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16.02.2022 | 12:24 | Illegale Jagd 

Wilderei: Über 100 Fälle im Südwesten

Stuttgart - Wildern ist ein Verbrechen, das Mitteleuropäer eher mit fernen Ländern als mit heimischen Gefilden verbinden - mit Nashörnern, Affen und Elefanten, die für vermeintliche Aphrodisiaka, Fleisch und Elfenbein getötet werden.

Jagdwilderei Baden-Württemberg
Aus Zeiten, in denen die Menschen noch als Jäger und Sammler unterwegs waren, hat sich bei manchem bis heute der Jagdtrieb erhalten. Die meisten - vor allem Männer - leben ihn auf legalem Weg aus. Es gibt aber auch andere. (c) proplanta
Dass auch in Deutschland Menschen auf die Pirsch gehen, um Tiere illegal zu erlegen, ist erst durch die mutmaßlich von Wilderern abgegebenen tödlichen Schüsse auf eine junge Polizistin und ihren Kollegen in der Pfalz ins Bewusstsein vorgedrungen.

Der Sprecher des Landesjagdverbandes Baden-Württemberg, Erhard Jauch, definiert das Delikt so: «Wildern ist das Töten von Wildtieren in fremden Jagdrevieren, sei es aus Jagdtrieb oder der Absicht heraus, das Wildbret gewinnbringend zu verkaufen.» Das aktuelle Verbrechen in Kusel kann Jauch nur schwer verkraften: «Unfassbar, es ist einfach unfassbar, wegen ein paar toten Tieren Menschen zu erschießen.»

Im Südwesten ist in der Vergangenheit kein Mensch von einem Wilderer umgebracht worden. Aber das Wildern ist auch hier kein unbekanntes Phänomen. Das Landeskriminalamt registrierte 115 Fälle im Jahr 2020, ein Höchststand in den vergangen Jahren. Im Jahr 2013 wurde die geringste Zahl von 73 Fällen genannt.

Die Dunkelziffer für ein Verbrechen, das meist nachts an abgelegenen Orten passiert, ist nicht zu vernachlässigen. Deshalb ist auch die Aufklärungsquote mit um die 25 Prozent sehr mager. Nur selten haben die Ermittler das Glück, dass wie im Fall Kusel ein Tatverdächtiger seine Papiere am Tatort hinterlässt. Die Statistik nennt als Tatmittel neben Feuerwaffen aller Art Armbrust, Pfeil und Bogen, Säge, Kabel und Schlingen. Wildern ist ein männerdominiertes Delikt: Von den 30 Tatverdächtigen 2020 waren nur sechs weiblich.

Auch aus Sicht des Naturschutzbundes Nabu sind zwei Motive für die Wilderei von Bedeutung. Der Nervenkitzel mache sie für manche attraktiv, meint Rolf Müller, ehrenamtlicher Nabu-Experte für das Thema Jagd: «Der Jagdtrieb ist seit der Steinzeit ganz fest in uns verwurzelt.» Hinzu kommen die wirtschaftlichen Interessen beim Verkauf von Wildfleisch. Wilderer umgehen auch einen erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand, den die landesweit 53.000 legalen Jäger bewältigen müssen.

Die Jagd ist insbesondere am Anfang ein kostspieliges und zeitraubendes Hobby. Wer einen Jagdschein anstrebt, muss laut Landesjagdverband 130 Stunden Ausbildung absolvieren, davon 40 Stunden Schießtraining. Kostenpunkt: 2.500 bis 3.000 Euro. Hinzu kommen Munition und Waffe, so dass unterm Strich Kosten von etwa 5.000 Euro entstehen. So schwierig der Erwerb der Erlaubnis, so leicht ist es, sie zu verlieren. Bei Alkohol am Steuer und anderen Straftaten wird der Jagdschein einkassiert - weil der Jäger im Umgang mit tödlichen Waffen absolut zuverlässig sein sollte.

Der Nabu ist nicht grundsätzlich gegen die Jagd. Es komme aber darauf an, so Müller, wie sie gemacht wird. «Quälende Jagdmethoden wie die Fallenjagd gehören wie das Erlegen von geschützten Tierarten wie Wolf oder Luchs nicht zum handwerklich sauberen Jagen.» Für Schlagzeilen sorgten in Baden-Württemberg im Juli 2017 ein im Schluchsee gefundener Wolf, der zuvor erschossen worden war, und ein im November 2021 im Landkreis Waldshut-Tiengen erlegter Luchs. In beiden Fällen entkamen die Täter unerkannt.

Nach Überzeugung von Müller muss die Jagd in ein ökologisches Gesamtkonzept eingebettet sein; die Mengen an Schalenwild sollten so kontrolliert werden, dass junge Weißtannen, Ahorne und Eichen eine Chance haben zu wachsen, anstatt von Rehen oder Hirschen verbissen zu werden.

Müller, der von Beruf Förster ist, erläutert: «Da in unserer Kulturlandschaft das Nahrungsangebot anders als in Urwäldern sehr reichlich ist, müssen die Schalenwildbestände durch Jagd reguliert werden, um eine Verjüngung des heimischen Waldes zu ermöglichen.»

Nicht immer wurden Wilderer als Verbrecher gesehen; in der Geschichte wurden sie auch als Befreier gefeiert. Müller erläutert: «Die Verklärung des Wilderers im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts hat ihren Ursprung in der bürgerlichen Revolution.» Damals lehnten sich die Wilderer dagegen auf, dass der Adel das Jagdrecht allein für sich beanspruchte.

«Wilderei war eine Form des Widerstands gegen die Herrschaft und hatte Erfolg.» Nach der Deutschen Revolution 1848 wurde das Jagdrecht dem Besitzer des Grund und Bodens zugesprochen.
dpa/lsw
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