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23.03.2018 | 15:45 | Sparweltmeister 

Warum die Deutschen fortwährend sparen

Berlin - «Indirekt ist er immer da», sagt Robert Muschalla nach einigem Nachdenken. Der Wirtschaftshistoriker führt vorbei an uralten Spardosen, an Schatzkästchen und Kontobüchern. Und an Plakaten: «Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not» und «Sparen ist das Gegenteil von Geiz».

Sparbuch
Zinsen gibt's kaum noch. Trotzdem füllen die Deutschen brav ihr Sparbuch, fühlen sich als «Sparweltmeister». Doch warum nur? Im Deutschen Historischen Museum in Berlin wird nun eine Antwort gesucht - mit einem Blick zurück. (c) proplanta
Muschalla hat sie in Berlin gesammelt, weil er eine Antwort sucht.

Warum eigentlich sind die Deutschen so versessen auf das Sparen, allen Kriegen und Krisen zum Trotz? Und dieser «Er», der indirekt immer dabei sei, das ist Wolfgang Schäuble, in Deutschland der Garant der schwarzen Null - für manche im Ausland ein eiserner Sparkommissar.

Am damaligen Finanzminister zeigte sich in der Eurokrise, was Muschalla in seiner neuen Ausstellung in Berlin zeigen will, «Sparen - Geschichte einer deutschen Tugend» im Deutschen Historischen Museum. Sie macht klar: Was ihr Geld und das Sparen angeht, sind die Deutschen ein besonderes Völkchen.

Denn wer heute sein Geld aufs Sparbuch legt, bekommt bestenfalls ein Drittelprozent Zinsen. Die Preise aber steigen fünf Mal so stark. Je länger also das Geld auf dem Sparbuch liegt, desto weniger kann man sich davon kaufen.

Dennoch: 2.270.000.000.000 Euro - knapp 2,3 Billionen liegen auf Giro- und Tagesgeldkonten oder bar zu Hause, so ermittelte es die Bundesbank für den vergangenen September. Erst neulich lobte der Sparkassenverband den «Sparfleiß» der Deutschen.

«Sparen versteht sich in Deutschland von selbst», sagt auch Ausstellungskurator Muschalla. Es sei den Bürgern über Jahrhunderte anerzogen worden und zur Tugend geworden. Der Einzelne hinterfrage es nicht mehr.

Dabei hätte es Anlässe gegeben, vom Glauben abzufallen. 1923 etwa, als die Deutschen Geld waschkorbweise in die Läden tragen mussten, um nur Brot und Butter zu kaufen. Die Hyperinflation hatte die Ersparnisse der Deutschen schmelzen lassen wie die Sonne den Schnee.

«50 Millionen Mark» steht auf Geldscheinen, die sich bündelweise in einem Tresor im Museum stapeln. Manche sind überdruckt: «50 Milliarden». Doch der Tresor steht offen - das Geld ist nichts wert.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg verloren viele Deutsche den Großteil ihrer Ersparnisse. Dennoch: Jedes Mal zahlten sie gleich wieder ein. «Ein Sparwunder», rieb sich schon in den 20er Jahren der Berliner Sparkassenchef Emil Hoffman die Augen.

Doch die Ausstellung sieht irdische Gründe: eine Erziehung zum Sparen, die vor mehr als 200 Jahren mit den ersten Sparkassen begann. Hintergrund war die Aufklärung, erklärt Historiker Muschalla. «Im Mittelalter galt Armut noch als Gottesurteil, aber schon ab der Reformation galt: Jeder ist seines Glückes Schmied.» Statt Almosen sollte künftig in der Not Erspartes schützen.

Zünfte wie Böttcher und Bergleute ließen die Sammelbüchse kreisen für den Fall, dass Kollegen in Not gerieten. 1778 entstand in Hamburg die weltweit erste Sparkasse, die Stadt Berlin folgte 1818; die Hauptstadtsparkasse steht im Jubiläumsjahr Pate für die Ausstellung.

Doch bald bemächtigten sich Städte und staatliche Stellen des Sparens ihrer Bürger. Sparkassen-Einlagen finanzierten öffentliche Ausgaben. Das Sparen sollte auch die Arbeiterklasse ruhigstellen. «Wer spart, hat etwas zu verlieren und geht nicht auf die Straßen», hieß es. Karl Marx schrieb dem Kapitalismus ins Stammbuch: «Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kardinaltugenden.»

Auch die Nazis priesen den schaffenden und sparenden Arbeiter - und verdammten das angeblich raffende «jüdische Finanzkapital». Jüdische Sparer wurden enteignet. Das Sparen der Bürger finanzierte Rüstung und Kriegsvorbereitungen. Sparmarken der Organisation Kraft durch Freude halfen, das Wolfsburger Volkswagen-Werk zu bauen, aus dem später Kübelwagen für die Wehrmacht rollten. Kinder hörten beim Schulsparen: «Dein Sparen hilft dem Führer.»

«Sparerziehung gab es weltweit, nur standen ökonomische Gründe im Vordergrund», sagt der Historiker. In Deutschland war das Sparen stark ideologisch aufgeladen. Das änderte sich erst in der Nachkriegszeit. Seit 50 Jahren gibt es den Dispo. In den 70er Jahren kommen Konsumentenkredite auf. Banken plakatieren: «Sie kaufen - wir zahlen.» Autokauf auf Pump ist normal. Weniger gespart wird deshalb nicht.

Eines gilt jedoch nach wie vor, schränkt Muschalla ein: «Das Sparen hat die Allerärmsten nicht erreicht.» Nach Umfragen hat etwa jeder Vierte nichts auf der hohen Kante. «Wer von der Hand in den Mund lebt, der kann nicht sparen.»
dpa
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