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06.01.2011 | 21:32 | Winter in der Kunst 

Als Rembrandt Schlittschuh lief: Szenen einer Eiszeit

Berlin - Von etwa 1500 bis 1850 erlebte Europa eine Kleine Eiszeit. Damals war es im Durchschnitt zwei Grad kälter als heute, der erste Schnee fiel oft schon im November.

Winter
Am kältesten war die Zeit um 1600. Wie es damals im Winter aussah, kann man sich in fast jeder Gemäldegalerie alter Meister ansehen. Denn im 17. Jahrhundert war die Winterlandschaft eines der beliebtesten Genres.

Die Zeitgenossen von Shakespeare, Wallenstein und Galilei mussten sich warm anziehen. Schnee war jedes Jahr garantiert, oft konnten die Londoner auf der Themse einen Frost-Jahrmarkt abhalten. 1608 und 1621 war sogar das Wattenmeer mit einer so dicken Eisschicht bedeckt, dass man per Pferdeschlitten zu den friesischen Inseln fahren konnte.

Viele Leute liebten dieses Eisvergnügen unter der blassen Wintersonne so sehr, dass sie auch im Sommer daran erinnert werden wollten. Sie kauften sich Gemälde und kolorierte Zeichnungen, auf denen das Treiben dargestellt war. Dutzende Maler aus Holland und Flandern lieferten solche Werke, manche waren darauf spezialisiert und malten ihr Leben lang nichts anderes als Schneebilder. Deshalb hängen die Museen heute voll davon, auch die deutschen. Schöne Beispiele findet man zum Beispiel in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden und in der Gemäldegalerie Berlin.

Als Begründer des Genres gilt Pieter Brueghel, der 1565 die «Jäger im Schnee» schuf, das erste Winterbild überhaupt. Es war damals hochaktuell, denn der Winter 1564/65 war der kälteste seit Menschengedenken. Die Leute sprachen monatelang von nichts anderem mehr. Obwohl Brueghel im platten Flandern lebte, verlegte er seine Winterjagd in die Berge - heute hängt das Werk in Wien.

Der berühmteste Wintermaler ist Hendrick Avercamp (1585-1634), der fast sein ganzes Leben in der abgelegenen kleinen Hansestadt Kampen an der Zuiderzee, dem heutigen Ijsselmeer, verbrachte und deshalb zunächst wenig Beachtung fand. Dass er taubstumm war, hat seine Beobachtungsgabe und sein visuelles Vorstellungsvermögen vermutlich zusätzlich geschärft. Seine Winterlandschaften voller Frostfigürchen gehören heute im Museum zu den beliebtesten Bildern überhaupt.

Gerade Kinder entdecken auf den Wimmelbildern immer neue Details. Zum Beispiel findet man fast jedes Mal eine Frau, die ausgerutscht ist und dabei ihr blankes Hinterteil zeigt. Unterwäsche war im 17. Jahrhundert noch nicht erfunden, stattdessen schleppten die Frauen im Winter tragbare Kohleöfchen mit sich herum, die sie sich im Sitzen zwischen die Füße stellten. Im übrigen zogen sie viele Röcke übereinander an. Feine Damen gingen nicht ohne Maske in die Wintersonne, da sie sich ihren hellen Teint nicht ruinieren wollten. Weiße Haut war ein Statussymbol - sonnengebräunt war das einfache Volk, das gezwungen war, bei Wind und Wetter draußen zu arbeiten.

Vor Avercamps milchigem Himmel sind Alt und Jung, vor allem aber Reich und Arm im winterlichen Treiben vereint. Eis und Schnee scheinen die Standesgrenzen aufgehoben zu haben, abgerissene Gestalten stehen mit modisch gekleideten Herrschaften zusammen. Die einen fahren in reich verzierten Schlitten herum, die anderen hocken sich zum Rodeln einfach auf einen skelettierten Pferdekopf. Der mächtigste Herrscher und der weiseste Gelehrte könnten keine solche Verbrüderung zustande bringen, schwärmte der Völkerrechtler Hugo Grotius (1583-1645).

Die Bilder zeigen auch, wie das Wirtschaftsleben still steht. Die Schiffe liegen unbeweglich im Hafen, von ihren Masten hängen Eiszapfen. Man kann nichts anderes tun, als sich draußen zu amüsieren - ein großes Privileg in einer Zeit ohne Urlaub. Vielleicht ist das der Grund, warum die Menschen auf den Bildern so fröhlich wirken, auch wenn die zeitweilige Arbeitslosigkeit mit Verdienstausfall einherging. Schlimmer war wohl, dass in der Kleinen Eiszeit oft auch die Sommer kühl und nass ausfielen, was zu Missernten führte. Aber zu laut klagen durfte man nicht, denn alles - auch die Kälte - war der Wille des Herrn.

Die erstarrte, geräuschlose Landschaft wurde in Holland und Flandern, aber auch in weiten Teilen Deutschlands jeden Tag von Tausenden Schlittschuhläufern bevölkert. Dieser Sport war so verbreitet, dass es in Amsterdam eine eigene Schlittschuhmacher-Gilde gab. Auch Rembrandt (1606-1669) hat Schlittschuhläufer gemalt und gezeichnet.

Als die Niederlande im 16. Jahrhundert von der spanischen Armee besetzt waren, konnten sich ihre Freiheitskämpfer - die Geusen - im Winter viel schneller bewegen, weil sie Schlittschuhe trugen. «Das ist die größte Kuriosität, von der man je gehört hat», wunderte sich der Herzog von Alba, ein Grande mit Hakennase und Silberbart. Die Spanier verloren so viele Leute, dass der Herzog Schlittschuhe kaufte und seine Soldaten zum Üben abkommandierte.

Zu Avercamps Zeit spielte man auf dem Eis gerne Golf, wobei der mit Kuhhaar gefüllte Lederball mit Holzschlägern möglichst weit oder aber möglichst nah an einen bestimmten Punkt geschlagen werden musste. Die umherfliegenden Bälle waren nicht ungefährlich, so dass mancher das Golfspielen auf dem Eis am liebsten verboten hätte. Auf einem Bild von Adriaen van de Velde aus der Gemäldegalerie Dresden sieht man Schlittschuhläufer und Golfspieler auf dem zugefrorenen Stadtgraben von Amsterdam.

Hin und wieder näherte sich mit geblähtem Segel und lautem Knirschen ein Eiskahn, ein Boot auf Kufen. Ein solches Gefährt erwarb 1660 zu einem sehr stolzen Preis auch der Maler Johannes Vermeer, der Schöpfer des «Mädchens mit dem Perlenohrring». Wahrscheinlich wollte er seinen vielen Kindern damit eine Freude machen. Die Eiskähne erreichten Spitzengeschwindigkeiten von 40 Kilometern in der Stunde. Zur Vermeidung von Unglücken saß vorne ein Mann und blies Warnsignale auf einer Schiffstrompete. Das sieht man zum Beispiel auf einer Darstellung von Adriaen van de Venne von 1614 in der Berliner Gemäldegalerie.

In Zelten, über denen wie an heutigen Pommes-frites-Buden die rotweißblaue Flagge der Niederlande baumelte, stärkten sich Spaziergänger mit Getränken und Imbissen. Bei sehr strengem Frost, wenn man davon ausgehen konnte, dass die Kälte wochenlang anhalten würde, wurden solche Imbissstände auch weit draußen auf der Zuiderzee aufgebaut. Senkrecht stehende Boote funktionierte man zu Toiletten um - «kakbootje» hießen die. Aber Avercamp zeigt auch, wie Wildpinkler an den nächsten Baum machen - oder einfach in den Schnee. Gleich daneben wäscht eine Frau in einem Eisloch ihre Wäsche.

Während Avercamp das Anekdotische in den Vordergrund stellte, ging es anderen Künstlern wie Jan van Goyen, Esaias van de Velde oder Jacob van Ruisdael vor allem um das Einfangen von Stimmungen. Dabei nahmen sie sich viele künstlerische Freiheiten heraus: Sie ließen zum Beispiel aus schwarzen Gewitterwolken, wie es sie nur im Sommer gibt, aber ganz bestimmt nicht bei klirrender Kälte, Schneeflocken rieseln. Daran störte sich aber niemand - die Bilder sollten einfach nur gut aussehen.

Haben die Bilder auch eine Botschaft? Die Maler des 17. Jahrhunderts waren vom sogenannten Vanitas-Gedanken geprägt, sie beschäftigten sich intensiv mit der Vergänglichkeit des Lebens. In einer Zeit, in der jedes zweite Kind vor Erreichen des fünften Lebensjahres starb, ist dies wohl nicht weiter verwunderlich. Auf unsere Zeit übertragen würde ihre Botschaft wohl lauten: Nicht so viel über fehlendes Streusalz und Verspätungen klagen, dafür ist das Leben viel zu kurz. Besser rausgehen und den Winter genießen. Vielleicht erleben wir nicht mehr viele davon. (dpa)
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