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11.10.2015 | 13:32 | Stress im Abklingbecken 

Reicht das Geld der Konzerne für den Atomausstieg?

Berlin - Im Fahrplan der Energiewende ist ein Datum fett rot angestrichen: Im Jahr 2022 wird das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen. Doch die Lichter in der Republik werden auch dann nicht ausgehen, weil Ökostrom, Kohle und Gas die Energieversorgung sichern.

Atomausstieg bis 2022
Den Stresstest mit der Gretchenfrage, ob sie den Abschied von der Kernkraft bezahlen können, haben die Atomkonzerne aus Sicht der Regierung bestanden. Können die Steuerzahler aufatmen? Oder kommt das dicke Ende noch? (c) proplanta
Bis an allen Reaktorstandorten wieder Kinder auf der «grünen Wiese» spielen, werden aber Jahrzehnte vergehen und Milliardenkosten fällig.

Haben die Atomkonzerne für den Ausstieg Geld zur Seite gelegt?

Ja. Die vier Versorger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben in der Vergangenheit insgesamt 38,3 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Mit dem Geld sollen Abriss und Endlagerung des Atommülls bezahlt werden. Die Milliarden liegen aber nicht auf dem Festgeldkonto, sondern stecken in Kraftwerken, Stromnetzen oder in Finanzanlagen.

Reicht das Geld?

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der Wirtschaftsprüfer für einen Stresstest der Konzernbilanzen beauftragt hatte, hält anhand des Gutachtens die vier Unternehmen für stark genug, die Kosten abzudecken. Die Prüfer selbst machen aber eine wichtige Einschränkung. Die Finanzpower der Konzerne sei zwar ausreichend. Wegen vieler Unsicherheitsfaktoren könne daraus jedoch nicht abgeleitet werden, «dass die Finanzierung der künftigen Entsorgungskosten sicher ist». Der Stresstest schaut bis ins Jahr 2099.

Wie sehen die Szenarien aus?

Die Experten haben verschiedene Modelle durchgerechnet, wie sich Kosten und Renditen langfristig entwickeln werden. Ihr Fazit: Im besten Fall reichen Rückstellungen von 25 Milliarden Euro aus - im schlimmsten Fall werden über 77 Milliarden Euro gebraucht.

Aber das wäre doch eine gewaltige Lücke?

Rechnerisch würden den Konzernen tatsächlich knapp 39 Milliarden Euro an Rückstellungen fehlen, wenn der «Worst Case» eintreten sollte. Die Bundesregierung hält das für extrem unwahrscheinlich, die Konzerne ebenso. Annahme dieses Szenarios ist, dass in den nächsten 85 Jahren die Konzerne jedes Jahr nur wirtschaftliche Verluste einfahren würden, bei extrem hohen Kosten und einem negativen Zinssatz von im Schnitt 1,6 Prozent.

Die Aktien der Versorger haben massiv an Wert verloren, wie reagiert die Börse auf den Stresstest?

Wenn am Montag die Märkte öffnen, dürften die Konzernbosse angespannt auf ihre Kurse schauen. Gabriel verkündete die Resultate des Stresstests extra am Samstagmorgen, damit die Finanzprofis in Ruhe das Gutachten studieren können. Die Regierung ist ein gebranntes Kind: Als Mitte September erste Zahlen durchsickerten, schmierten die Aktien von Eon und RWE ab. Nun hofft Berlin, dass der Stresstest bereits «eingepreist» ist.

Wie teuer wird der Atomausstieg?

Die Kosten werden derzeit auf 47,5 Milliarden Euro geschätzt. Sicher sagen kann das niemand. Für ein neues Endlager, das um das Jahr 2050 Atommüll aufnehmen soll, sind 8,3 Milliarden Euro angesetzt. Das könnte zu wenig sein. Die Wirtschaftsprüfer selbst schreiben: «Die veraltete Grundlage der Kostenermittlung (...) kann nur als unbefriedigend bezeichnet werden.» Frankreich, Großbritannien, Japan und die USA kalkulierten mit weitaus höheren Kosten für Suche, Bau und Betrieb eines Endlagers.

Was sind die nächsten Schritte der Politik?

Am Mittwoch will die Bundesregierung einen Gesetzentwurf von Gabriel beschließen, der dafür sorgen soll, dass sich die Konzerne nicht irgendwann bei der Finanzierung des Atomausstiegs doch noch vom Acker machen. Stichwort: «Eltern haften für ihre Kinder.» So hatte Eon vorgehabt, seine Kernkraftwerke in eine neue Gesellschaft auszulagern und an die Börse zu bringen. Nach fünf Jahren wäre die Atomhaftung der Konzernmutter ausgelaufen. Als Gabriel seine Gesetzespläne vorlegte, machte Eon-Chef Johannes Teyssen einen Rückzieher, die Meiler bleiben im Konzern.

Kann Gabriel die Atomhaftung ohne Probleme durchziehen?

Auf der sicheren Seite ist der SPD-Chef noch nicht. Sein Parteifreund Garrelt Duin, Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, meint, man sollte einen Kostendeckel für die Lasten der Konzerne beim Atomausstieg einziehen, um Eon (Düsseldorf) und RWE (Essen) nicht zu überfordern. Viele klamme NRW-Kommunen sind an RWE beteiligt, 2017 wird an Rhein und Ruhr gewählt. Am Schicksal von Eon und RWE hängen Tausende Jobs und Steuereinnahmen.

Was sagen die Gewerkschaften?

Die Energie-Gewerkschaft IGBCE war bereits ganze vorne dabei, als eine mächtige Lobby-Allianz die von Gabriel angekündigte Strafabgabe für alte Kohle-Kraftwerke kippte. Über Gabriels Haftungsgesetz sagt IGBCE-Chef Michael Vassiliadis: «Wenn der Bundeswirtschaftsminister betont, Eltern haften für ihre Kinder, dann sage ich: Ja, beide Eltern der Atomkraft haften gemeinsam, die Mutterkonzerne und Vater Staat.» Die Steuerzahler können beim Atomausstieg noch lange nicht ruhig schlafen. (dpa)
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