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07.07.2011 | 21:12 | EHEC-Nachsorge 

"Wir eiern da so rum" - Der EHEC-Keim und die Nachsorge

Hamburg - Die akute EHEC-Krise ist vorbei, die Krankheitswelle ebbt seit Wochen ab. Jetzt beginnt für die Patienten die Zeit der Nachsorge. Wie sind die Blutwerte, wie geht's den Nieren? Und die Ärzte rätseln über die scheinbar einfache Frage: Wann ist jemand EHEC-frei?

EHEC-Nachsorge
Torben Greulich liegt auf einem Krankenbett im «EHEC-Pavillon». Graues T-Shirt, Jeans, im linken Arm eine Infusionsnadel. Die rechte Hand hält Freundin Milena. Der 28-Jährige ist bei der Nachsorge im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), wie jede Woche. Und wie mehr als 120 weitere Patienten, die allein am UKE regelmäßig - und wohl für lange Zeit - zu Nachuntersuchungen kommen müssen, weil sie sehr schwer an dem aggressiven Darmkeim EHEC erkrankt waren.

Eine halbe Stunde dauert es etwa, bis die Infusion, eine transparente Flüssigkeit, durchgelaufen ist. Was da in seine Blutbahn tropft? «Ecu...» fängt Greulich an, stockt kurz und grinst: «Dieser Antikörper.» Den Wirkstoff mit dem komplizierten Namen Eculizumab bekommen viele der Patienten, bei denen sich nach der Infektion mit EHEC die Komplikation hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) entwickelte. Bei dieser schweren Verlaufsform kann es zu Schäden an Nieren und Gehirn kommen.

Die Behandlung mit dem Antikörper war ein «Rettungsversuch», wie der Nierenspezialist Prof. Rolf Stahl vom UKE in der Hochphase der Epidemie Ende Mai sagte. Mit wissenschaftlichen Ergebnissen, wie gut die Therapie anschlägt, rechnet er erst im November. Greulich jedenfalls geht es inzwischen wieder relativ gut, er ist längst nicht mehr so schlapp. Seine Blutwerte und auch die Nierenwerte, erzählt der junge Mann mit der dunklen Brille und dem fast kahlen Kopf erleichtert, sind «auf dem Weg der Besserung».

Sieben Infusionen mit Eculizumab soll Greulich bekommen, jede Woche eine. Drei hat er jetzt noch vor sich. Drei Mal wird er also noch in den «EHEC-Pavillon» kommen, den mit Wellblech verkleideten Kasten mit der Anmutung eines Lazaretts mitten im Gewimmel des UKE. Er wird in dem Drei-Bett-Zimmer mit dem gelb-ockerfarben Boden liegen, den Infusionsständer neben sich - und sich vielfach die Hände desinfizieren: Vor dem Betreten des Pavillons, beim Verlassen des Krankenzimmers und noch einmal beim Verlassen des Pavillons.

Wie lange er aber noch zur Nachsorge - samt Blutabnahme und Urinprobe - kommen muss, können ihm die Ärzte bisher nicht sagen. «Das ist natürlich das, was alle Patienten und Angehörigen fragen - und wir eiern da so herum», sagt die Nierenexpertin Prof. Sigrid Harendza. Die Schwierigkeit liegt darin, dass der EHEC-Ausbruch in Deutschland sehr ungewöhnlich ist. Der Erregerstamm ist extrem selten und enorm aggressiv. Rund 50 Menschen sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts bisher in Deutschland an den Folgen einer Infektion gestorben.

Seit einer EHEC-Erkrankungswelle in Kanada - verursacht allerdings durch einen anderen Erregertyp - wissen die Mediziner, dass manche Patienten etwa einen hohen Blutdruck oder erhöhte Nierenwerte zurückbehalten. Bei solchen Risikofaktoren müssen sie regelmäßig zur Kontrolle bei einem Nierenspezialisten. «Wie viele unserer Patienten das sein werden, ist unklar», berichtet Harendza. «Deshalb können wir auch nicht sagen: Nach einem halben Jahr wird das so und so sein. Aber das ist schon ein Einschnitt, immer in Kontrolle zu sein.»

Greulich ist noch krankgeschrieben, zunächst bis Mitte Juli. Ob er dann aber wirklich schon an seinen Arbeitsplatz als Informatiker zurückkehren darf, ist völlig offen. Denn es ist schwer zu sagen, wann jemand EHEC-frei ist. Es gibt zwar offizielle Kriterien des Gesundheitsamtes, wie Harendza erklärt: In drei Stuhlproben darf der Erreger nicht drin sein. Jetzt gibt es aber Patienten, die nach drei negativen Stuhlproben plötzlich wieder einen positiven Befund haben.
  
Das lässt die Ärzte rätseln. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass der tückische Keim eine Mutation hat und daher besonders gut an der Darmwand haftet. «Man kann noch nicht sagen, was das bedeutet», betont Harendza. Für Greulich bedeutet es: Er darf nicht auf öffentliche Toiletten gehen. Und damit, sagt der 28-Jährige, auch nicht zu seinem Job.

Torbens Kollegen, erzählt Freundin Milena Kettner, hätten sich große Sorgen um ihn gemacht. «Sie sind alle zum Blutspenden gegangen.» Denn für die Versorgung der HUS-Patienten wurde viel Blutplasma gebraucht. Milena war noch vor Torben an dem Darmkeim erkrankt, aber längst nicht so schwer. Der 28-Jährige hatte starke Nierenprobleme, leichte Sprachstörungen, und auch die Koordination klappte nicht richtig. «Ich konnte zum Beispiel keine SMS mehr tippen.» Erschreckend. Nach drei, vier Tagen war das vorbei: «Zum Glück.»

Beide haben sich das Hirn zermartert, wie sie sich infiziert haben könnten. Ohne Erfolg. «Versuchen Sie sich mal zu erinnern, was genau Sie vor anderthalb Wochen gegessen haben», sagt Greulich. «Phhh.» Beide zucken ratlos mit den Schultern. Sprossen jedenfalls, die als Auslöser der Epidemie gelten, hätten sie nicht gegessen, meinen sie.

Ihren Alltag hat EHEC völlig umgekrempelt. Ständige Arztbesuche, viel Kontakt mit dem Gesundheitsamt, Fragebögen ausfüllen ohne Ende - ob zur Ernährung oder zu den psychischen Folgen der Infektion. An das Dauer-Desinfizieren zu Hause - das Paar wohnt zusammen - habe sie sich gewöhnt, erzählt Milena. «Aber nicht an den Krankenhausgeruch und die blauen Flecken an den Armen von den Nadeln.» Die junge Frau muss nur noch alle vier Wochen zur Nachsorge. Für ihren Freund ist der Aufwand natürlich größer, außer zum UKE geht er auch noch oft zum Hausarzt. «Das ist schon nervig. Da ist man Ende zwanzig, steht mitten im Leben - und da kommt so ein Keim und haut einen voll um.» (dpa)
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