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15.04.2023 | 01:06 | FSME 

Hirnhautentzündung durch Zeckenstiche nehmen massiv zu

Stuttgart/München - Das Risiko für die meistens von Zecken übertragene Hirnentzündung FSME steigt nach Einschätzung von Experten deutlich - durch den Klimawandel und durch zahlreiche eingeschleppte Viren vor allem aus Osteuropa.

Zecken-Saison 2023
Schnell hat man sich in der Natur eine Zecke gefangen. Die Plagegeister können die Hirnhautentzündung FSME übertragen. Die Zahl der Fälle steigt, die der Risikogebiete auch. Aber die Zeckengefahr scheint immer noch nicht ganz ernst genommen zu werden. (c) Ste2.0 - fotolia.com
«Die Zahl der Naturherde nimmt zu und damit auch das Risiko, sich zu infizieren», sagte Gerhard Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Er geht davon aus, dass die Viren durch wandernde Tiere und durch Zugvögel aus Nord- und Südeuropa eingeschleppt werden. «Anscheinend sind die Bedingungen in den Bergregionen wie in Österreich, dem Bayerischen Wald und Sachsen mittlerweile auch durch den Klimawandel so geeignet für das Virus, dass es sich dort etablieren kann.»

In Baden-Württemberg gehöre der Landkreis Ravensburg aus diesen Gründen zu den «Hotspots». «Da ist genau das gleiche in den letzten fünf Jahren passiert», sagte Dobler am Freitag bei einer Video-Konferenz mit anderen Experten. «Wir finden dort eine Vielzahl von unterschiedlichen FSME-Viren, die in den vergangenen Jahren eingewandert sein müssen und sich etablieren konnten.» Viren könnten sich auch in anderen Gebieten immer stärker durchsetzen, obwohl diese vor zehn Jahren noch gar nicht für die FSME geeignet gewesen seien.

Es könne aber mittlerweile für keine Region in Deutschland Entwarnung gegeben werden, betonte Ute Mackenstedt, die Leiterin des Fachgebietes Parasitologie der Universität Hohenheim in Stuttgart. «Was die FSME betrifft, ist Deutschland inzwischen ein bundesweites Endemie-Gebiet.» Außerdem gebe es eine Aktivität «nach vorne», FSME-Fälle träten wegen der steigenden Temperaturen schon früher im Jahr auf als bislang. Auch Dobler sagte, er habe bereits im Februar Zecken in einem Münchner Park entdeckt.

Erst Anfang des Monates hatte das Robert Koch-Institut (RKI) drei neue deutsche FSME-Risikogebiete in Bayern und Sachsen ausgewiesen. Ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht laut RKI vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, in Südhessen, im südöstlichen Thüringen, in Sachsen und im südöstlichen Brandenburg. Ute Mackenstedt vom Fachgebiet Parasitologie der Universität Hohenheim in Stuttgart betonte am Freitag aber, das Risiko sei auch in Norddeutschland gegeben, es sei dort nur vergleichsweise geringer. Mehr als 80 Prozent der FSME-Fälle werden in Baden-Württemberg und Bayern registriert.

In den ausgewiesenen Risikogebieten empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) eine FSME-Impfung. Die meisten Infektionen verlaufen zwar ohne Symptome, das Risiko einer schweren Erkrankung ist bei Menschen über 60 Jahren aber deutlich erhöht. Laut RKI ist allerdings nur etwa jeder Fünfte in Baden-Württemberg geimpft. Dobler spricht von stagnierenden und teils auch sinkenden Werten trotz einer steigenden FSME-Fallzahl. Er rief zur Impfung auf. «Es ist jeder selber angesprochen, ganz abhängig davon, wie er sich verhält», sagte auch Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. «Wer einmal auf einem befestigten Waldweg spazieren geht, der braucht keine Impfung. Wer sich aber in der Natur aufhält, wer wandert oder Pilze sammelt, dem empfehlen wir sie. Egal, wo er wohnt.»

Die Experten warnten zudem vor Fehldiagnosen bei Kindern, weil Infektionen nach Bissen der Zecken aus ihrer Sicht auch sehr untypische Symptome hervorrufen können. «Wir sehen, dass die Frühsommer-Meningoenzephalitis vor allem im Erststadium und erst recht bei Kindern relativ unspezifisch verlaufen kann», sagte Dobler. «Leider gibt es aber noch Kinderärzte, die glauben, dass es die FSME bei Kindern nicht gibt und die daher bei der Diagnose auch nicht daran denken.»

Die bekanntesten FSME-Symptome seien zwar Gehirn- und Hirnhautentzündung, sagte der Münchner Experte. Unter Umständen könnten aber auch Anzeichen einer Sommergrippe wie Fieber, Kopfschmerzen oder Erbrechen und selbst Darmsymptome auf eine sogenannte FSME-Infektion hindeuten. Das sei noch zu oft nicht bekannt. Dobler sprach unter anderem von einem Fall aus einem Hochrisikogebiet. Dort sei eine Mutter mit ihrem fünf Jahre alten Kind drei Mal in einem Krankenhaus gewesen und nach Hause geschickt worden, bevor sich die Ärzte beim vierten Anlauf für eine FSME-Diagnostik entschieden und diese auch entdeckt hätten.

Es gebe auch zunehmend Fälle mit einer völlig untypischen Symptomatik, sagte Dobler. So habe sich in München eine Darmlähmung nach zwei Wochen als FSME herausgestellt, es gebe aber auch Leber- und Herzentzündungen, die damit zusammenhingen. In Tschechien würden laut Studien zwei Drittel zwei Drittel der FSME-Fälle bei Kindern zunächst falsch diagnostiziert. Ähnliche Studien in Deutschland gebe es nicht. Dobler rief Ärzte aber dazu auf, sich nicht alleine auf die FSME-Risikokarte des RKI zu verlassen.
dpa/lsw
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