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21.04.2022 | 11:13 | Steigende Preise 

Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln auf Null senken?

Berlin - Angesichts stark steigender Lebensmittelpreise fordern Sozial- und Verbraucherverbände breite Entlastung über eine komplette Mehrwertsteuerbefreiung für bestimmte Produkte.

Nahrungsmittel
Supermarktkunden merken es gerade an der Kasse: Viele Lebensmittel werden teurer. Kann der Staat das abfedern und auf «seinen» Anteil am Preis verzichten? Befürworter weisen auf neue Möglichkeiten hin. (c) proplanta
Die Bundesregierung solle neue EU-rechtliche Möglichkeiten dafür ergreifen und den Steuersatz auf null Prozent setzen, verlangten der Sozialverband VdK, die Verbraucherzentralen und die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Das facht auch die generelle Debatte darüber an, die Preisschraube beim Lebensmittelkauf stärker einzusetzen - für Anreize, aber auch für gezielte Aufschläge für gesündere Ernährung und mehr Tierschutz.

Durch die hohe Inflationsrate kämen immer mehr Menschen an ihre finanziellen Grenzen, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele der Deutschen Presse-Agentur. Geringverdiener, Rentner und Grundsicherungsempfänger wüssten nicht mehr, wie sie Lebensmittel oder ihre Stromrechnung bezahlen sollten. «Der VdK fordert deshalb, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel drastisch zu senken, und zwar auf null Prozent. Die Bundesregierung muss diese Möglichkeit, die es nun für alle EU-Mitgliedsstaaten gibt, voll ausschöpfen.»

Weitgehend unbemerkt war vor zwei Wochen eine Änderung der sogenannten EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Kraft getreten. Sie legt gemeinsame Vorgaben für die Mehrwertsteuer fest: Der reguläre Steuersatz muss mindestens bei 15 Prozent liegen, der ermäßigte bei mindestens 5 Prozent.

Gänzliche Steuerbefreiungen sind nur in bestimmten Bereichen möglich - und zwar seit der Änderung nun auch bei Lebensmitteln und anderen Gütern zum Decken der Grundbedürfnisse. In Deutschland liegt der Regelsatz bei 19 Prozent. Der reduzierte Satz von 7 Prozent subventioniert Produkte, die dem Gemeinwohl dienen - darunter auch Grundnahrungsmittel wie Milch, Fleisch oder Backwaren.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband sprach sich für eine völlige Abschaffung der Mehrwertsteuer speziell bei Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten aus. Dies würde die Auswirkungen steigender Preise abfedern, was aktuell gerade für Haushalte mit niedrigem Einkommen wichtig sei, sagte Lebensmittel-Referentin Christiane Seidel. «Gleichzeitig würde es vielen Menschen eine gesunde Ernährung erleichtern und einen Beitrag für eine klimafreundliche Lebensmittelproduktion leisten.»

Ähnliche Forderungen kommen von der Deutschen Diabetes Gesellschaft. «Eine gesunde Ernährung darf keine Frage des Geldbeutels sein», sagte Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Die Bundesregierung müsse die neuen rechtlichen Spielräume nutzen und die Mehrwertsteuer für Gemüse und Obst abschaffen. Sie forderte im Gegenzug, «die Hersteller überzuckerter Getränke» zur Kasse zu bitten. «Zuckergetränke sind ein wesentlicher Treiber für Adipositas und Diabetes.» Die Hersteller bräuchten wirksame Anreize, den Zuckergehalt drastisch zu reduzieren.

Das Leben in Deutschland hat sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs sprunghaft weiter verteuert, Entspannung bei den Verbraucherpreisen ist vorerst nicht in Sicht. Energie und auch Lebensmittel werden zusehends teurer. Im März kosteten Nahrungsmittel nach Angaben des Statistischen Bundesamts 6,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Teurer wurden vor allem Speisefette und Speiseöle (plus 17,2 Prozent) sowie frisches Gemüse (plus 14,8 Prozent).

Ein Ansetzen bei der Mehrwertsteuer könnte vor allem Menschen mit geringen Einkommen unterstützen - da sie einen größeren Teil ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel ausgeben als Menschen mit hohem Einkommen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erläuterte.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagte der «Augsburger Allgemeinen»: «Die Bundesregierung sollte den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent temporär abschaffen, da dadurch vor allem Lebensmittel und andere Dinge der Grundversorgung günstiger würden und den Menschen schnell und unbürokratisch Hilfe zukäme.»

Die Regierung hatte in der Debatte um Entlastungen erklärt, generell würden alle Marktentwicklungen beobachtet. Sie verwies bisher vor allem auf die auf den Weg gebrachten umfassenden Entlastungspakete in Milliardenhöhe.

Generell stehen auch Preisaufschläge bei bestimmten Lebensmitteln im Blick. Dabei geht es darum, einen Umbau zu mehr Tierschutz in den Ställen durchzusetzen, ohne dass die Bauern auf Mehrkosten sitzen bleiben. Über ein Finanzierungssystem wird in der Ampel-Koalition beraten.

Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) legte sich noch nicht auf ein Modell fest, ließ aber Sympathien für eine Umlage erkennen. Im Gespräch ist nach Empfehlungen einer Expertenkommission eine Tierwohlabgabe auf tierische Produkte. Denkbar wäre etwa ein Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch.
dpa
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