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15.05.2023 | 15:56 | Ernährungsgewohnheiten 

Warum bekommen wir von Krabberkram nicht genug?

Berlin - Für viele sieht der optimale Feierabend in etwa so aus: Beine hoch, Flimmerkiste an, Chipstüte her. Oft geht der Griff aber schon wenig später ins Leere.

Kartoffelchips
Ob 100 Gramm oder die doppelte Menge in der Packung sind, ist egal: Geöffnete Chipstüten schaffen es selten mit Rest in den nächsten Tag. Warum ist die Lust am Futtern bei ihnen so schwer zu bremsen? (c) proplanta
Warum können wir nicht aufhören, bevor die ganze Tüte leer ist?

Weil das Futtern gerade von Fettigem oder Süßem glücklich macht, wie Martin Smollich, Ernährungswissenschaftler am Institut für Ernährungsmedizin an der Universität zu Lübeck und am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, erklärt. «Die Darmzellen haben Sensoren für Zucker und Fett.»

Wenn dort die Moleküle aus der Nahrung ankämen, werde ein elektrischer Impuls über die Nerven ins Gehirn geleitet. «Dort wird dann der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Dopamin verstärkt den Appetit und erzeugt ein Glücksgefühl.» Und ganz besonders glücklich reagiert das Gehirn, wenn Zucker und Fett in einem Lebensmittel miteinander kombiniert sind. Manche Experten sprechen vom sogenannten Nutella-Effekt.

Die Vorliebe für Süßes und Fettiges hat ihren Ursprung in Zeiten des Mangels. «Früher war es so, dass Nahrung insgesamt knapp und vor allem im Winter kaum vorhanden war», erklärt Smollich. Und Fett und Zucker seien die wichtigsten Energieträger. «Menschen, die darauf besonders angesprochen und sich Vorräte für Hungerzeiten angegessen haben, hatten folglich auch die besseren Überlebenschancen.»

Studien hätten gezeigt, dass der Mensch über eine angeborene Süßpräferenz verfügt, sagt Smollich. «Schon ungeborene Kinder im Uterus lächeln, wenn die Schwangere etwas Süßes statt etwas Bitterem isst.» Diese Prägung mache auch Sinn: In der Natur gebe es fast nichts, was süß und gleichzeitig giftig sei. Giftige Pflanzen und Früchte schmeckten meist bitter.

Ein weiterer Faktor sind kulturelle Muster. In einigen Regionen gehöre das Feierabendbier einfach dazu - «und das gilt auch für Chips», sagt Christoph Klotter, bis zu seinem Ruhestand Ernährungspsychologe und Psychotherapeut an der Hochschule Fulda. «Denn die stehen in unserer Kultur für Erholung, Entspannung und Vergnügen.»

Daneben spiele Gewohnheit eine Rolle, so Klotter. «Wenn ich in den Supermarkt gehe, dann wähle ich seit Jahren immer die gleiche Joghurtsorte aus. Oder wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, dann muss es eben etwas Süßes sein.» Nicht zuletzt werde Essen oft als Emotionsmanager eingesetzt. «Wenn wir abends alleine vor dem Fernseher sitzen und uns einsam fühlen, dann wird der Kummer weggegessen», sagt der Psychologe. Mit dem Partner könne es am Ende des Tages Konflikte geben - mit dem Kühlschrank nicht.

Wie stark sich solche Gewohnheiten ins Gehirn fräsen, zeigt eine kürzlich vorgestellte Studie. Weil fettige und süße Lebensmittel das Belohnungssystem so stark aktivierten, lerne das Gehirn, unbewusst solche Lebensmittel zu bevorzugen, berichtete ein Team des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln im März.

«Unsere Messungen der Gehirnaktivitäten haben gezeigt, dass sich das Gehirn durch den Konsum von Pommes und Co. neu verdrahtet. Es lernt unterbewusst, belohnendes Essen zu bevorzugen», erläuterte Studienleiter Marc Tittgemeyer.

Eingefahrene Muster zu durchbrechen und die Chipstüte gar nicht erst aufzumachen, sondern vielleicht zum gesünderen Apfel zu greifen, könne daher schwerfallen, sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Chips zählten zudem zu den Lebensmitteln mit eingebautem Suchtfaktor: «Klar ist, dass in Chips Stoffe enthalten sind, die geschmacksverstärkend wirken. Vor allem Aromen stehen im Verdacht, ein stärkeres Verlangen auszulösen. Hefeextrakt, und früher das Glutamat, haben eine ähnliche Wirkung.»

Entsprechend groß muss der Wille sein, die Chipstüte mal nicht anzurühren - oder zumindest nur einen kleinen Teil wegzufuttern. Dafür sei unter anderem wichtig, dass das Futtern nicht nebenbei - also etwa parallel zum Film- oder Handygucken - passiere, sagt Ernährungswissenschaftler Smollich. Wichtig sei auch Unterstützung durch Berater oder eine vertraute Person aus dem Umfeld. Denn, wie Armin Valet bemerkt: Die nächste Chipstüte ist bei einem Anfall von Verlangen meist ein kurzes Stück entfernt schon zu haben.
dpa
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