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16.01.2022 | 06:11 | Milchsortiment 

Lebensmittelhandel beginnt mit Haltungsformkennzeichnung bei Milch

Bonn - Nach Rewe haben in der vergangenen Woche weitere große Lebensmittelhändler wie Lidl, Aldi Nord und Süd sowie Edeka angekündigt, ihr Milchsortiment 2022 schrittweise mit der vierstufigen Haltungsformkennzeichnung auszuloben und so für mehr Tierwohl zu sorgen.

Molkereiprodukte
Große Handelsketten werden ab diesem Jahr auch bei Milchprodukten mit einem Label über Haltungsbedingungen informieren - Den Anfang macht Trinkmilch. (c) proplanta
Große Beachtung fand dabei die Ankündigung von Edeka samt Tochterunternehmen Netto vom Montag (10.1), bereits in diesem Jahr das gesamte Trinkmilchangebot der Eigenmarken auf die Haltungsform 2 oder höher umzustellen.

Dies bedeute, dass in diesem absatzstarken Segment konsequent auf die niedrigste Haltungsform 1 verzichtet werde und damit auch keine Milch mehr aus ganzjähriger Anbindehaltung verkauft werde, erläuterte das Unternehmen. Parallel werde der Anteil der Haltungsstufen 3 und 4 weiter ausgebaut. Bei Aldi Nord und Süd hieß es, dass ab 2024 bei Trinkmilch der Eigenmarken komplett auf die Stufe 1 verzichtet werde und bis 2030 nur noch die höheren Haltungsformen 3 und 4 in den Regalen stehen.

Lidl macht keine konkreten Zeitangaben und kündigte an, dass zukünftig 65 % des Trinkmilchsortiments die Anforderungen der Haltungsformen 3 und 4 erfüllen sollen. Der Bayerische Bauernverband (BBV) kritisierte, dass Edeka mit der schnellen Auslistung der Haltungsform 1 „besonders die kleinen Landwirte im Regen stehen lasse“.

Sie könnten die Anforderungen für die genannten Tierwohlprogramme meist aus fehlender Wirtschaftlichkeit und Planungssicherheit nicht erfüllen. Milchbauern mit ganzjähriger Anbindehaltung würden schlagartig an den äußersten Rand gedrängt; der Handel lasse sie einfach fallen.

Fehlende Zahlungsbereitschaft

BBV-Präsident Walter Heidl monierte, dass die Ausgrenzung kleiner Familienbetriebe mit Anbindehaltung genau diejenigen Betriebe treffe, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder für so erhaltenswert erachtet würden. „Der Bayerische Bauernverband hat sich bei der gemeinsamen Erarbeitung der Tierwohlprogramme „QM+“ beziehungsweise bei der „Initiative Tierwohl - Rind“ massiv für die kleineren Strukturen in Deutschland stark gemacht.

Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) hatte daran leider überhaupt kein Interesse“, kritisierte der BBV-Präsident. Hinzu komme die fehlende Zahlungsbereitschaft des LEH für die wahren Kosten des Tierwohls. Heidl forderte einem Takt, den auch die kleineren Betriebe mitgehen könnten. Kleine Betriebe werden verdrängt.

Auch der Präsident des Hessischen Bauernverbandes (HBV), Karsten Schmal, monierte, dass mit der schnellen Auslistung der Haltungsstufe 1 vor allem kleinere Familienbetriebe mit Anbindehaltung, wie in Süddeutschland, aus dem Markt gedrängt würden. „Es ist unmöglich, innerhalb weniger Monate auf andere Haltungsformen umzustellen“, erklärte Schmal.

Im Übrigen hätten die Milchviehbetriebe durch den Bau von modernen Boxenlaufställen die Haltungsbedingungen von Milchkühen schon entscheidend verbessert und dafür viel Geld investiert. „Grundsätzlich sind unsere Milchviehhalter bereit, neue Erwartungen an Tierwohl zu erfüllen.

Mit den damit verbundenen höheren Kosten dürfen die Betriebe jedoch nicht allein gelassen werden“, betonte der HBV-Präsident. Hier sei zunächst der Lebensmitteleinzelhandel gefordert. Zudem seien aber auch ausreichende Vorlaufzeiten unabdingbar.

Bessere Absatzchancen für „Pro Weideland“

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies begrüßte die vom LEH angekündigte Haltungsformkennzeichnung auf Molkereiprodukten. „Es ist gut, dass der Handel sich auf den Weg macht und für die Stärkung des Tierwohls nun Zeitpläne festlegt, um im eigenen Sortiment eine Umstellung zu erreichen", erklärte der Minister. Das erweiterte Tierwohlversprechen für Trinkmilch sei auch ein wichtiges Etappenziel auf dem gemeinsamen „Niedersächsischen Weg“.

Dessen Ziel sei es, eine enge Verzahnung zwischen Umweltschutz, Landwirtschaft, dem Lebensmitteleinzelhandel und weiteren Akteuren entlang der Wertschöpfungsketten sowie den Verbrauchern zu erreichen. Um die Prozesse der Milcherzeugung stärker auf Tierwohl sowie den Klima- und Artenschutz auszurichten, habe Niedersachsen das Gütesiegel „Pro Weideland" auf den Weg gebracht, das demnächst in die Haltungsformstufe 3 der Initiative Tierwohl (ITW) eingruppiert werde.

„Mit der Fokussierung auf die Haltungsformstufen 3 und 4 werden seitens der Unternehmensgruppe Aldi gute Rahmenbedingungen geschaffen, um auch unsere Niedersächsischen Milch- und Fleischprodukte aus Weidehaltung, Konsumenten und Konsumentinnen anbieten zu können", so Lies. Die Weidehaltung wirke sich nachweislich positiv auf den Arten- und Klimaschutz aus.

Edeka gibt Signal für Tierschutz

Edeka betonte, mit der Umstellung des Sortiments auf höhere Haltungsformen sein Engagement für mehr Tierwohl weiter auszubauen zu wollen. Dies betreffe nicht nur die Trinkmilch, sondern perspektivisch auch weitere Milch- und Molkereiprodukte. „Gemeinsam mit seinen regionalen Partnermolkereien gibt der Edeka-Verbund mit dieser Entscheidung ein wichtiges Signal zur Verbesserung der Haltungsbedingungen von Milchkühen in Deutschland“, so das Handelsunternehmen.

Besonders hohe Kriterien erfülle bereits die Biomilch von Edeka; sie werde mit der Premiumhaltungsform 4 gekennzeichnet. Auch die regional erhältliche Edeka-Weidemilch, die mit zwei Sternen des Deutschen Tierschutzbundes ausgezeichnet worden sei, erhalte die höchste Haltungsform.

Zu den Artikeln mit Haltungsform 3 mit Außenklima zählt laut Edeka beispielsweise die regional erhältliche Milch in der PET-Flasche, die mit einem Stern des Deutschen Tierschutzbundes ausgelobt wurde. Alle gekennzeichneten Milchsorten erfüllten die grundsätzlichen Haltungskriterien, wie beispielsweise ein Verbot von ganzjähriger Anbindehaltung, ausreichend Scheuermöglichkeiten sowie genügend Liege- und Bewegungsfläche für die Milchkühe.

Das Handelsunternehmen wies ferner darauf hin, dass bereits bei SB-Schweine- und Geflügelfleisch der Verzicht auf die Haltungsform 1 vollzogen worden sei und auch hier der Anteil höherer Haltungsformen deutlich ausgebaut werde.

Aldi will Planungssicherheit schaffen

Aldi reagiert mit der Sortimentsänderung nach eigenen Angaben auf die positiven Verbraucherreaktionen zu dem vor einem halben Jahr mit dem „Haltungswechsel“ angekündigten Umstieg auf tierwohlgerechtere Haltungsformen bei Frischfleisch. Schon heute stamme ein Viertel der Trinkmilch der Eigenmarken aus den Haltungsformen 3 und 4, hob der Discounter hervor.

Laut Plan soll dieser Anteil bis 2023 auf 40 % steigen; ausgenommen sind aber Markenartikel. Nur ein Jahr später will Aldi dann in seinen Regalen gar keine Trinkmilch mehr aus der Haltungsform 1 anbieten, dafür aber nur noch auf deutsche Herkünfte zurückgreifen. „Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt: Die Nachfrage nach Tierwohlprodukten wächst stetig“, erläuterte Dr. Tanja Hacker, Managing Director Category Management bei Aldi Nord.

Mit der Ankündigung schaffe man marktseitig Planungssicherheit, um auch in der Milchviehhaltung den Umstieg zu mehr Tierwohl zu realisieren. Der Discounter will den von ihm proklamierten „Haltungswechsel“ als klares Signal in den Markt verstanden wissen.

„Wir verstehen uns ausdrücklich als Partner in der Wertschöpfungskette und bieten Landwirtinnen und Landwirten mit einem realistischen Stufenplan über Jahre hinaus Planungssicherheit und verlässliche Absatzperspektiven für Tierwohlware aus Deutschland“, so Erik Döbele, Managing Director National Buying von Aldi Süd. Gleichzeitig appelliere man weiter an Politik, Handel und Industrie, gemeinsam an einem der bedeutsamsten Transformationsprojekte - der Zukunftssicherung der deutschen Landwirtschaft - mitzuarbeiten.

Lidl will Vorreiter sein

Ab diesem Jahr will auch Lidl sukzessive Milch und Milchprodukte seiner Eigenmarken mit der Haltungskennzeichnung ausloben. Damit schaffe man „als Erfinder des Haltungskompasses und Initiator der aktuellen Haltungsform“ nach Frischfleisch und Wurst in einer weiteren Warengruppe eine vollständige Transparenz, so dass Kunden sich beim Kauf bewusst für mehr Tierwohl entscheiden könnten, so der Discounter.

Als erstes werde die Haltungsform auf der Verpackung der Trinkmilch zu sehen sein, die bereits zu 100 % aus Deutschland stamme. Lidl nimmt für sich in Anspruch, schon heute durch eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der heimischen Landwirtschaft“ Vorreiter in Sachen Tierwohl in der Branche zu sein. So sei die gesamte Biomilch nach höchstem Bioland-Standard zertifiziert.

Rund zwei Drittel des Trinkmilchsortiments würden künftig die Haltungsformen 3 und 4 haben, und 50 % der Lidl-Filialen böten Weidemilch als Mindeststandard im Frischebereich an. Um das Tierwohl weiterhin in die Breite zu bringen, will der Discounter auch in Zukunft gemeinsam mit seinen Erzeugern auf Organisationen wie Pro Weideland, den Deutschen Tierschutzbund und Bioland setzen.

Das Unternehmen Rewe hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, zusammen mit Penny schrittweise Milch- und Molkereiprodukte mit der Haltungsinformation für Verbraucher zu kennzeichnen. Den Anfang machte zu Jahresbeginn die Biofrischmilch, weitere Erzeugnisse sollen folgen.

Anbindehaltung schnell beenden

Der Deutsche Tierschutzbund begrüßte den Vorstoß des Handels. „Der Handel treibt die Politik vor sich her und zeigt, wohin die Reise gehen muss“, erklärte Verbandspräsident Thomas Schröder. Allerdings bleibe die aus Tierschutzsicht unzureichende Haltungsformstufe 2, die eine saisonale Anbindehaltung der Kühe zulasse, bei Aldi noch weitere acht Jahre erhalten.

Edeka, Netto und Lidl hätten noch kein konkretes Ausstiegsdatum für diese Stufe genannt „Die Initiativen der Handelsunternehmen entbinden die Politik jedoch keineswegs von ihren Pflichten“, stellte Schröder klar. Der Gesetzgeber müsse endlich Lücken im Ordnungsrecht schließen, um den Tierschutz in den Ställen sicherzustellen und um den notwendigen gesetzlichen Rahmen zu schaffen.
AgE
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