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06.05.2015 | 10:36 | In Putins Gunst 

Milchviehhalter zwischen Deutschland und Russland

Walldorf / Moskau - Mit einem halbjährigen Agrarpraktikum in der damaligen Sowjetunion fing Ende der 1980er Jahre für Stefan Dürr alles an.

Milchproduktion in Russland
Die Eiszeit zwischen Deutschland und Russland belastet den Unternehmer Stefan Dürr - der Milchproduzent ist in beiden Ländern zu Hause. Doch die Verwerfungen bieten für ihn auch Vorteile. (c) proplanta
Damals erwachte die Leidenschaft des Unternehmers aus Walldorf in Baden-Württemberg für das Land, seine Weite und seine Menschen. «Wenn man hier zehn Hektar dazupachten will, ist es schon ein Riesenaufwand», sagt der 51-Jährige mit den rötlichen Locken.

«Dort kann man so viel Land haben, wie man möchte.» Heute ist er mit einer Russin verheiratet, verbringt die meiste Zeit des Jahres nahe Moskau - und ist mit seinem Unternehmen Ekosem Agrar und rund 21.500 Milchkühen der größte Milchproduzent des Landes.

Dürr gründete das Agrarunternehmen Ekosem mit Sitz in Walldorf 1993. Heute ist es in die beiden Holdinggesellschaften Ekosem Agrar und Ekotechnika (Landmaschinenhandel) unterteilt. Die Spannungen zwischen Deutschland und Russland empfindet er als belastend. «Die Situation ist nicht gut», sagt Dürr, der für seine Verdienste für die dortige Landwirtschaft auch die russische Staatsbürgerschaft verliehen bekam. «Die Sanktionen des Westens sind mir absolut unverständlich: Wie man soviel kaputt schlagen kann, was aufgebaut worden ist.»

Der russische Präsident Wladimir Putin reagiert seit August 2014 mit einem Importstopp für Lebensmittel aus dem Westen auf die Sanktionen in der Ukraine-Krise. Ein baldiges Ende des Embargos halten Beobachter für unwahrscheinlich, solange der Konflikt zwischen Russland und dem Westen nicht beigelegt ist. Selbstversorgung ist generell ein zentrales Ziel der Wirtschaftspolitik Putins. Der Importstopp soll aus Sicht des Kremlchefs die heimische Produktion stärken. 

Auch Dürr merkt mit seiner Milchproduktion diesen Effekt. Zum Teil profitiert er davon. «Es kommt jetzt nur noch ganz wenig Käse nach Russland rein, weil vorher viel aus den EU-Ländern gekommen ist», sagt er. «Unsere Milch geht nun mehr in russischen Käse, es kommt aber auch viel Milchpulver aus Nicht-EU-Ländern rein. Die Warenströme haben sich verschoben.» Die Agrarbetriebe bekämen auch mehr Zuschüsse vom Staat. «Ich denke, es ist gut, dass russische Produkte jetzt wieder mehr Chancen haben. Als russischer Verarbeiter kommt man jetzt leichter in die Supermarktketten.»

Der deutsche Unternehmer hält das Importverbot für richtig. «Für die russische Landwirtschaft ist es positiv.» In einem persönlichen Gespräch habe er Putin sogar darin bestärkt, erzählt er. «Man musste ja schon aus innenpolitischen Gründen irgendetwas tun um zu zeigen: Es geht nicht nur in eine Richtung.» In Deutschland würden ihm wohl nur wenige Landwirte zustimmen. Ein Sprecher des Deutschen Bauernverbands erklärt dazu: Von Dürrs Warte aus sei es verständlich, dass dieser die russische Politik verteidige.

Russische Bauern produzierten 2014 Berichten zufolge rund 30 Millionen Tonnen Rohmilch. Doch für die Versorgung des Riesenreichs sei das nur etwa drei Viertel des Bedarfs, heißt es im Landwirtschaftsministerium. Seine Milch ist Dürr daher auch schon vor dem Importverbot gut losgeworden.

Die Folgen des Embargos müssen seit Monaten vor allem die russischen Verbraucher ausbaden: Allein 2014 legten die Lebensmittelpreise nach Angaben der russischen Statistikbehörde im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich um 17 Prozent zu. Tendenz weiter steigend. Manche Produkte verteuerten sich um ein Vielfaches.

Äußerst negativ wirkt sich die Ost-West-Eiszeit allerdings auf Dürrs Landmaschinenhandel aus. «Es kauft keiner Maschinen im Moment, Kredite sind extrem teuer und dann kommt noch die Rubelschwäche dazu - die Landmaschinen kommen ja in der Regel aus dem dollar- oder eurobasierten Ausland.» Er habe deshalb einen starken Absatzeinbruch zu verkraften.

Eine mögliche Rettung kann es Dürrs Sicht aber geben: An diesem Mittwoch sollen Gläubiger zustimmen, dass 60 Millionen Euro Anleihemittel in Eigenkapital umgewandelt werden, die Geldgeber also zu Aktionären werden. «Wenn es keine Zustimmung gibt, wovon wir derzeit nicht ausgehen, könnte das die Insolvenz für unseren Landmaschinenhandel bedeuten», sagt Dürr.

Russlands Landwirtschaftsminister musste kürzlich seinen Hut nehmen - aus Putins Sicht nutzte Nikolai Fjodorow die Chance des Importverbots nicht. «Wir brauchen mehr einheimische Produkte, um die Spannungen auf dem Lebensmittelmarkt und auch die Preise zu senken», kritisierte der Kremlchef.

Nun leitet der frühere Gouverneur der Region Krasnodar, Alexander Tkatschow, das Agrarministerium. Er scheint die Botschaft seines Dienstherrn verstanden zu haben. Bei seinem Amtsantritt sagte er: «Meine wichtigste Aufgabe ist es, dass künftig mindestens 90 Prozent der Lebensmittel in den Supermarktregalen russische Produkte sind.» Stefan Dürr wird seinen Teil dazu beitragen. (dpa)
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