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30.07.2021 | 03:31

BGH stärkt Diesel-Klägern in Verjährungsfragen den Rücken

Karlsruhe - Im VW-Dieselskandal stärkt der Bundesgerichtshof (BGH) Klägern den Rücken, deren Schadenersatz-Ansprüche durch Verjährung bedroht sind.

BGH zu Diesel-Klagen
Vom Abgasskandal betroffene Autokäufer haben grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz von VW. Aber beim Klagen sind Fristen einzuhalten. Rund 20.000 Fälle stehen deshalb noch auf der Kippe. (c) liveostockimages - fotolia.com
Die Karlsruher Richterinnen und Richter entschieden am Donnerstag, dass Gerichte betroffenen Autokäufern nicht allein wegen der breiten Medienberichterstattung damals unterstellen dürfen, sie hätten noch im Jahr 2015 von dem Abgasbetrug bei Volkswagen erfahren.

Außerdem erklärten sie es für legitim, sich nur deshalb zeitweise zu einer Musterfeststellungsklage anzumelden, damit man mehr Zeit für die Vorbereitung einer eigenen Schadenersatz-Klage hat. (Az. VI ZR 1118/20)

Dass Millionen Diesel-Autos von VW mit manipulierter Abgastechnik unterwegs waren, um vorgeblich die Grenzwerte für Schadstoffe einzuhalten, war im September 2015 ans Licht gekommen. Der Wolfsburger Autobauer hatte seine Aktionäre und die Öffentlichkeit erstmals am 22. September informiert. Danach beherrschte der Skandal über Wochen die Titelseiten der Zeitungen und Nachrichtensendungen.

VW hatte Anfang Oktober ein Internetportal eingerichtet, über das Autobesitzer prüfen konnten, ob auch ihr Wagen betroffen ist. Mitte Oktober ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) einen Rückruf an.

Nach einem Grundsatz-Urteil des BGH aus dem Mai 2020 haben betroffene Klägerinnen und Kläger prinzipiell Anspruch auf Schadenersatz von VW. Schadenersatz-Ansprüche verjähren allerdings nach drei Jahren. Klagen hätten also spätestens Ende 2018 erhoben werden müssen.

Unter einer Voraussetzung: dass der Kläger 2015 schon wusste, dass auch sein Auto den Skandalmotor EA189 hat, oder «ohne grobe Fahrlässigkeit» davon hätte wissen müssen, wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) heißt.

Laut VW laufen noch ungefähr 20 000 Verfahren, in denen erst 2019 oder noch später geklagt wurde. Und oft ist vor Gericht umstritten, was die Klägerin oder der Kläger 2015 schon wusste.

Auch in dem Fall aus Sachsen-Anhalt, der jetzt in Karlsruhe entschieden wurde, hatte der Diesel-Käufer erst 2019 geklagt. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hatte die Klage für verjährt erklärt: Im vierten Quartal 2015 seien alle wesentlichen Informationen an die Öffentlichkeit gelangt.

Nach dem BGH-Urteil hätte das OLG daraus aber nicht einfach folgern dürfen, dass auch der Kläger damals schon von dem Skandal wusste. Niemand sei zu Medienkonsum verpflichtet, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Das OLG muss den Fall nun neu prüfen.

Volkswagen teilte mit, man gehe davon aus, dass die Klage erneut abgewiesen werde. «Grundsätzlich sind die Hürden hoch, um erfolgreich zu behaupten, man habe den sog. Dieselskandal nicht wahrgenommen.»

Der Fall ist zusätzlich kompliziert, weil der Kläger sich auch vorübergehend der Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentralen gegen VW angeschlossen hatte. Dadurch wird die Verjährung gehemmt. Später meldete sich der Mann wieder ab und klagte selbst.

In der Verhandlung Mitte Juli hatte der VW-Anwalt von einem «Massenphänomen» gesprochen: Die auf Diesel-Fälle spezialisierten Kanzleien hätten so Zeit geschunden, um der von ihnen befeuerten Klageflut Herr zu werden. Laut BGH ist das aber kein Rechtsmissbrauch, sondern «einfacher Rechtsgebrauch», wie Seiters sagte. Der Gesetzgeber habe diese Möglichkeit eröffnet.

Die obersten Zivilrichterinnen und -richter stellten außerdem klar, dass schon der Start einer Musterfeststellungsklage durch einen dazu berechtigten Verband verhindert, dass Ansprüche möglicher Betroffener verjähren. Hier waren die Verbraucherzentralen noch 2018 aktiv geworden. Beim Kläger war unklar, wann er sich zum Klageregister angemeldet hatte. 2019 wäre laut BGH aber auch ausreichend gewesen.

Das Musterverfahren hatte mit einem Vergleich geendet, von dem gut 245.000 Diesel-Besitzer profitierten. Sie bekamen zwischen 1.350 und 6.257 Euro. Derzeit bereiten die Verbraucherzentralen auch eine Musterklage gegen Daimler vor wegen angeblicher unzulässiger Abschalteinrichtungen in knapp 50.000 Autos zweier Baureihen.
dpa
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