«Mein Ziel ist klar», sagt Klöckner - und nennt ein Ziel, das Parlamentarier auf EU-Ebene schon lange fordern - die
Lebensmittelverschwendung bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Es klingt wie eine Replik auf einen Bericht, in dem die Umweltorganisation
WWF der Bundespolitik zwei Tage später das Fehlen einer nationalen Strategie vorwerfen wird.
Auf 18 Millionen Tonnen beziffert die Umweltorganisation am Freitag das Ausmaß der jährlichen Lebensmittelverschwendung in Deutschland. Berechnet hat den Wert das Institut für nachhaltige
Ernährung der Fachhochschule Münster. Das entspricht dem Gewicht von rund 129.000 Blauwalen. 60 Prozent der Abfälle fallen demnach in der
Wertschöpfungskette an, etwa 40 Prozent werfen die Verbraucher weg.
Anhand ihres Engagements gegen Lebensmittelverschwendung wurden die Bundesländer in drei Gruppen eingeteilt: Pioniere, Mittelfeld - und Nachzügler. Für die Einstufung sei überprüft worden, wer sich schon lange und systematisch mit dem Thema befasse - und wo nur ganz vereinzelt Maßnahmen zur Abfallvermeidung ergriffen würden, heißt es beim WWF.
In der Spitzengruppe stehen Länder wie Bayern, das die landesweiten Lebensmittelverluste seit 2012 erhebt und sichtbar macht. Dazu Baden-Württemberg, das die Vermeidung von Lebensmittelabfällen im Abfallwirtschaftsplan verankert habe. Außerdem Nordrhein-Westfalen, das als erstes Bundesland einen Runden Tisch zum Thema eingerichtet hat. Auch Klöckners Heimatland, Rheinland-Pfalz, wird lobend erwähnt.
Als Nachzügler gelten dagegen Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Thüringen - und Sachsen-Anhalt. Hier sind Maßnahmen nach WWF-Angaben entweder kaum vorhanden oder deren Wirksamkeit nicht nachvollziehbar.
Dass die Befunde so unterschiedlich ausfallen, lasten Forscher und Umweltaktivisten vor allem der Bundespolitik an: Sie verpasse es, die Maßnahmen der Länder bundesweit zu koordinieren und eine gemeinsame Strategie auf den Weg zu bringen. Bis 2020, so die Forderung, möge die Bundesregierung nachbessern.
Im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und
SPD ist das Thema schon berücksichtigt, drei Mal kommt das Wort «Lebensmittelverschwendung» vor. «Eindämmung Lebensmittelverschwendung», heißt es beispielsweise lapidar. Die Koalition wolle «die ganze Wertschöpfungskette» in den Blick nehmen. Der WWF wertet es als positives Signal.
Die konkreten Daten zum Ausmaß der Verschwendung in den einzelnen Bundesländern haben Schwächen. So wird etwa in jedem Bundesland die gleiche Menge an verschwendeten
Lebensmitteln pro Kopf unterstellt. In vielen Bereichen basieren Annahmen auf der bereits 2015 veröffentlichten WWF-Studie «Das große Wegschmeißen».
Die wesentlichen Kennziffern stehen jedoch nicht im Widerspruch zu Studien, die das
Bundeslandwirtschaftsministerium beauftragt hat. Zwar spricht man in Berlin von insgesamt 11 Millionen Tonnen verschwendeter Lebensmittel, basierend auf einer Studie der Universität Stuttgart von 2012. Allerdings fehlen darin die Verluste, die in der
Landwirtschaft entstehen. Erfasst wurden nur Privathaushalte, Industrie, Handel und Großverbraucher. Dies erkläre die Diskrepanz, heißt es beim WWF, der allerdings in allen Werten leicht über den Annahmen des Ministeriums liegt und das mit der Methodik begründet.
12 Milliarden Menschen könnten mit den weltweit produzierten Lebensmitteln ernährt werden, erklärt die Chefin der
Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, den größeren Zusammenhang. «Wir wissen, dass ein Drittel dieser weltweit produzierten
Lebensmittel vernichtet wird und verschwendet wird.» Dafür werde Boden in Anspruch genommen und Wasser, außerdem
CO2 ausgestoßen.
Anschaulich wird Dieckmanns Befund durch eine Studie an der US-Universität Vermont. Sie stellt die etwa 90 Kilogramm «Lebensmittelverluste» eines jeden Verbrauchers in Deutschland fast in den Schatten, die der WWF unterstellt, auch die 82 Kilogramm, von denen das
Landwirtschaftsministerium ausgeht.
Etwa ein Pfund Lebensmittel - 422 Gramm - warfen US-Bürger zwischen 2007 und 2014 demnach durchschnittlich täglich weg - über 150 Kilogramm pro Jahr. Etwa 354.000 Tonnen Pestizide und mehr als 816.000 Tonnen stickstoffhaltiger Dünger würden daher in den USA pro Jahr umsonst verwendet. Eine globale Strategie ist nicht in Aussicht.