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08.12.2018 | 07:41 | Klimaschutz 

0,3-Grad-Effekt durch mehr Wald erreichen

München - Langlebige Holzmöbel, Aufforstung, Schutz des Regenwaldes - all das kann helfen, den Klimawandel zu bremsen.

Waldbau
Die Menschen sollten mit dem Wald ganz anders umgehen als heute. Dann würden Bäume unser Klima viel stärker stabilisieren. Wie genau das gehen kann, erforscht eine Geografin in München. (c) proplanta
Die Geografie-Professorin Julia Pongratz forscht seit Jahren daran, die genauen Zusammenhänge zwischen Wald, Kohlendioxid-Mengen und Klima besser zu verstehen. Ihr Wissen fließt auch in die Weltklimaberichte ein. Im dpa-Interview erläutert sie, dass die Wissenschaft noch längst nicht alle Geheimnisse des Waldes entschlüsselt hat.

Was ist das interessanteste Neue in Ihren Forschungen?

Antwort: Wir lernen immer mehr darüber, wie die Menschen das Klimasystem bewusst beeinflussen können durch Änderungen in der Landnutzung. Gemeint sind beispielsweise Aufforsten von Grünland oder Abholzen von Wäldern für Ackerland. Änderung dort heißt auch Änderungen bei den Kohlendioxid-Mengen in der Luft.

Spannend ist, dass neben diesen Änderungen in der Landnutzung Bäume und Pflanzen der Menschheit per se einen enormen Dienst erweisen im Kampf gegen steigende CO2-Konzentrationen und Klimawandel.

Frage: Was genau meinen Sie?

Antwort: Derzeit geben wir bei den CO2-Emissionen aus fossilen Energien und veränderter Landnutzung etwa elf Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr in die Atmosphäre. Davon werden knapp 30 Prozent vom Land wieder zurückgespeichert, gut 20 Prozent von den Ozeanen.

Das ist ein enormer Dienst, den die Vegetation uns leistet. Pflanzen wachsen besser, wenn die CO2-Werte höher sind - das ist der Hauptgrund dafür, dass die Vegetation heute so viel von unseren Emissionen rückspeichern kann. Für die Zukunft aber gilt: Die Anstrengungen, wie stark wir fossile Emissionen abschwächen müssen, hängen direkt davon ab, wie groß diese sogenannte Senke der Vegetation künftig sein wird.

Frage: Wenn wir die Erde höchstens um 1,5 oder 2 Grad aufheizen dürfen: Was ist wichtiger, dass wir CO2 einsparen oder dass wir das ausgestoßene CO2 aus der Luft holen, etwa durch Aufforsten?

Antwort: Wenn man wirklich einen merkbaren Effekt haben will, werden wir zwangsläufig mehrere Maßnahmen kombinieren müssen. Auf den Wald bezogen gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten: Wenn wir das Abholzen besonders in den Tropen stoppen, wenn wir wiederaufforsten, verhindern, dass sich die Qualität von Wald und seinem Boden verschlechtert, und forstwirtschaftliche Maßnahmen auf Kohlenstoffspeicherung optimieren.

Alles zusammengezählt kommt man nach derzeitigen Abschätzungen auf eine Größenordnung von einigen Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr. Jetzt ist es eine Ansichtssache, ob man sagt, das ist viel oder wenig.

Frage: Und was sagen Sie?

Antwort: Derzeit emittieren wir - wie erwähnt - etwa elf Milliarden Tonnen pro Jahr, Tendenz steigend. Als Teil einer Mischung von Maßnahmen kann Wald uns helfen. Ohne deutliche Reduktion der fossilen Emissionen aber ist ein 1,5- oder 2-Grad-Ziel nicht zu erreichen.

Frage: In einer Studie haben Sie ein konkretes Szenario untersucht, in dem landwirtschaftliche Flächen aufgegeben und zu Wald werden. Was heißen Ihre Ergebnisse für den Temperaturanstieg?

Antwort: Es gibt ein Szenario, das davon ausgeht, dass in der Zukunft Flächen frei werden, weil man landwirtschaftlich stark intensiviert. Darauf können Sie Wald nachwachsen lassen, ohne mit der Nahrungsmittelproduktion zu konkurrieren. In unserem Erdsystemmodell haben wir simuliert, wie stark die CO2-Aufnahme und die Temperaturänderung über das 21. Jahrhundert sind.

Wenn wir auf etwa acht Millionen Quadratkilometern Wald nachwachsen lassen würden, kriegen wir ein Minus beim globalen Temperaturanstieg von etwa 0,3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts hin. Dies ist die «Abkühlung» relativ gesehen zu dem Referenz-Szenario, in dem sich landwirtschaftliche Flächen weiter auf Kosten des Waldes ausdehnen.

Frage: Ist jede Art der Aufforstung gleich wertvoll, ob man in Deutschland pflanzt oder im Regenwald?

Antwort: Diese Zahlen hätte man gerne. Das wäre für die Politik enorm wichtig. Wir kommen in der Wissenschaft aber erst langsam dahinter, die Prozesse im Detail zu verstehen. Dazu gehören Aspekte wie: Wald ist unterschiedlich dicht - er hat damit pro Fläche einen unterschiedlichen Kohlenstoffgehalt, auch im Boden (...).

Frage: Kann mehr Wald auch schlecht sein fürs Klima?

Antwort: Sie können sich vorstellen, dass ein Regenwald mit seinen vielen Blättern oft mehr Wasser verdunstet als ein Acker. Das kann lokal die Temperaturen senken. Gleichzeitig gibt es auch umgekehrte Effekte: Wenn man aus der Vogelperspektive auf einen Wald blickt, ist er in der Regel dunkler als Ackerland.

Das bedeutet: Ein Wald absorbiert mehr Sonnenstrahlung. Das hieße, dass mehr Wald das Klima auch erwärmen kann und wir einen Teil des Abkühlungseffekts von Wald wieder verlieren. Welcher dieser Effekte dominiert, hängt nun aber stark davon ab, welche Region und welche Pflanzenarten wir betrachten.

Frage: Wie lange speichert Wald den Kohlenstoff?

Antwort: Bis ein Wald voll aufgewachsen ist, das kann typisch 100 Jahre dauern. Noch länger dauert das Nachwachsen des Speichers von Kohlenstoff im Boden.

Frage: Und dann?

Antwort: Wenn der Wald vollständig aufgewachsen ist, wird er sich in ein neues Gleichgewicht begeben mit den Klimabedingungen. Und Sie können an der Stelle nicht noch mehr Wald pflanzen. Dann müssen Sie überlegen, wie Sie diese Senke pflegen. Indem sie etwa nachhaltig Holz entnehmen und daraus sehr langlebige Dinge herstellen.

Frage: Das heißt, nicht Möbel, die ich nur wenige Jahre benutze?

Antwort: Ja, genau. Bei kurzlebigen Möbeln oder Papier haben Sie den Kohlenstoff schnell wieder ausgestoßen. Da wäre er draußen im Wald der Atmosphäre wahrscheinlich länger entzogen gewesen. (...)

Zur Person: Julia Pongratz, 38, ist Professorin für Geografie und Landnutzungssysteme an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Außerdem forscht sie am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und schreibt mit an Berichten des Weltklimarats IPCC.
dpa
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