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12.08.2021 | 12:20 | Bundeswaldinventur 

Bäume vermessen: Mit Maßband oder Hightech?

Garmisch-Partenkirchen / Eberswalde - Die Nadeln junger Fichten kratzen über das Gesicht, vom Regen nasse Pestwurzblätter durchfeuchten die Hosenbeine bis zum Oberschenkel.

Bundeswaldinventur
In allen Regionen Deutschlands schlingen derzeit Vermessungstrupps Maßbänder um Bäume, zählen junge Triebe und bestimmen Wipfelhöhen. Die Bundeswaldinventur ist aufwendig, aber wichtig. (c) proplanta
Unter hohem Gras verbergen sich heimtückische Löcher im Boden. Dennoch schleppen Felix Bierling und Christoph Riedel ihre Gerätschaften mit zielstrebigen Schritten den weglosen Hang hinauf.

Die beiden Förster bilden eines von rund 100 Inventurteams, die derzeit systematisch den Zustand von Deutschlands Wäldern erheben - und damit einen gigantischen Datenschatz schaffen, der für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gleichermaßen interessant ist.

«Es geht darum, wie der Zustand unseres Waldes heute ist und wie er sich in den letzten Jahren verändert hat. Und das einheitlich über die ganze Bundesrepublik, unabhängig von Eigentumsarten, unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen etc.», erläutert Thomas Riedel vom federführenden Thünen-Institut für Waldökosysteme im brandenburgischen Eberswalde. Die sogenannte Bundeswaldinventur findet derzeit zum vierten Mal statt, die ältesten Vergleichsdaten sind von 1986.

Grundlage ist ein Gitternetz, das über die Deutschlandkarte gelegt wurde. Alle vier mal vier Kilometer schneiden sich die Linien, in einigen Regionen sind die Maschen sogar nur zwei auf zwei Kilometer breit.

Von den Schnittpunkten aus wird ein weiteres Quadrat von 150 auf 150 Meter aufgespannt. Liegen dessen Eckpunkte in Waldgebiet, nehmen die Fachleute im unmittelbaren Umfeld dieser insgesamt rund 80.000 Punkte die genaue Anzahl der Bäume, deren Art, Umfang, Höhe, die Verjüngung, das Totholz und weitere Daten auf - und können sie Baum für Baum mit den Werten von früher vergleichen.

«Vor Ort ist ein Eisen eingegraben, der Punkt ist mit Satellitentechnik eingemessen», erklärt der Zuständige für die Waldinventur in Bayern, Wolfgang Stöger, wie die Trupps exakt jene Punkte wiederfinden, an denen schon Jahrzehnte zuvor ihre Vorgänger standen. «Diese Koordinaten sind streng geheim. Jeder Punkt repräsentiert 400 Hektar Wald, und wenn ein Waldbesitzer das hier besonders schön machen würde, wäre es nicht mehr repräsentativ.»

Aus dem gleichen Grund müssen die Inventurtrupps auch unheimlich exakt arbeiten. «Man rechnet von den knapp 8.000 einzelnen Inventurpunkten im Freistaat auf Bayern und zusammen mit Daten der anderen Bundesländer auf Deutschland hoch», erläutert Stefan Tretter von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. «Und Fehler bei der Durchmesserermittlung bei einem Einzelbaum von unter einem Zentimeter können mehrere 100 Kubikmeter Holz bedeuten, die da dahinter stehen.»

In der Praxis heißt das zum Beispiel, dass das Maßband beim Messen des Umfangs der Bäume exakt auf der gleichen Höhe um den Stamm laufen muss. Kein leichtes Unterfangen, denn gemessen wird auf 1,30 Meter - was bei einem Baum in einem Steilhang auf der talzugewandten Seite schnell deutlich mehr wird. Bierling hat eine eigene Technik entwickelt, wie er das Band bei dicken Bäumen um den Stamm bekommt. Doch selbst der massive Stock, auf den er sich beim Gehen im steilen Gelände stützt, hilft nicht immer - dann muss er hinaufklettern.

Doch erstmal fahndet er mit einem fiependen Metallsuchgerät in den Händen nach dem eingegrabenen Eisen. Hier, in einem der Natur überlassenem Waldhang nahe Garmisch-Partenkirchen, findet er es rasch. Doch andernorts hatten Muren das Eisen weggespült oder Forsterntegeräte den Boden aufgerissen.

«Einmal haben sie eine Seilbahn abgebaut, da habe ich alles Mögliche gefunden, Nägel und Seilstücke etwa», erinnert sich Bierling. Riedel erzählt: «Wir hatten auch schon Hänge mit einer Steigung von 53 Grad, da waren wir nah an einer Steilwand dran.»

Wegen des immensen Aufwands ist die Bundeswaldinventur auf zwei Jahre angelegt, bei Kosten von rund 25 Millionen Euro. Die Auswertung der Ergebnisse wird bis Mitte 2024 dauern, erläutert Riedel. Sie werden transparent veröffentlicht. Somit können etwa Unternehmer abschätzen, wie sich der Holzmarkt entwickelt oder ob in einer bestimmten Region der Bau eines Sägewerkes lohnt.

Wissenschaftler weltweit arbeiten mit den Daten. «Ganz wichtig sind auch die ganzen internationalen Berichtspflichten, die wir als Bundesrepublik haben, etwa im Rahmen der EU-Berichte, des Kyoto-Protokolls oder der Klimarahmenkonvention», zählt Riedel auf.

Weil seit der letzten Inventur vor zehn Jahren große Stürme mit nachfolgenden Käferschäden auftraten, erwarten die Fachleute regional teils gewaltige Veränderungen. «Vor allem in den Bundesländern, in denen viel Fichte und Kiefer abgestorben ist», betont Riedel. «Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, da sieht es sehr dramatisch aus.»

Vielleicht wird diesen Regionen in ein paar Jahren ein weiterer Erkenntnisgewinn aus der Bundeswaldinventur zugute kommen. Die Trupps nehmen nämlich auch DNA-Proben der angetroffenen Bäume. Die genetischen Informationen sollen dabei helfen, künftig exakt jene Bestände anzupflanzen, die mit dem Klimawandel am besten klarkommen.
dpa
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