Die großen Fleischstücke sind von grünen Flecken überzogen. Trotzdem verarbeitet ein Mitarbeiter in der Fleisch-Fabrik in der Nähe von Shanghai die Stücke weiter. Die verwackelten Kameraaufnahmen von einem Reporterteam aus Shanghai erschüttern erneut das Vertrauen von Chinas Verbrauchern in die Lebensmittelsicherheit. Seit Jahren verspricht die Regierung Verbesserungen. Aber immer neue Skandale werden öffentlich.
«Das Fleisch ist doch seit einem halben Monat abgelaufen», stellt der als Angestellter getarnte Journalist des Sender Dragon TV fest. Ein Arbeiter in weißem Schutzanzug antwortet nur achselzuckend: «Das macht doch nichts.» Mehrfach filmen die Journalisten, wie Angestellte der Fabrik Fleischstücke vom Boden aufheben, und zurück in die Maschinen schmeißen.
Die Enthüllungen sind für Lin Rongquan eine Bankrotterklärung für Chinas Lebensmittelaufsicht. «Alle großen Fälle sind von Insidern enthüllt worden und nicht bei staatlichen Kontrollen aufgefallen», sagte der Experte für
Lebensmittelsicherheit von der Lebensmittelvereinigung Shanghai. «Es gibt kein Vertrauen mehr.» Über Jahre hatte Lin selbst in Chinas Lebensmittelbranche gearbeitet. Die staatlichen Kontrollen hält er für zu selten und zu nachlässig. «Wenn nicht Menschen aus den Firmen auspackten, würde niemand etwas von den Machenschaften erfahren», sagt er.
Chinas Führung hat Lebensmittelsicherheit zu einer nationalen Priorität erklärt. «Wir werden das System zur Überwachung von Lebensmitteln verbessern», hatte Ministerpräsident Li Keqiang im April auf dem Volkskongress angekündigt. Große Reformen stehen aber noch aus.
Das Thema wird zunehmen zu einem grundlegenden politischen Problem. Denn gerade Chinas Millionäre haben genug von fehlender Lebensmittelsicherheit. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Befragen Chinesen mit einem Vermögen von mindestens 10 Millionen Yuan gaben vergangenes Jahr an, dass sie bereits auswandern oder planen auszuwandern. Das ergab eine
Umfrage der China Merchants Bank und der Firma «Bain and Company». Die Gründe für das Auswandern klangen fast immer ähnlich: Unsichere Lebensmittel, verschmutztes Wasser und Smog.
Chinas Landwirtschaft steht unter gewaltigem Druck. Auf der einen Seite sollen Bauern qualitativ hochwertige Produkte für die fast 1,4 Milliarden Menschen im Land produzieren. Gleichzeitig sind die Böden in China durch Industrie und Bergbau schwer belastet.
Chinas Umweltschutzbehörde ließ für eine riesige Erhebung von 2005 an neun Jahre lang die Qualität der Erde im ganzen Land untersuchen. Das Ergebnis ist dramatisch: Rund ein Fünftel von Chinas
Agrarland ist verseucht. Zu dem Giftcocktail gehören Kadmium, Nickel und Arsen. Kurz zuvor waren Schwermetalle im Reis in Südchina entdeckt worden, und verunreinigten Mineralwasser in den Handel gelangt. Wer darauf Getreide oder Gemüse anbaut, riskiert die Gifte in Umlauf zu bringen.
Kontaminierte Lebensmittel gelangen auch nach Europa. China führte vergangenes Jahr erneut die Statistik vom Europäischen Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel (RASFF) an. Deutschland hatte zum Beispiel kontaminierte Erdbeeren aus China entdeckt. 435-mal fielen China-Importe im vergangenen Jahr auf, etwa mit Hinweisen auf verdächtigen Brokkoli, Pampelmusen oder belasteten Tee, wie aus dem RASFF-Jahresbericht hervorgeht.
Trotzdem hält Lin Rongquan Probleme bei Exporten aus China für Ausnahmen. «Die Qualität von Lebensmittel für den Außenhandel ist viel besser als bei Produkten, die in China verkauft werden», sagt er. Für den Export würden nicht die schwächeren chinesischen Standards sondern strenge internationale Regeln gelten. Lin schätzt: «Nun zehn Prozent der Lebensmittel in China halten internationale Standards ein.» (dpa)