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20.06.2020 | 13:32 | Fleischindustrie 

Verbraucherschützer: Beim Fleischkauf auf Lage in Branche achten

Berlin - Nach einem erneuten Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb mit Werkverträgen raten Verbraucherschützer, beim Kauf von Fleischprodukten auch die Arbeitsbedingungen kritisch zu hinterfragen.

Fleischprodukte 2020
In vielen Schlachthöfen arbeiten Menschen mit Werkverträgen unter schlechten Arbeitsbedingungen. Ein weiterer Corona-Ausbruch sorgt für hitzige Debatten. Aber auch Verbraucher können tätig werden. (c) proplanta
«Beim Fleischkauf sollte man generell darauf achten, dass nicht das Billigste auch das Beste ist», sagte Lebensmittelexperte Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen der Deutschen Presse-Agentur. Er empfehle, weniger Fleisch zu essen und dafür mehr auszugeben.

Wegen des neuartigen Coronavirus müssten sich Verbraucher beim Fleischkauf keine Sorgen machen, so der Experte. Bisher seien keine Fälle bekannt, bei denen das Virus von Lebensmitteln übertragen worden sei. «Ich würde deshalb nicht den Fleischverzehr skandalisieren, sondern die Arbeits- und Wohnbedingungen», sagte Burdick. Die Verbraucherschützer von Foodwatch sagten: «Die Masse der Corona-Infektionen in Schlachthöfen ist nur Symptom eines krankhaft auf Billig-Produktion ausgelegten Systems.»

Am Mittwoch war bekannt geworden, dass es unter den Mitarbeitern des größten deutschen Schlachtbetriebs von Tönnies bei Rheda-Wiedenbrück zu einem Ausbruch mit einer Vielzahl von Corona-Infizierten gekommen ist. Bereits im Mai war es bei auf einem Schlachthof von Westfleisch im Kreis Coesfeld zu einem Corona-Ausbruch gekommen.

Die Bundesregierung erklärte Ende Mai, gegen Missstände in der Fleischbranche durchgreifen zu wollen. Ab kommendem Jahr soll das Schlachten und Verarbeiten von Fleisch nur noch mit Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig sein. Dafür Werkverträge zu vergeben, wäre dann tabu. Das Verbot soll auf industrielle Fleischwerke, auch von großen Handelsketten und Familienunternehmern - aber zum Beispiel nicht auf kleinere Handwerks-Schlachtereien oder Wurstbestellungen von Verbrauchern im Supermarkt zielen.

Die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gasstätten (NGG) glaubt an eine Umsetzung des geplanten Verbots von Werkverträgen in der Fleischindustrie zum nächsten Jahr. Der zeitliche Rahmen sei realistisch, sagte ein NGG-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Es sei ein Scheinargument, dass Betriebe Probleme hätten, Personal zu finden. Dieses sei ja bereits da. Die Gewerkschaft erwarte, dass die Fleischindustrie in der Einflussaufnahme auf die Politik nun keinen Erfolg mehr haben werde. «Es ist ja tatsächlich eine Schande, dass es Corona brauchte, damit sich etwas ändert in der Branche», sagte der Sprecher über das geplante Verbot.

Dem Sprecher der NGG zufolge ist die Besonderheit in der Schlacht- und Zerlegeindustrie im Vergleich zu anderen Branchen mit Werkverträgen, dass derzeit selbst der Kernbereich des Geschäfts ausgelagert werde. Die Betriebe seien «administrative Hüllen», in denen nur etwa 20 Prozent der Mitarbeiter fest beschäftigt seien. Die restliche Arbeit werde mittels Werkverträgen erledigt. «Die Preise kann man dadurch ganz gut drücken und die Drecksarbeit überlässt man dann irgendwelchen dubiosen Firmen», sagte der Gewerkschaftler.

Arbeitsminister Hubertus Heil betonte: «Wir wollen die Kontrollen weiter verschärfen, noch bevor das neue Gesetz zur Arbeitssicherheit in der Fleischindustrie da ist». Er «in sehr produktiven Gesprächen mit den Ländern», sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). Der FDP geht das Vorhaben der Regierung nicht weit genug. «Politik und Behörden müssen jetzt endlich die tatsächlichen Ursachen bekämpfen und nicht nur die Symptome», sagte der Bundestagsabgeordnete Carl-Julius Cronenberg. Pauschale Verbote von Werkverträgen würden nur zu neuen Ausweichstrategien führen.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter rief SPD und Union auf, die geplanten Einschränkungen für Werkverträge in der nächsten Woche ins Parlament zu bringen. «Die Regierung schützt bislang das Geschäftsmodell der Billigfleischproduzenten auf Kosten der Gesundheit», sagte er der «Passauer Neuen Presse» (Samstag).

Osteuropäische Vollzeitbeschäftigte in Schlachtbetrieben verdienen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen mehrere hundert Euro weniger im Monat. Die Daten hat die BA der Linksfraktion im Bundestag auf Anfrage zur Verfügung gestellt. Demnach arbeiteten zum Stichtag 30. September 2019 im Bereich Schlachtung und Fleischverarbeitung rund 84.500 deutsche Vollzeitkräfte, 22.400 Rumänen, 8.300 Polen, 3.300 Ungarn und 2.500 Bulgaren. Aus diesen vier Ländern kamen die meisten ausländischen Vollzeitbeschäftigten.

Das mittlere Einkommen bei den deutschen Kollegen lag der BA zufolge Ende 2018 bei gut 2.300 Euro brutto im Monat, bei den rumänischen Beschäftigten bei 1.800, bei den Bulgaren bei 1.700 und bei Polen und Ungarn bei 1.900 und knapp 2.000 Euro.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann sagte, wenn die Löhne schon bei den offiziell registrierten Zahlen im Bereich Vollzeitbeschäftigung niedrig seien, «wie stellen sich die Bedingungen dann erst in den Grauzonen von Werkvertragskonstruktionen, Subunternehmen, Scheinselbständigen und gefälschten Stundenabrechnungen zur Umgehung des Mindestlohns dar?». In vielen Fällen handele es sich um «Ausbeutung pur», nicht nur in der Fleischindustrie, sondern auch am Bau oder in der Pflege.
dpa
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