Schon die Zulassung der Anklage dauert rund eineinhalb Jahre - mit Spannung wird nun auch der «Dieselgate»-Prozessbeginn im Fall Winterkorn erwartet. Ob es in wenigen Wochen losgehen kann, darf aber bezweifelt werden. Dem Ex-VW-Chef soll es nicht gut gehen. (c) proplanta
Das Landgericht Braunschweig erklärte am Freitag auf Anfrage, dass sich die zuständige Kammer zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten gutachterlich beraten ließ. Das öffentliche Verfahren (Az.: 6 KLs 23/19), bei dem Winterkorns Rolle in der Diesel-Abgasaffäre untersucht werden soll, könnte damit erst verzögert starten. Zu konkreten Details und Fristen äußerte sich das Gericht jedoch nicht.
Aus Winterkorns Umfeld hieß es, die Möglichkeit einer Verschiebung bestehe durchaus - letztlich müsse aber die Braunschweiger Wirtschaftsstrafkammer über die weitere Terminierung entscheiden. Zuvor hatten die «Süddeutsche Zeitung» und der Norddeutsche Rundfunk über die Entwicklung berichtet. Nach bisheriger Planung soll die lange vorbereitete Hauptverhandlung am 25. Februar beginnen, sie dürfte sich bis mindestens ins Frühjahr 2023 ziehen.
Im vergangenen Oktober hatte das Landgericht bereits eine erste Terminübersicht erstellt, die nun jedoch ins Wanken geraten könnte. Winterkorn (73) soll inzwischen im Rollstuhl sitzen. Berichten zufolge soll er zudem vor einer wichtigen Operation stehen, die den Zeitablauf im Gerichtssaal zusätzlich durcheinanderbringen könnte. Bei dem «Dieselgate»-Prozess sind noch vier weitere Führungskräfte wegen des Vorwurfs des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs angeklagt.
Im September 2015 hatte VW nach Prüfungen von Behörden in den USA Manipulationen an Abgaswerten zugegeben. Die Software bestimmter Motoren war so eingestellt, dass auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide ausgestoßen wurden als in Tests. Die Enthüllungen traten den Dieselskandal los, der den Konzern bis heute weit über 30 Milliarden Euro an juristischen Ausgaben kostete. Darüber hinaus erfasste eine tiefe Vertrauenskrise die gesamte Autobranche.
Winterkorn war kurz nach dem Auffliegen der Manipulationen zurückgetreten. Er sei sich «keines Fehlverhaltens bewusst», sagte er damals. Vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestags betonte er ebenfalls, zuvor nichts von illegalen Täuschungen gewusst zu haben.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig klagte ihn nach langwierigen Ermittlungen dennoch an. Zwischenzeitlich hatten auch Gerüchte über eine mögliche Einstellung des Verfahrens die Runde gemacht, weil die Ankläger bei einigen Punkten nacharbeiten mussten.
Das Landgericht erklärte mit Blick auf eine eventuelle Verschiebung: «Die Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten setzt seine Fähigkeit voraus, in- oder außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen.» Sollte diese Fähigkeit eingeschränkt sein, könnten auch Pausen oder Unterbrechungen eine Option sein, um das Verfahren zu durchlaufen. Die Frage ist indes, ob dies im zunächst angesetzten Plan mit teils mehreren Terminen pro Woche über viele Monate sowie bei Winterkorns Verfassung realistisch wäre. Sachverständige helfen, dies einzuschätzen. Am Ende muss aber das Gericht darüber befinden.
Winterkorn muss sich außerdem auf einen Prozess wegen mutmaßlicher Marktmanipulation im Abgasskandal einstellen. Termine hierfür waren zuletzt noch nicht bekannt. Ein Marktmanipulationsverfahren gegen den aktuellen VW-Konzernchef Herbert Diess sowie gegen den früheren Finanzvorstand und heutigen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wurde gegen die Zahlung von 9 Millionen Euro eingestellt.