Jeder zweite sieht sich und seine Familie davon betroffen. Das geht aus einer Studie der Universität
Hohenheim und der ING-Diba hervor. Zwischen der «offiziellen» Inflation, die das Statistische Bundesamt nach einem repräsentativen Warenkorb berechnet und der «gefühlten Inflation» klafft eine Lücke. Was ist der Grund dafür?
Bei 0,8 Prozent lag die jährliche Inflationsrate nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Juli. Selbst der kräftige Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln, der viel zur «gefühlten Inflation» beiträgt, kam in den vergangenen Monaten zum Erliegen.
Im Juli wurden zwar Molkereiprodukte und Brot teurer. Für Obst und Gemüse mussten die Verbraucher aber zum Teil deutlich weniger als im Vorjahr zahlen. Doch der Studie zufolge sind 42 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass die meisten Produkte teurer werden, ein Viertel hat dieses Gefühl bei ausgewählten Produkten. 17 Prozent der mehr als 1.000 Befragten finden sogar, dass alles teurer wird.
«Viele Menschen haben das Gefühl, die Inflation steigt, wenn Produkte teurer werden, die bar bezahlt werden, wie beispielsweise Brötchen», sagt der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater. Dass Fernseher billiger würden, kompensiere nicht den «Ärger über den Anstieg der kleinen Preise».
Die Teuerungsrate, die das Statistische Bundesamt allmonatlich bekanntgibt, ist ein Durchschnittswert, der dem einzelnen Verbraucher und seinem Einkaufsverhalten nicht unbedingt gerecht wird. Grundlage für die Berechnung ist ein Warenkorb aus rund 600 Güterarten, der regelmäßig aktualisiert wird. Miet- und Energiekosten werden am stärksten berücksichtigt, aber Lebensmittel und Kosten für Freizeitaktivitäten werden berücksichtigt.
«Für die Konsumenten sind häufig andere Produkte wichtiger als die im offiziellen Warenkorb für die Inflationsberechnung enthaltenen. Und die Verbraucher gewichten natürlich oft anders», sagt Claudia Mast, Studienleiterin und Professorin an der Universität Hohenheim. Die von der Wiesbadener Behörde ermittelte Rate sei vor allem für Konjunkturexperten wichtig, um festzustellen, ob die Wirtschaft funktioniere, sagt Kater. «Dafür ist sie geeignet und ausreichend».
Verbrauchern bieten die Wiesbadener Statistiker auf ihrer Internetseite einen «persönlichen Inflationsrechner» an. Dort können sie die Gewichtung einzelner Warengruppen nach ihren persönlichen Ausgaben verändern und so erfahren, wie sehr sich ihr Leben verteuert hat.
Wie sehr die Verbraucher die Sorge vor Preissteigerungen umtreibt, zeigt auch die Frage nach der Zukunft: Acht von zehn Bundesbürgern gehen der Studie zufolge davon aus, dass Deutschland das Problem noch lange beschäftigen wird.
Angesichts der jüngsten Tarifabschlüsse und niedriger Inflationsraten dürften in diesem Jahr hohe Reallohnsteigerungen anstehen. Die Tarifgehälter werden nach Berechnungen des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung im Schnitt um 3,1 Prozent steigen und damit deutlich über der erwarteten Teuerungsrate liegen. Dennoch machten sich viele Menschen Gedanken, dass die Preise für Dinge, die für sie wichtig sind - wie Benzin, Mieten oder Heizkosten - schneller stiegen als ihre Löhne oder Renten, sagt Mast.
Hinzu kommen Sorgen um künftige Entwicklungen: Viele befürchteten beispielsweise einen Anstieg der Inflation angesichts der Verschuldungspolitik vieler Staaten und der großzügigen Kreditvergabe der Europäischen Zentralbank (EZB), erläutert die Wissenschaftlerin: «Solche Befürchtungen oder gar Ängste, die sich auf die Zukunft beziehen, werden in die Gegenwart projiziert. Sie verstärken das Gefühl, dass letztlich alles teurer wird.»
Der Warenkorb zur Ermittlung der Inflationsrate
Der Verbraucherpreisindex zeigt die Preisentwicklung bei Waren und Dienstleistungen. Grundlage für die Berechnung ist ein Warenkorb aus rund 600 Güterarten. In Deutschland werden jeden Monat etwa 300.000 Einzelpreise der gleichen Produkte in denselben Geschäften ermittelt, bei einheitlichen Preisen etwa für Bücher geschieht dies im Internet.
Den größten Anteil im Warenkorb macht das Wohnen (Mieten, Strom, Gas) mit fast 32 Prozent aus. Gut 10 Prozent entfallen auf Lebensmittel. Die Ausgaben für Verkehr schlagen mit 13,5 Prozent zu Buche, diejenigen für Freizeit, Unterhaltung und Kultur mit 11,5 Prozent. Die Inflationsrate ist ein Indikator für die Geldwertstabilität. (dpa)