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15.07.2011 | 11:05 | EHEC-Krise 

Die EHEC-Spur führt nach Minia

Kairo - Frisch gekeimte Bockshornkleesamen zählen in den ländlichen Provinzen Ägyptens zu den Leckereien, die man Besuchern an hohen Festtagen anbietet.

EHEC-Krise
Eine EHEC-Epidemie wie in Deutschland, wo dieses Jahr mehr als 50 Menschen durch einen gefährlichen Darmkeim starben, hat man am Nil noch nie verzeichnet. Dennoch hält es die EU für möglich, dass die Keime Ende 2009 in einer Lieferung von etwa 15 Tonnen ägyptischer Bockshornkleesamen nach Europa gelangt sind.

Die meisten Ägypter halten das Importverbot für ihre Samen, das die Europäische Union vor einigen Tagen verhängt hat, für unsinnig und ungerecht. Das will die Regierung auch einem Expertenteam erklären, das die EU nach Ägypten schicken will, um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Ursprünglich hätten die Experten schon diesen Sonntag in Kairo landen sollen. Da die Vorstellungen beider Seiten noch weit auseinanderliegen und weil die Ägypter einige Fragen schon vor Beginn der Expertenmission klären wollten, hat man die Untersuchung in letzter Minute nun auf den Herbst verschoben.

Die Ägypter hoffen, dass das Importverbot bald aufgehoben wird. Aus EU-Kreisen heißt es dagegen, es sei kurzfristig höchstens damit zu rechnen, dass einige andere Samen und Sprossen, die aus Sicherheitsgründen ebenfalls verboten worden waren, von der Liste gestrichen würden.

Die Spurensuche sollte die EU-Experten zunächst ins Landwirtschaftsministerium führen, wo Ali Soliman, der Vorsitzende der zentralen Verwaltungseinheit für Pflanzen-Quarantäne, an diesem heißen Sommertag entnervt mit einem Kugelschreiber auf den Tisch pocht. «Ja, wir sind ein Dritte-Welt-Land, trotzdem kommt dieser Keim nicht aus Ägypten», schimpft er.

Die EU-Experten werden im Herbst auch in die südliche Provinz Minia fahren müssen, wo die verdächtigen Bockshornkleesamen 2009 auf einem Bio-Hof angebaut wurden und in die Oasenstadt Fajum, wo ein Exporteur die Samen verpackte, bevor sie mit dem Schiff nach Europa gebracht wurden.

In den Stichproben der verdächtigen Samen, die in den vergangenen Wochen in Europa untersucht wurden, fand sich der Darmkeim nicht. Für die EU-Beamten ist dies aber noch kein Grund, um das bis Oktober geltende Einfuhrverbot für die Samen aus Ägypten aufzuheben. «Es ist fast unmöglich, dieses Bakterium in einer Stichprobe zu finden und nachzuweisen», erklärt Botschafter Marc Franco, der die EU-Vertretung in Kairo leitet.

«Wir mussten aber trotzdem warnen, denn die einzige Verbindung zwischen den zwei Orten in Deutschland und Frankreich, an denen wir eine hohe Zahl von Erkrankungen festgestellt haben, waren diese Bockshornkleesamen aus Ägypten», ergänzt der Botschafter. Die Ägypter sind jedoch der Ansicht, dass der Keim auch beim Transport oder beim Umverpacken in Europa auf die Samen gelangt sein könnte.

Zuerst hatten die Ägypter noch gefordert, das Importverbot müsse mangels wissenschaftlicher Beweise aufgehoben schon werden, bevor sie überhaupt bereit wären, die EU-Experten zu empfangen. Doch dann verlangten sie von der EU lediglich die Beantwortung von 20 Fragen, zu denen nach ägyptischen Angaben bis zum Donnerstag vier Antworten nach Kairo übermittelt wurden.

Was die Ägypter alarmiert, ist, dass die europäischen Verbraucher sofort alle ägyptischen Agrarprodukte in «Sippenhaft» nahmen. Die Exporte der Ägypter in die EU gingen drastisch zurück, was die noch unter den Nachwehen ihrer Revolution leidende Wirtschaft des Landes nur schwer verkraften kann. Aufgeschreckt von der EU erstellten auch Russland und die Ukraine eine Liste von ägyptischen Produkten, die vorerst nicht eingeführt werden dürfen. In Kairo begriff man jetzt den Ernst der Lage.

Um die Europäer davon zu überzeugen, dass die ägyptischen Bio-Samen mit der Epidemie nichts zu tun haben, baten die Beamten in Kairo sogar Ärzte der US-Marine um Hilfe. Die Mediziner untersuchten vergangene Woche 367 Proben von Kindern, die in den Jahren 2009 und 2010 wegen bakterieller Durchfallerkrankungen behandelt worden waren. Das ergab keinerlei Hinweise auf EHEC.

Dass unabhängige ägyptische Medien in den vergangenen Jahren schon mehrfach über Fälle berichtet hatten, in denen Abwasser aus Wohnsiedlungen in landwirtschaftliche Bewässerungssysteme gelangt war, erschwert nun die Argumentation der ägyptischen Behörden. «Wenn wir so etwas hören, dann wird der Bauernhof immer sofort geschlossen», erklärt Salah Jussif, der Direktor der Dienstleistungsbehörde im Landwirtschaftsministerium. Doch wer Ägypten kennt, weiß, dass zwischen Theorie und Praxis gelegentlich große Lücken klaffen. Schließlich stehen derzeit zahlreiche Funktionäre aus der Ära von Ex-Präsident Husni Mubarak wegen Korruption vor Gericht.

Soliman und sein Kollege Salah Jussi sind auf jeden Fall der Meinung, dass die Europäer jetzt sich selbst und die Bürger der Staaten, in die sie ihre Agrarprodukte exportieren, einem großen Risiko aussetzen, weil ihre Experten die ägyptischen Samen als vermeintlichen Schuldigen ausgemacht haben, «und deshalb aufgehört haben, nach der wahren Ursache der Epidemie zu suchen». Auf den Gemüsemärkten in Kairo spielt die EHEC-Krise aber momentan keine Rolle. Hier wird nur darüber diskutiert, wie frisch oder teuer die Ware ist. (dpa)
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