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15.12.2020 | 04:01 | Intensivkapazitäten 

Coronakrise: Ist der Blick auf Intensivbetten zu einseitig?

Bad Homburg - Fresenius-Chef Stephan Sturm kritisiert in der Corona-Krise einen zu starken Blick auf die Intensivkapazitäten der Kliniken.

Überlastung Gesundheitssystem
In der Corona-Pandemie wird oft vor einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems gewarnt. Der Chef des Medizinkonzerns und Krankenhausbetreibers Fresenius kritisiert den Fokus der Politik. Er fordert neue Wege im Kampf gegen das Virus. (c) william87 - fotolia.com
«Der einseitige Fokus der Politik auf Intensivbetten ist falsch», sagte der Vorstandschef des Medizinkonzerns und Krankenhausbetreibers den Nachrichtenagenturen dpa und dpa-AFX. Dort, wo es zu Engpässen in Krankenhäusern gekommen sei, sei das meist wegen des Mangels an Intensivpflegekräften geschehen und nicht wegen fehlender Intensivbetten. Den viel diskutierten Personalmangel habe es schon vor der Corona-Krise gegeben, sagte Sturm. Fresenius ist mit der Tochter Helios Deutschlands größter privater Klinikbetreiber. Die Kette behandelt jährlich rund 5,6 Millionen Patienten hierzulande.

«Selbst wenn Intensivkapazitäten ausgeschöpft sein sollten, können Covid-Patienten stationär behandelt werden», sagte Sturm. Corona-Patienten ließen sich etwa auch auf entsprechend aufgerüsteten Intermediate-Care-Stationen behandeln, einer Zwischenstufe zwischen Normal- und Intensivstation. Klinische Daten zeigten in anderen Ländern eine vergleichbar niedrige Sterblichkeit bei Corona-Patienten, während dort ein geringerer Anteil auf Intensivstationen läge.

Um die Pandemie zu bewältigen, sei eine bessere Vernetzung der Krankenhäuser in Deutschland nötig, meint Sturm. So könnten Klinken aus weniger betroffenen Regionen Corona-Patienten aus Hotspots aufnehmen. Helios habe das bei Berliner Krankenhäusern getan, wo Kapazitäten für Corona-Patienten knapp wurden. «Wir brauchen mehr Transparenz im Gesundheitssystem», sagte der Manager. Es gebe aber Widerstände gegen ein zentrales Register, das ein Verteilen von Patienten erleichtern würde. «Auch wenn sicher nicht jeder Patient transportfähig ist, können wir hier besser werden.»

Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin gab es bei steigenden Infektionszahlen zuletzt fast 5.100 freie Intensivbetten. Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, wies jüngst darauf hin, dass es rund 40 Prozent mehr Intensivpatienten als im Frühjahr gebe. Die Situation sei für das Personal in vielen Kliniken belastend.

In den 89 deutschen Helios-Kliniken sei die zweite Corona-Welle angekommen, sagte Sturm. «Aber wir haben insgesamt noch ausreichend Kapazitäten». Helios behandle derzeit mehr als 1.400 Corona-Patienten, davon rund ein Fünftel oder rund 280 Menschen auf Intensivstationen. Helios habe rund 1.400 Intensivbetten, kurzfristig könne man weitere 1.000 Intensivbetten bereitstellen. Die Lage sei mancherorts angespannt. «Wir stehen aber nicht vor dem Kollaps», so Sturm.

Fresenius habe seit Frühjahr rund 9.000 Corona-Patienten hierzulande behandelt, davon 27 Prozent auf Intensivstationen. Es gebe also aktuell weniger schwere Verläufe, so Sturm. Im stark betroffenen Spanien, wo Helios ebenfalls aktiv ist und es generell weniger Intensivbetten gibt, sei die Sterblichkeit ähnlich wie in Deutschland.

«Corona ist da und eine sehr ernstzunehmende Krankheit», betonte der Manager. Eine einseitige Ausrichtung der Politik auf das Virus sei aber falsch. «Herzinfarkte und Schlaganfälle gibt es ja trotzdem. Es wäre falsch, aus Angst vor dem Coronavirus auf Vorsorgeuntersuchungen zu verzichten. Ich appelliere an die Menschen: Gehen Sie zum Arzt!» Andernfalls werde man in den kommenden Jahren den Preis bezahlen in Form von Übersterblichkeit, etwa bei Krebspatienten. «Auch viele Herzinfarkte und Schlaganfälle bekommen wir viel zu spät zu Gesicht.»

Sturm hatte wiederholt eine einseitige Ausrichtung der Politik auf die Corona-Krise kritisiert. So musste Fresenius im Frühjahr generell nicht zwingend nötige («elektive») Operationen verschieben, um Betten für Corona-Patienten freizuhalten. Am Ende verlief die erste Welle der Pandemie hierzulande glimpflich und viele Betten standen leer. Das kostete Fresenius viel Geld. «Mir geht es in meiner Kritik aber nicht um wirtschaftliche Aspekte», betonte Sturm.

Er monierte eine Einmischung der Politik. Welche Patienten behandelt werden sollten - ob Corona-Kranke oder andere - «sollten nicht Politiker aus der Ferne entscheiden, sondern Ärzte vor Ort». Die Hälfte der Kapazitäten in den Helios-Kliniken sei von elektiven Eingriffen belegt, Patienten blieben im Schnitt vier Tage. «Wir können also in vier Tagen ein halbes Krankenhaus freiräumen.»

Die Pandemie hat den Dax-Konzern auch wirtschaftlich getroffen. Vor allem im zweiten Quartal bekam Fresenius die Folgen im Klinikgeschäft zu spüren. Da weniger operiert wurde, litt auch die auf flüssige Nachahmermedikamente wie Narkosemittel und klinische Ernährung spezialisierte Tochter Fresenius Kabi. Im dritten Quartal gab es dann Nachholeffekte. Gemildert wurden die finanziellen Corona-Folgen mehrere Monate durch staatliche Pauschalen für frei gehaltene Betten.

Im laufenden Schlussquartal werden dank neuer Gesetzesvorgaben deutschen Kliniken etwaige Mindererlöse gemessen am Vorjahr großteils erstattet. Fresenius werde seine - schon gesenkte - Jahresprognosen halten können, sagte Sturm: «Ich gehe fest davon aus.»
dpa
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