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25.05.2023 | 01:06 | Jagd-Debatte 

Jagd spaltet in Frankreich die Gemüter

Paris - Die Kugel zersplittert eine Autoscheibe bei Rouen und bleibt im Sitz der Fahrerin stecken, bei Laon knallt eine Patrone durch einen Fensterrahmen und durchschlägt die Wohnzimmerwand einer Rentnerin: Es sind Jagdunfälle wie diese, die in Frankreich seit einer Weile den Ruf nach strengeren Regeln für die Jagd laut werden lassen.

Jagd-Debatte Frankreich
Jagdunfälle sind in Frankreich Grund für den Ruf nach Restriktionen. Zugleich hegen viele inzwischen Unverständnis und Ablehnung für die im Nachbarland wichtige Tradition. Die Fronten sind verhärtet - und dann macht auch noch der Wolf den Jägern das Wild streitig. (c) Bergringfoto - fotolia.com
Regelmäßig gibt es auch Verletzte und Tote. Zu Jahresbeginn rang die Regierung sich zwar zu einigen Maßnahmen durch, Kritiker aber schimpften, die Jagdlobby erfahre zu viel Rücksicht aus Paris. Die Jägerschaft empörte sich, von einer «Anti-Jagd-Ideologie» besessene Politiker wollten sie mit Einschränkungen provozieren.

Die Jagd hat in Frankreich eine große Bedeutung. Der französische Jagdverband spricht von 1,1 Millionen aktiven Jägern. In Deutschland sind es dem Deutschen Jagdverband zufolge 384.000. Bei Unfällen im Nachbarland in der vergangenen Jagdsaison, die von September bis März 2022 ging, gab es 90 Verletzte und 8 Tote. Die Forderung nach einem jagdfreien Sonntag und weiteren Auflagen lösten vergangenes Jahr eine intensive Debatte aus. Heraus kamen erhöhte Ausbildungs- und Sicherheitsanforderungen, Sanktionen für Jäger unter «exzessivem Alkoholeinfluss» sowie die Ankündigung einer App, auf der Spaziergänger abrufen können, wo sich Jagdgebiete befinden.

Die windelweichen Maßnahmen zeigten, dass die Jagdlobby in Paris die Gesetze mache, empörte sich Marine Tondelier, die Chefin von Frankreichs Grünen, die prompt einen Gesetzentwurf für ein Jagdverbot am Sonntag auf den Weg brachten. «Es geht nicht darum, die Jagd zu verbieten, sondern Spaziergängern zu ermöglichen, die Natur an einem Tag in der Woche in aller Ruhe und Sicherheit zu genießen. Es ist bekannt, dass Jagdunfälle am Sonntag häufiger vorkommen», sagte der Abgeordnete der Oppositionspartei, Charles Fournier, dem Sender France 3. Er erarbeitete den Entwurf. Die Einbringung des Gesetzes wurde von April auf voraussichtlich Herbst verschoben.

Der Protest dagegen dauert an. Das Grünen-Gesetz idealisiere eine Natur, deren freier und allgemeiner Genuss angeblich von den Jägern beschlagnahmt werde, erklärte der Treibjagdverband. Eine solche Natur gebe es aber nicht. Ein Fünftel der französischen Wälder gehöre dem Staat und Gebietskörperschaften, und diese könnten ihr Eigentumsrecht frei auszuüben - zum Beispiel indem dort gejagt werde. Auch der Jagdverband beklagt ein Unverständnis. «Sie lassen sich ständig alle möglichen Gesetzesvorschläge einfallen, um der Jagd zu schaden, ohne zu berücksichtigen, dass wir enorme Fortschritte gemacht haben - und dies auch weiterhin tun werden, um das Zusammenleben der verschiedenen Naturnutzer friedlicher zu gestalten.»

Auch im Internet finden beide Seiten ihre Plattformen. Die Vereinigung Un Jour un Chasseur (Ein Tag, ein Jäger) mit 18.000 Followern rückt dort tödliche Jagdunfälle in den Fokus, etwa den Schuss auf die 25-jährige Mélodie, die während einer Wildschweinjagd bei einem Spazierweg getroffen wurde. Andererseits präsentieren sich im Netz junge Menschen, die nach jahrelang rückläufigen Jägerzahlen die Jagd wieder für sich entdeckten. So folgen 174.000 Menschen dem Instagram-Account von Johanna Clermont, die dort mit Jagdwaffen, einem erlegten Hirsch und zubereitetem Wild posiert.

Dass die Jagd die Menschen in Frankreich derart spaltet, hänge auch damit zusammen, dass diese heute weniger praktiziert und somit immer weniger akzeptiert und verstanden werde, sagte Anthropologe Charles Stéphanoff der Zeitung «Le Monde». Der Zuzug von Stadtbewohnern in ländliche Gebiete konfrontiere diese mit kulturellen Praktiken und einem völlig anderen Verhältnis zur Natur. Diese unterschiedlichen Sichtweisen führten zu Unverständnis und moralischer Ablehnung der Jagd. Für Städter sei das Land ein Ort der Freizeit und Erholung, der allen Menschen gehört. Diese Freizeitvision teile die Landbevölkerung nicht, sagte der Anthropologe. Für sie sei das Land ein durch jahrhundertelange Arbeit entstandener Ort der Agrarproduktion.

Außer mit Jagdkritikern muss es die Jägerschaft in Südfrankreich noch mit dem Wolf aufnehmen, der aus ihrer Sicht zu viel Schutz genießt und das Wild streitig macht. Der Bestand an Rehen, Hirschen, Mufflons und Wildschweinen sei im Departement Drôme um 20 bis 40 Prozent gesunken. In einem Brief an die Präfektin forderte die Jägerschaft, 100 Wölfe abschießen zu dürfen. «Wenn man den Wolf weiterhin überbeschützt und wenn es kein oder viel weniger Wild gibt, wird es weniger Jäger geben», argumentierte der Vize-Chef der Jägerschaft, Michel Sanjuan.

Der Naturschutzbund (Frapna) gibt zu bedenken: «Die Jagd auf Großwild, insbesondere in der Drôme, generiert ein besonders lukratives Geschäft. Es ist nicht verwunderlich, dass die Jäger der Drôme die Rückkehr des Wolfs, die ihren Umsatz direkt bedroht, mit sehr unguten Gefühlen sehen», sagte Frapna-Sprecher Roger Mathieu. Außerdem habe der Wolf geschafft, was den Jägern in vielen Jahren nicht gelungen sei, nämlich die für Schäden in Forst und Landwirtschaft verantwortlichen Wildbestände zu verringern.
dpa
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