenmengen bis zum Morgen des 15. Juli, also bis zum Morgen nach der Katastrophe.
«Was ins Auge sticht, ist, dass die Niederschläge an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in der Eifel-Region ihr Maximum drin haben, wirklich extrem hohe Mengen», sagt er und fährt mit dem Finger die Linien des prognostizierten Unwetters entlang.
Der
DWD warnt stets, wenn die Prognosen Hinweise auf ein Unwetter oder auf große Hitze geben. Es ist der Beginn einer Kette, die ihren Anfang gewissermaßen in den Radarbildern und den Daten der Vorhersagemodelle nimmt.
«Wir haben verschiedenste Kanäle, an die die Warnungen und Vorabinformationen gestreut werden», sagt Reinartz. So werden die Warnungen an Ministerien, Landesverbände des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Landeszentralen des Technischen Hilfswerks (THW), Wasserverbände und Hochwasserzentralen weitergeleitet.
«Letztlich gehen die Warnungen auch an die Bevölkerung, sei es über unsere Warnkarte, sei es über die Warnwetter-App, die sehr gut genutzt wird», sagt der Meteorologe. «Dort kann sich jeder Warnungen auf Landkreisebene für den eigenen Bereich abonnieren.»
Und wie sieht es auf der Empfängerseite aus? Auf Kreisebene etwa gehen die DWD-Warnungen in der Feuerwehrleitstelle in Mainz zunächst als Fax und Mail ein. «Das ist für uns der Startpunkt», sagt der Leiter der Leitstelle in Mainz, Jan Peuser, die auch für die angrenzenden Kreise Mainz-Bingen und Alzey-Worms zuständig ist.
Allerdings hätten seine Kollegen davon unabhängig die Wettervorhersagen im Blick, über die Medien, die Warn-App Nina und über die Warnwetter-App des DWD. Die kostenpflichtigen Zusatzfunktionen dieser App könnten sie kostenlos freischalten. «Der Regenradar ist echt gut», sagt Peuser.
«Der DWD kann auch sehr genau auf Gemeindeebene warnen.» «Dann rufen die Kollegen das Katastrophenschutzportal des DWD (FeWIS) auf. Dann haben wir die Lage im Blick», sagt Peuser. Denn das Portal biete eine ganze Menge mehr - Regenradar, Gewitter,
Blitze, Niederschlagsmenge und Antworten auf die Frage: «Wo zieht ein Gewitter hin?»
«Die Erfahrung und das Bauchgefühl der Kollegen» seien für die Einschätzung der Folgen auch wichtig, sagt Peuser. Gewitter aus der Richtung Bad Kreuznach etwa blieben oft über dem Rhein im Taunus hängen und erreichten Mainz und die Umgebung gar nicht. Im Zweifel riefen die Feuerwehrleute auch bei der Nachbarleitstelle an, um einzuschätzen, auf was sie sich vorbereiten müssen. «Erwischt es uns? Wird es stärker?»
Dieses «Bauchgefühl» ist umso wichtiger, da der DWD gerade bei Gewittern, die zu lokalen Unwettern werden können, bei der Vorhersage an Grenzen stößt. Zu kleinräumig, zu beweglich und dynamisch sind die Gewitterzellen. «Wenn sich Gewitter entwickelt haben, kann man da schon abschätzen und womöglich eine Stunde vorher warnen - aber meistens geht es nur ein paar Minuten vorher», sagt der Meteorologe Reinartz über die Probleme bei örtlichen Unwettern. Das «ist ein bisschen unbefriedigend, aber besser geht es leider nicht. Das liegt in der Natur der Sache.»
Vor Ort ist nach Angaben Peusers die erste Stufe ein per Knopfdruck ausgelöster «Unwettervoralarm». «Dann wissen alle Bescheid»: der Einsatzleiter im Schichtdienst und die Führungskräfte in den Landkreisen. Die Leitzentrale in Mainz könne 24 Stunden am Tag auf sechs Kollegen zurückgreifen. Zwei von ihnen seien immer für vier Stunden am Haupttisch, danach haben sie Pause und dann stehen vier weitere Stunden an. Die anderen vier Kollegen seien jeweils in der Wache in Bereitschaft.
Wenn mehr als ein normales Unwetter im Anmarsch sei, melden die Kollegen in der Leitstelle «Unwetteralarm». Dann kommt eine Führungskraft zur Koordination in die Leitstelle und Ehrenamtliche helfen, die Notrufe abzuarbeiten, die alle bei der 112 eingehen und priorisiert werden müssen.
«Man ruft aber heutzutage wegen allem den Notruf an», sagt Peuser - ein Beispiel: «Facebook geht nicht.» Und jeder Notruf solle innerhalb von zehn Sekunden angenommen sein. «Ein Keller steht auch noch in zehn Minuten unter Wasser», sagt Peuser. Aber bei einem Herzinfarkt oder auch einem Feuer müsse sofort gehandelt werden.
Die Bevölkerung zu warnen, reiche nicht immer aus und könne auch das Gegenteil bewirken, warnt Peuser: «Wenn die Sirenen heulen, kann es sein, dass die Leute ins Auto steigen und in die falsche Richtung fahren.»
In Extremsituationen müsse auch ans Evakuieren gedacht werden. «Das ist aber nicht trivial», sagt Peuser. «Wenn es ein paar Hundert Meter weiter rechts oder links regnet, hat man eine ganz andere Lage.»
Dass die Nerven bei vielen, die mit dem Schutz der Bevölkerung zu tun haben, nach den Erfahrungen der vergangenen Woche blank liegen, bekommt derzeit auch Meteorologe Reinartz zu spüren. Denn für das Wochenende sind erneut Gewitter mit Unwettergefahr angekündigt, die diesmal allerdings lokalen Charakter haben sollen.
«Die Telefone stehen nicht still», sagt er. «Ich hatte heute schon jemanden dran von der Feuerwehr, der fragte, wieso wir noch keine Warnung fürs Wochenende ausgegeben haben.» Er habe dann erklären müssen, das sei eine ganz andere Situation, da lasse sich noch nichts vorhersagen. «Aktuell stößt das auf Unverständnis.»