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06.02.2011 | 09:00 | Spezialitäten aus der Heimat 

Gelbwurst und Wibele: Neu-Berliner finden den Geschmack der Heimat

Berlin - Jedes Jahr ziehen Tausende Menschen aus anderen Bundesländern in die Hauptstadt.

Gelbwurst
(c) proplanta
Sie kosten die deftige Berliner Küche und sehnen sich nach den Spezialitäten ihrer Heimat. Deshalb wächst die Zahl der Händler und Wirte, die auf regionale Delikatessen setzen.

Fleischsalat, Maultaschen, Ochsenmaulsalat: Wolfgang Stepper steht vor dem gut sortierten Kühlregal und blickt auf seine frischen Köstlichkeiten. Er schwärmt von Zwiebelkuchen und neuem Wein, speziellem Spätzlemehl und Brezeln, selbstgekochten Marmeladen von Bauersfrauen und Bärlauchpesto «von der Christel».

Seit 32 Jahren lebt Wolfgang Stepper in Berlin, wo er im Stadtteil Schöneberg seinen kleinen Laden «Ebbes» (Etwas) mit Spezialitäten aus Hohenlohe und Umgebung führt. Dort finden Schwaben den Geschmack der Heimat.

«Am Freitag war einer da, der zieht von Berlin nach Stuttgart, und der machte für seine Freunde einen schwäbischen Abend», erzählt Stepper. Eine andere Kundin habe sich mit regionalen Delikatessen eingedeckt, um sie ihrer Mutter in Südafrika mitzubringen. Ältere Landsleute rufen «Ach, da gibts Wibele!», wenn sie im «Ebbes» lang entbehrtes Gebäck aus ihrer Kinderzeit entdecken. «Aber es sind nicht nur Schwaben, die was bei mir holen», betont Stepper. Und wie zum Beweis betritt ein Kunde aus New York das Geschäft und lässt sich ein Stück Zwiebelkuchen abschneiden.

Als der Schwabe Stepper seine Arbeit in einer Berliner Druckerei verlor und vor sechseinhalb Jahren sein Delikatessengeschäft öffnete, gehörte er zu den Pionieren im hauptstädtischen Handel mit Feinkost aus deutschen Landen. Andere folgten, wie Mona Zappe. «Wir haben mit Märkten angefangen vor anderthalb Jahren», erzählt sie. Zappe führt mit ihrem Mann Friedrich die «Fränkische Botschaft Berlin», denn «das gute Essen insgesamt», das vermissten die Franken in Berlin am meisten, meint sie.

Die Berliner Spezialitätenläden liegen voll im Trend. Mit beachtlichem Erfolg setzen verschiedene Medien neuerdings auf Themen wie Heimat oder Leben auf dem Lande. Gerade in der Hauptstadt ist die Zahl der Menschen, die nach ihren heimischen Produkten suchen, in den vergangenen Jahren rapide gewachsen.

Seit 1998 sind ­ mit Ausnahme des Jahres 2004 ­ alljährlich Tausende Deutsche aus den alten Bundesländern in die Millionenstadt gezogen. Für 2009 weisen die neuesten Zahlen des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg einen Zustrom von 12 204 Deutschen und 1608 Ausländern aus den alten Bundesländern in die Hauptstadt aus. Auch aus den neuen Bundesländern ziehen immer mehr Menschen zu. Beim Essen halten viele Neu-Berliner dann an alten Gewohnheiten fest.

«Es fängt beim Brot an und geht über Wurscht und Wein bis zum Bier», sagt Friedrich Zappe, der seine Ware selbst aus Franken nach Berlin karrt: «Ich habe heute früh allein 16 Metzger besucht und von den besten noch das Beste rausgesucht.» Vom weltberühmten KaDeWe mit seiner riesigen Delikatessenabteilung hält der Franke wenig.

«Gelbwurscht bekommen Sie in ganz Berlin nicht, das muss authentisch sein», behauptet er. «Was wir haben, können Sie nirgendwo anders kaufen.»

Ob das wirklich stimmt? Einige Kilometer östlich der «Fränkischen Botschaft» hat sich in einer stillen Allee des Stadtteils Neukölln zwischen einem geschlossenen Friseursalon und einem türkischen Bildungsverein kürzlich die «Frankenbier Connection» etabliert.

«Jeder, der aus Bamberg kommt, kennt die Gelbwurst. Die bekommt dort jedes Kind beim Metzger in die Hand», erzählt «Connection»-Verkäufer Karl-Heinz Urbanec («Ich bin aus Bamberg direkt, aber schon seit 30 Jahren in Berlin»). Und sie liegt natürlich auch in der Kühltheke neben den Coburger Bratwürsten, die vom Vorgrillen auf Tannenzapfen ihren besonderen Geschmack bekommen.

Wie Mona Zappe («Alles Handarbeit und aus dem Holzbackofen») schwärmt auch Karl-Heinz Urbanec vom fränkischen Sauerteigbrot: «Ich habe in Asien nach drei, vier Wochen manchmal davon geträumt.» Zweimal die Woche bezieht sein Chef Thilo Zeller die gewürzte Köstlichkeit von einer kleinen Bäckerei in Bamberg. Oft gehen 30 Kilogramm binnen zwei Tagen über die Ladentheke. Und dann ist da noch das flüssige Brot der Franken, das Bier.

70 bis 90 Sorten habe der Laden in Neukölln ständig im Angebot, 20 bis 30 weitere im steten Wechsel. «Es ist kein einziges Industriebier dabei», betont der Verkäufer. Die «Fränkische Botschaft» beschränkt sich auf 10 bis 15 Sorten, «weil uns einfach die Logistik überfordert», aber auch Mona Zappe preist die Vielfalt. 274 Brauereien seien in Bamberg und 60 Kilometer Umkreis aktiv: «Wir haben die höchste Brauereidichte der Welt.»

Was den Franken ihr Bier, ist den Ostfriesen ihr Tee und den Frankfurtern ihr Apfelwein. Im KaDeWe stehen Mischungen des ostfriesischen Herstellers Bünting zu Preisen im Regal, die kein Ostfriese daheim auch nur im Traum zu zahlen bereit wäre. Aber ein Edeka-Markt im Stadtteil Wilmersdorf führt zu moderaten Tarifen den echten Emder Thiele-Tee: «Das war ein Kundenwunsch», erzählt die stellvertretende Marktleiterin Heike Zobel. Die Einkaufszentrale habe den exotischen Import dann eingefädelt.

Anderswo waren die Wege noch verschlungener. «Als Eintracht-Fan ist mein hessischer Hauptbezugspunkt in Berlin das Café Royal in Friedrichshain», bekennt ein Frankfurter, der das Lokal als «eine ziemlich fertige Spelunke» beschreibt. Die Spezialität auf der Speisekarte ­ ein hessischer Weißkohlauflauf mit Hack und Speck - heißt «Fraaß». Und doch haben die Köche maßgeblich zur Beliebtheit der Eckkneipe beigetragen. «Die Köche sind Frankfurter und haben sich geweigert zu kommen, wenn sie nicht Apfelwein kriegen und Eintracht schauen dürfen», sagte der Wirt Sven Neumann, ein Brandenburger.

«Das erste Eintracht-Spiel», erinnert der 37-Jährige sich, «haben wir hier vor drei Jahren mit 10 oder 15 Leuten geschaut. Dann hat sich das rumgesprochen.» Nun ist der Laden brechend voll, viele starren stehend auf die Großbildleinwand. Väter und Söhne sind im schwarzroten Trikot mit dem Adler gekommen, es gibt Handkäs mit Musik und aus dem einzigen Zapfhahn an der Theke läuft Rapp's Apfelwein in gerippte Gläser.

«Ich komme wegen der Mischung aus Fußball und Äppler», gesteht Caspar von Schoeler, Sohn des Frankfurter Ex-Oberbürgermeisters Andreas von Schoeler. Er sei zum ersten Mal im Royal und gekommen, «weil das schon in der Szene einen Namen hat». Eine namhafte Adresse selbst in den Touristenführern hat längst auch die «Ständige Vertretung» am Schiffbauerdamm, ein Lokal, das rechtzeitig zum Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin die rheinische Küche an die Spree brachte.

Überhaupt sind Restaurants mit regionaler Küche Legion in Berlin. «Ich versuche einerseits, den Schwaben eine Heimat zu bieten, und andererseits, den Berlinern ein Stück schwäbisches Lebensgefühl zu vermitteln», sagt beispielsweise die Wirtin des Restaurants «Antiqua», Corinna Hägele. Ihr Koch ist seit 30 Jahren mit einer Schwäbin verheiratet und bringt neben Maultaschen und Kässpätzle auch Kutteln, Linsengerichte, Elsässer Wurstsalat und die eher badischen Schäufele mit Sauerkraut auf den Tisch.

Es muss aber keineswegs immer Schwaben sein und ebenso wenig ein Restaurantbesuch. «Brandenburger Landwaren» verspricht der Lebensmittelladen von Hasan Kustulan in der Oranienstraße in Kreuzberg: Salat, Möhren, Kürbis, Lauch, Äpfel, Birnen, Kartoffeln, Tomaten, Gurken, aber auch Müsli, Hirseflocken, Lein- und Rapsöl, Eier Milch, Wurst, Honig, Kräutertees und Joghurt stammen aus regionaler Produktion: «Was hier wächst, ist für mich erste Wahl», sagt Kustulan.

Waren aus dem weiteren Berliner Umland bringen zudem die Q-Regio- Läden in die Stadt. «Senf wird gerne gekauft und Spezialitäten wie Wurst zum Beispiel», sagt Daniela Colantuono, die am Stand in der Marheineke-Markthalle bedient. Die womöglich «frischeste Milch Berlins» gibt es dort («15 Sekunden auf 73 Grad erhitzt, direkt vom Euter») und Gellerts Butterbirnen. Bei manchen Kunden wird da Heimweh wach, erzählt Colantuono: «Die erinnern sich dann daran, dass sie diese Birne in ihrem Garten hatten an ihrem Birnbaum.» Einige besuchten dann sogar den Hof, der das Obst anbaut.

So versorgt Daniela Colantuono ihre Kunden mit dem Geschmack der Heimat. Sie selbst ist bei manchen Dingen auf Päckchen aus ihrer Schweizer Heimat angewiesen. «Meine Eltern schicken mir Bärentatzen ­ das sind so Kekse», sagt sie. In Berlin finde sie wohl Appenzeller aus der Heimat und könne «in bestimmten Lokalen» auch Rivella trinken. «Aber die Schweizer Kalbsbratwurst gibts nicht.» (dpa)
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