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12.12.2022 | 05:10 | KI bei Ahler Wurst 

Künstliche Intelligenz in der Fleischerei

Kassel / Calden - Bei der Landfleischerei Henry Koch im nordhessischen Calden hängen keine Geigen im Himmel, sondern Würste.

Fleischverarbeitung
Tradition trifft Moderne: Bei der Herstellung des nordhessischen Kultprodukts «Ahle Wurst» kommt künftig auch künstliche Intelligenz der Uni Kassel zum Einsatz. (c) proplanta
Die «Ahle Wurst» - der nordhessische Begriff «Ahle» steht für «alte» - ist eine Spezialität der Region. In von Lehmwänden umgebenen Kammern auf dem Dachboden der Fleischerei, dem sogenannten Wurstehimmel, finden bis zu 50.000 Würstchen Platz. Sie reifen dort zwischen vier Wochen und zwölf Monaten. Dabei werden sie künftig nicht mehr nur durch Menschen, sondern auch durch künstliche Intelligenz (KI) überwacht.

«In den Kammern herrschen unterschiedliche klimatische Bedingungen», erklärt Geschäftsführerin Katharina Koch beim Rundgang auf dem Boden des Fachwerkhauses. Tatsächlich ist es in der einen eisig kalt, in der anderen angenehm warm. Die Luftfeuchtigkeit unterscheidet sich von Raum zu Raum.

«In jeder Kammer riecht und schmeckt es anders», sagt die 36-Jährige, die den 22 Mitarbeiter zählenden Betrieb im Landkreis Kassel in fünfter Generation führt. In den Wintermonaten, der Produktionshochzeit, werden dort laut Koch bis zu drei Tonnen «Ahle Wurst» pro Woche hergestellt.

Das Besondere an der luftgetrockneten Rohwurst aus gewürztem Schweinefleisch sind die Warmverarbeitung und die Naturreifung. «Die erfordert Erfahrung und Intuition», erklärt die Fleischermeisterin. Die Fleischerei produziert die Wurstspezialität, die ihren Ursprung in den früher üblichen Hausschlachtungen hat, bereits seit 1877. Um das gewünschte Aroma zu erreichen, ist eine intensive Pflege und Überwachung der Würste notwendig. «Mindestens drei bis vier Mal täglich wird der Reifegrad kontrolliert», erläutert Koch.

Bei Bedarf wird die Wurst umgelagert. Bildet sich zu viel von dem gewünschten Schimmelbelag, muss er abgewaschen werden. «Das sind zwar Routinearbeiten, die aber viel Zeit und Gespür brauchen», sagt Koch. Die Überwachung sei daher Chefsache oder Aufgabe erfahrener Mitarbeiter.

Deren Nasen und Augen bekommen dabei künftig Unterstützung von künstlicher Intelligenz. Informatiker der Universität Kassel sammeln über Sensoren, die in den Würsten stecken, Daten zu Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Kammern. Sie messen den Wassergehalt und pH-Wert der Würste.

«Die Daten werden im ersten Schritt an einen zentralen Rechner überspielt» erklärt Immanuel König, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Informatik. Ein Programm soll dann errechnen, ob es zu warm oder zu kalt, zu feucht oder zu trocken ist. «So kann den Fachkräften übermittelt werden, wann gelüftet werden oder die Wurst gewaschen werden muss», erklärt König. Die Fachleute geben dem System Rückmeldungen, die es wiederum einspeist und verarbeitet. So entwickelt sich das Programm weiter und lernt.

Die Uni Kassel sieht in dem einjährigen Projekt «Ahle Wurst trifft KI», das vom Land Hessen mit rund 100.000 Euro gefördert wird, die Möglichkeit, Anwendungsformen von künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen für das Lebensmittel-Handwerk zu entwickeln. «Ähnliches wäre beispielsweise auch in Bäckereien sowie bei der Käse- und Weinherstellung möglich», sagt König. 

Katharina Koch erhofft sich durch den Einsatz künstlicher Intelligenz Arbeitserleichterung. «Es soll niemand ersetzt werden, sondern lediglich entlastet», betont sie. So bleibe mehr Raum für andere, kreativere Aufgaben. Spannend sei zudem, der Intuition Daten zur Seite zu stellen. «Wir können jetzt erfassen, was wir über 145 Jahre nach Erfahrung und Gefühl gemacht haben und daraus Schlüsse ziehen.»

Vielleicht ließe sich der Reifeprozess der Würste optimieren, sagt sie, aber nicht standardisieren. Denn an dem Traditionsprodukt «Ahle Wurscht», wie der Nordhesse sagt, will Koch nichts ändern. «Jede Wurst ist anders, das ist das Besondere. Und das soll auch so bleiben.»

Für die 36-Jährige  ist das aber nicht gleichbedeutend mit Stillstand. Im Gegenteil setzt ihr Betrieb auch über die Kooperation mit der Uni Kassel hinaus auf Digitalisierung. «Das Handwerk muss am Puls der Zeit bleiben, auch um junge Menschen für sich zu begeistern», sagt die Fleischermeisterin.

Und auch die «Ahle Wurst», mag sie noch so alt sein, verträgt sich gut mit Innovation. Hingen früher zwei verschiedene Sorten auf dem Dachboden der Fleischerei Koch - die Dürre Runde «Ahle Wurst» und die gerade «Ahle Wurst», genannt Stracke - produziert der Betrieb heute etwa 20 verschiedene Varianten. Darunter Sorten mit regionalem Gin, Bier und Honig.
dpa/lhe
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