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18.05.2013 | 07:50 | Bodenverbesserungsmaßnahmen 

Agrarforschung möchte Landwirtschaft am Stausee unterstützen

Stuttgart-Hohenheim - Als der Itaparica-Stausee im Nordosten Brasiliens angelegt wurde, gingen fruchtbare Ackerböden verloren. Seitdem bewirtschaften die Kleinbauern dort karge Böden.

Stausee
(c) proplanta
Ihre Viehherden gefährden das hochsensible Ökosystem. Ein fächerübergreifendes Forscherteam unter Beteiligung der Universität Hohenheim untersucht deshalb, wie sich Viehwirtschaft und Ackerbau im trockenen Savannenklima nachhaltig gestalten lassen. Damit liefern die Forscher auch Lösungen für andere Regionen mit ähnlichen Problemen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt ihr Vorhaben mit insgesamt rund 5,1 Millionen Euro. Etwa 580.000 Euro davon fließen nach Hohenheim. Damit gehört das Forschungsprojekt zu den Schwergewichten der Forschung an der Universität Hohenheim.

Der Itaparica-Stausee liegt im trockenen Nordosten Brasiliens, im Grenzgebiet der Bundesstaaten Pernambuco und Bahia. Mit gut 180 Kilometern Länge ist er der zweitgrößte Stausee entlang des Rio São Francisco, einem der längsten Flüsse Brasiliens.

Etwa 50.000 Menschen musste der Staat beim Bau des Itaparica-Stausees 1988 zwangsweise umsiedeln. Nur ein Teil der betroffenen Bauern wurde durch Ausgleichszahlungen, neues Ackerland oder kostenlose Bewässerung entschädigt. Allerdings müssen sie ihr Land seither oft auf unfruchtbaren Sandböden bestellen. Auf ihren Feldern und Plantagen baut die Bevölkerung Maniok, Kochbananen, Melonen, Kokos, Mais, Tomaten, Bohnen, Reis und Baumwolle an.


Maßnahmen-Mix stoppt Wüstenbildung und schafft Zusatzeinkommen

Die Umsiedelung wird damit zum ökologischen Problem: Denn der natürlichen Vegetationsdecke droht nun verstärkt Wüstenbildung durch Überweidung und Holzeinschlag und den Ackerflächen Versalzung durch permanente Bewässerung.

In einem Teilprojekt versucht Agrarökologe Dr. Jörn Germer dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Der Nachwuchsforscher arbeitet im Fachgebiet Agrarökologie der Tropen und Subtropen, dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Joachim Sauerborn. Sein Ansatz: Bestimmte nutzbringende, heimische Baumarten gezielt vermehren, um alternative Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung zu erschließen.

Für zügige und großflächige Baumpflanzungen wäre eigentlich eine künstliche Bewässerung nötig – auf die Dr. Germer bewusst verzichtet, weil Wasser nur sehr lokal verfügbar ist. Stattdessen pflanzt er die Setzlinge in ein Gemisch aus natürlichem Sandboden, Ziegendung und Tonerde, das mit Nährstoffen und Pflanzenkohle angereichert wurde. Der Vorteil: die Mischung kann Regenwasser besonders lange halten, die Pflanzenkohle sorgt dafür, dass Nährstoffe weniger schnell ausgewaschen werden.

Langfristig soll die verbesserte Vegetationsdecke auch Böden rehabilitieren, die durch unkontrollierte Bewässerung degradiert oder versalzt wurden. Zu diesem Konzept gehört auch eine langjährige Fruchtfolge, in der sich bewässerte Kulturen mit der naturnahen Vegetationsdecke abwechseln. „Mit diesem Konzept ließen sich die Flächen entlang von Flüssen und Stauseen in der Region auch nachhaltig nutzen“, hofft Dr. Germer.


Integration von Futterpflanzen könnte das Ökosystem entlasten

Viele Bauern um den Itaparica-Stausee leben von der Viehzucht. Die Tiere sind eine wichtige Einkommensquelle für viele Familien und tragen daher zur Ernährungssicherung der Bevölkerung bei. Doch Rinder, Schafe und vor allem die besonders zahlreichen Ziegen setzen den sensiblen Trockenwald unter Druck. Der Grund: Die Tiere fressen alles ab, vor allem die jungen Triebe. „Wenn der Weidedruck zu hoch wird, leiden die Artenvielfalt und die Vegetationsdichte, weil nur noch die wenigen Pflanzen wachsen können, die die Tiere verschmähen", warnt Dr. Christoph Reiber vom Fachgebiet Tierhaltung und Tierzüchtung in den Tropen und Subtropen an der Universität Hohenheim. Wüstenbildung droht. Dr. Christoph Reiber gehört zum Forschungsteam um Prof. Dr. Anne Valle Zárate, die die Hohenheimer Beiträge zu dem Verbundprojekt koordiniert.

Zuerst ermitteln die Forscher, welche Tiere wie gehalten und aufgezogen werden und wie die Bauern die teilweise knappen Ressourcen nutzen. Dazu befragen sie die Viehzüchter und nehmen Messungen vor. So arbeiten die Wissenschaftler heraus, welches Viehhaltungssystem zugleich ökonomisch und ökologisch vertretbar ist: Zum Beispiel könnten die Züchter Mehrzweck- und Futterpflanzen anbauen, um die natürliche Vegetation zu entlasten. Das Ziel ist eine nachhaltige Pflanzen- und Tierproduktion zu gewährleisten, ohne das Ökosystem zu gefährden, also eine möglichst effiziente Nutzung lokaler Ressourcen.

In Zusammenarbeit mit der TU Berlin wollen die Wissenschaftler von der Universität Hohenheim außerdem herausfinden, welche Zusammenhänge zwischen der Walddichte, der Artenvielfalt und dem Viehbesatz bestehen und welcher Viehbesatz ökologisch verträglich ist.


Alle Forschungsergebnisse kommen den Menschen vor Ort zugute

Ein Forscherteam um Prof. Dr. Reiner Doluschitz vom Fachgebiet Agrarinformatik und Unternehmensführung untersucht in Kooperation mit seinen brasilianischen Partnern die wirtschaftliche Situation der landwirtschaftlichen Betriebe um den Itaparica-Stausee. Dabei berücksichtigen sie die Fischerei ebenso wie die Viehhaltung und den Ackerbau. In Gesprächen mit den ansässigen Bauern erfahren die Agrarökonomen unter anderem, welche Kosten anfallen, aber auch welche Preise die Bauern mit ihren Produkten auf dem Markt erzielen.

Am Ende ihrer Analyse liefern die Wissenschaftler Tipps für landwirtschaftliche Beratungsorganisationen und Bauern, wie sie ihre Produktion effizienter organisieren und zugleich nachhaltig ökologisch und sozial verträglich gestalten können. Aber auch alle anderen Forschungsergebnisse sollen den Menschen vor Ort direkt zugute kommen. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler ihre neuen Erkenntnisse in Zukunft auf andere Stauseen übertragen, an denen ähnliche Probleme auftreten wie in der Gegend um den Itaparica-Stausee.


Hintergrund: Forschungsprojekt INNOVATE

Das Kürzel INNOVATE steht für „Nachhaltige Nutzung von Stauseen durch innovative Kopplung von aquatischen und terrestrischen Ökosystemfunktionen“. Es ist ein Verbundprojekt, an dem viele Universitäten und Forschungseinrichtungen in Deutschland beteiligt sind. Neben der Universität Hohenheim sind das beispielsweise die TU Berlin, die Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, das Potsdam-Institut für Klimaforschung oder das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Dazu kommen weiter wissenschaftliche Partner in Brasilien.

Das Forschungsprojekt ist im Januar 2012 angelaufen und je nach Ergebnissen auf drei oder maximal fünf Jahre angelegt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert INNOVATE mit insgesamt rund 5,1 Millionen Euro. Davon gehen allein knapp 580.000 Euro an die drei beteiligten Lehrstühle der Universität Hohenheim.


Hintergrund: Schwergewichte der Forschung

Rund 28 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim im vergangenen Jahr für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem Drittmittelvolumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimental- bzw. 125.000 Euro bei den Buchwissenschaften. (PD)
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