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12.10.2019 | 05:16 | Lebensmittelsicherheit 

Mit Miet-Ferkeln zu mehr Lebensmitteltransparenz

Aitrang / Kempten - Verdorbenes Fleisch, Schimmel, Mäusedreck im Produktionsbereich - gegen einen hessischen Wursthersteller stehen schwere Vorwürfe im Raum.

Verbraucher kaufen Ferkel
Auf einem Allgäuer Hof kauft der Kunde ein Ferkel und lässt es bis zur Schlachtreife in artgerechter Haltung vom Bauern aufziehen. Ist das ein Konzept für mehr Transparenz in der Lebensmittelbranche, oder reichen die bestehenden Kontrollmechanismen aus? (c) proplanta
Menschen sollen am Verzehr von keimbelasteter Wurst der Firma gestorben sein. Aktuell kommt ein Rückruf von Milchpackungen des Deutschen Milchkontors und des Unternehmens Fude + Serrahn hinzu - Bakterien könnten Durchfallerkrankungen auslösen. Viele Verbraucher sind irritiert, wie sicher Lebensmittel eigentlich sind. Kann man den Lebensmittelkontrollen überhaupt noch vertrauen?

Yvonne und Florian Sterzing aus Kempten haben eine Antwort: Ihre künftigen Schnitzel tollen derzeit auf einer Weide von Peter Sigls Hof in Aitrang (Landkreis Ostallgäu) herum. «Wir wollen sichergehen, dass das Tier, das wir essen, artgerecht gehalten wurde», sagt Florian Sterzing.

Auf «Sigls Ranch», wie der Hobby-Bauer seinen Hof nennt, grunzen 25 schwarzgefleckte Turopolje-Schweine. In etwa acht bis zehn Wochen nach der Geburt werden die Ferkel für je 130 Euro an verschiedene Besitzer verkauft. Die Tiere bleiben mit ihren Geschwistern in der gewohnten Umgebung, dürfen sich im Dreck suhlen, fressen frisches Gras, Heu oder Silage. Die Sterzings haben sich zwei der Schweine ausgesucht: Nummer 129 und 133. Monatlich zahlen sie pro Tier 35 Euro. Geschlachtet werden sie nach 15 Monaten, nicht schon nach sechs, wie in der konventionellen Haltung.

Vom Rüssel bis zum Ringelschwanz wird alles verwertet. Je nach Geschmack in Form von Sülze, Schnitzel, Wurst, Kotelett - vakuumiert und beschriftet. Der Kilopreis ist in etwa vergleichbar mit dem bei einem Bio-Schwein.

«Schweine-Leasing» nennt der 48-Jährige das Konzept, das er von Landwirt Anton Dapont aus Niederbayern übernommen hat. Ökobauer Dapont war laut eigener Aussage der erste in Bayern, der «Tier-Leasing» angeboten hat. «Im Prinzip ist es kein Leasing, denn der Kunde bekommt am Ende das komplette Tier. Es ist eher eine Form der Lohnmast - nur bei diesem Wort, würde sich kein Käufer umdrehen», erzählt Dapont, der auch Rinder- und Schaf-Leasing anbietet.

Massentauglich sei das Konzept nicht, da die Deutschen viel zu viel Fleisch äßen. Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung esse ein durchschnittlicher Bundesbürger im Jahr etwa 60 Kilogramm Fleisch - mehr als die Hälfte davon stammt vom Schwein.

Auch andere Anbieter haben das Geschäft mit dem nachvollziehbar produzierten Fleisch entdeckt: Unter dem Schlagwort «Crowdbutching» (deutsch: «Gruppenschlachtung») findet man im Internet Plattformen wie «Kaufnekuh.de», «Kaufeinschwein.de», «Kaufeinhuhn.de». Bauern können dort ihr Tier als «Bio-Kuh», «Bio-Schwein», «Bio-Huhn», «Classic-Kuh», «Wasserbüffel», «Strohschwein» oder «Wanderhuhn» anbieten.

Im Gegensatz zum Lohnmast-Modell muss der Kunde nicht das gesamte Tier kaufen, sondern kann Anteile erwerben, die portioniert als Steak, Wurst, Braten und so weiter zugeliefert werden. Das Tier wird erst geschlachtet, wenn es zu hundert Prozent verkauft wurde, heißt es auf den Websites.

Aber müssen Verbraucher so einen Aufwand betreiben, um sicherzugehen, dass die Lebensmittel aus dem Geschäft sicher sind? Es hört sich ein bisschen absurd an, aber gerade der aktuelle Rückruf von Milchpackungen zeigt, dass die Selbstkontrollen der Branche auch funktionieren können und Verbraucher bei Pannen schnell gewarnt werden. Denn Eigenkontrollen führten zu dem Rückruf, dieser wurde auch auf der Seite lebensmittelwarnung.de veröffentlicht.

Die Lebensmittelhersteller sind laut Gesetz dafür verantwortlich, sichere Lebensmittel herzustellen, sagt Anne Markwardt von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Die amtliche Lebensmittelüberwachung ist dafür zuständig, punktuell zu kontrollieren, ob das auch funktioniert. Bei dem Fleischverarbeiter Wilke habe das System aus der Sicht Markwardts nicht funktioniert.

Verbraucherschützer sehen noch viele Verbesserungsmöglichkeiten bei der Lebensmittelüberwachung. So müsse sie deutlich transparenter werden, etwa durch die regelmäßige Veröffentlichung der Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen. «Dann würden die Verbraucher sehen, aha, hier ist seit Monaten oder sogar Jahren nichts zu beanstanden gewesen», sagt Markwardt. Im Falle einer Panne, die sich nie zu hundert Prozent ausschließen lasse, wären die Verbraucher nicht so stark verunsichert. Zusätzlich motiviere das die Hersteller auch viel stärker, vernünftige Qualitäts- und Sicherheitskonzepte zu entwickeln.

Aus Sicht der Verbraucherzentrale Bundesverband müsste die Arbeit der amtlichen Kontrolleure anders organisiert werden. Derzeit sind rund 400 kommunale Behörden mit den Lebensmittelkontrollen betreut. Die Beurteilung, wann ein Rückruf notwendig sei, und ob und in welcher Höhe Bußgeldern verhängt würden, sei regional sehr unterschiedlich.

«Es muss einheitliche Standards geben», fordert Markwardt. Nicht nur im Fall von Wilke sehe man auch einen Interessenkonflikt zwischen dem Landkreis als Institution der Wirtschaftsförderung und als Kontrollinstanz. «Die Verantwortung für die Überwachung muss bei den Ländern liegen», sagt die Verbraucherschützerin.

Die Behörden müssten auch das Recht haben, von sich aus Lebensmittelwarnungen auszugeben - bislang dürfen sie Warnungen der Unternehmen nicht vorgreifen. Und: Daten über Lieferketten und Abnehmer bis zur Endverkaufsstelle müssten schneller bei den Behörden sein.

«Im digitalen Zeitalter sollten Behörden nicht mehr mühsam Daten zusammenpuzzeln müssen, sondern umgehend Zugang zu allen notwendigen Informationen erhalten, um diese auch im Zuge eines öffentlichen Rückrufs so schnell wie möglich an die Verbraucher weitergeben zu können», fordert Markwardt
dpa
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