Nach 832 Weißstorchpaaren im vergangenen Jahr rechnet Bernd Petri, Vogelkundler und stellvertretender Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Hessen, in diesem Jahr bereits mit rund 900 Brutpaaren im Bundesland. «Im nächsten Jahr erwarten wir das 1.000.
Storchen-Brutpaar», sagte Petri der Deutschen Presse-Agentur. Angesichts des erfreulichen Zuwachses benötigten die Tiere mittlerweile keine Nisthilfen mehr, sondern könnten sich selbstständig Nistplätze suchen. Dafür eigneten sich etwa alte, windzerzauste Bäume, die nicht nur Greifvögeln, sondern auch den Störchen einen perfekten Lebensraum böten.
Bei den Jägern sieht man die Entwicklung teils mit gemischten Gefühlen. Einerseits sei es erfreulich, dass sich die Klapperschnäbel wieder in Hessen angesiedelt hätten, sagte Markus Stifter, Sprecher der Landesjagdverbandes. Wenn sich eine Art in einem Gebiet stark ausbreite, könne es aber auch passieren, dass andere Spezies darunter leiden könnten.
«Der Fraßdruck durch Beutegreifer nimmt insgesamt zu», sagte Stifter mit Blick etwa auf die Gelege von Bodenbrütern wie Kiebitz und Rebhuhn. Um gegenzusteuern könne es hilfreich sein, Nisthilfen auf größere Flächen zu verteilen, damit sich nicht zu viele Störche auf engem Raum tummeln. Bedeutsamer für den
Artenschutz generell sei aber, den Tieren ausreichend Deckung zu verschaffen, etwa durch das Stehenlassen von Hecken und
Blühstreifen, die Vögeln und Jungwild Deckung und Nahrung böten.
Sorgen um einen zu hohen Fraßdruck teilt man derweil beim Nabu nicht. Weißstörche seien Nahrungsopportunisten und ernährten sich hauptsächlich von Würmern, Insekten, Mäusen und
Ratten, sagte Petri.
Generell mache den Wildtieren in Deutschland vor allem zu schaffen, dass die Menschen das Land so bewirtschafteten, «dass fast kein Krümel übrig bleibt für Tiere», erklärte der Ornithologe. Dabei gehe es nicht allein um die Landwirtschaft - auch durch den Haus- und Straßenbau oder durch Gewerbeansiedlungen verschwindet immer mehr Grünland.
Die Weißstörche seien derweil nicht nur bei ihrem Speiseplan, sondern auch bei der Wahl ihrer Nistplätze anpassungsfähig, sagte Petri. Durch ihre Ausbreitung ließen sich in letzter Zeit immer mehr Tiere auf Strommasten nieder. Weil sie dort immer wieder in die Nähe der Leitungen kommen, häuften sich Zwischenfälle wie Kurzschlüsse und Nestbrände, auch zu Stromausfällen kam es gelegentlich. Deshalb begleite er Mitarbeiter der Versorger häufig, wenn diese Nester von Masten entfernen, sagte Petri.
Der Ornithologe warb um Verständnis für die Aktionen, die durchaus auch im Sinne der Tiere seien: «Es wäre für den
Naturschutz fatal, wenn irgendwann mal in der Bevölkerung die Stimmung kippt und die Leute sagen: Hey, nur weil da die Störche sind, gibt es keinen Strom mehr.»
Auch weil die Tiere auf den Strommasten in großer Gefahr seien, findet Petri es sinnvoll, sie frühzeitig an solchen Stellen zu vergrämen. Jungstörche, die auf einem Strommast schlüpfen, merkten sich nämlich diese Umgebung und orientierten sich daran bei der eigenen Nistplatz-Suche.
Auch beim Stromversorger Ovag aus Friedberg im Wetteraukreis hat man die Erfahrung gemacht, dass die Störche bei der Besiedlung von Strommasten sehr hartnäckig sein können, wie Stefan Bauer berichtet, der für die Planung und Projektierung von Freileitungen bei der Ovag zuständig ist. Mit Abweisern und dem Anbringen von Stangen versucht man deshalb, den Störchen die Strommasten so unbequem wie möglich zu machen.
«Jeder Storch, der nicht auf einem Mast sitzt, ist ein guter Storch», sagt Bauer. Damit es dort, wo sich dennoch Vögel auf Masten niederlassen, nicht zu Zwischenfällen kommt, habe das Unternehmen in den vergangenen acht bis neun Jahren rund vier bis fünf Millionen Euro in Vogelschutzmaßnahmen wie das Anbringen von Abdeckungen investiert.