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20.09.2014 | 10:08 | Kulturgeographie 

Der Traum vom ländlichen Idyll

Bamberg - Weitläufige Gärten, Wildblumensträuße auf Holztischen, Sonnenaufgänge über Ackerflächen, die ein einsamer, aber glücklicher Landwirt gerade bestellt.

Idyllisches Leben auf dem Land?
(c) proplanta
So präsentiert sich das Landleben in vielen Zeitschriften, die stetig steigende Verkaufszahlen aufweisen.

Das Landleben erlebt eine Renaissance. Welche Gründe es dafür gibt und ob das Leben auf dem Land tatsächlich so idyllisch ist, erforscht Marc Redepenning, Inhaber des Lehrstuhls für Kulturgeographie an der Universität Bamberg.

Was bedeutet eigentlich „Stadt“ im Unterschied zu „Land“, in welcher Beziehung stehen diese beiden Räume zueinander und welche Bedeutung messen die Menschen diesen beiden Räumen jeweils zu? Mit diesen Fragen hat sich Prof. Dr. Marc Redepenning, Inhaber des Lehrstuhls für Kulturgeographie an der Universität Bamberg, in seinen Forschungsarbeiten intensiv beschäftigt

Bei seinen Untersuchungen beobachtete er, wie sich die Einstellung vieler Menschen zum Stadt- und zum Landleben in den letzten Jahren stark verändert hat und wie in den Medien neue Raumbilder des Ländlichen etabliert wurden. So gilt die Stadt heute wie einst als Heilsbringer mit ausreichend Arbeitsplätzen, die ein Leben „am Zahn der Zeit“ verspricht. Zugleich ist sie für immer mehr Menschen zum Fluch geworden.

„Es sind paradoxerweise gerade die Renaissance der Städte und ihr Bedeutungszuwachs sowie die voranschreitenden technischen und städtebaulichen Veränderungen, die die Menschen überfordern. Genau das provoziert eine Gegenbewegung, von der das vermeintlich gute Leben auf dem Land dann profitiert. Und einige Menschen möchten gar nicht mehr Schritt halten“, erzählt der Kulturgeograph.

Das Ländliche als Ort der Ruhe und Zuflucht



Die Renaissance des Landlebens ist aber nicht nur mit der zunehmende Hinterfragung und Kritik der Menschen gegenüber der Stadt zu erklären. Umgekehrt erfuhr das Ländliche in den letzten Jahren eine deutliche Bedeutungsaufwertung.

Die Menschen assoziieren Ländlichkeit nicht mehr mit Rückwärtsgewandtheit oder einem primitiven Leben – vielmehr werden Harmonie, Geborgenheit und Tradition als genuin rurale Eigenschaften hervorgehoben. Das Ländliche steht heute umso mehr für die Sehnsucht nach einem Idyll und gilt als Ort der Überschaubarkeit. „Im Gegensatz zum Stadtleben mit all seiner Hektik, einer beschleunigten Umwelt und seiner Zukunftsgewandtheit scheint das Leben auf dem Land eine Art Entschleunigung zu versprechen“, so Redepenning.

Doch nicht nur durch einen Ortswechsel wird die Sehnsucht nach der ländlichen Idylle gestillt. „Heutzutage findet man immer mehr Ländlichkeit im Städtischen – was politisch durchaus unterstützt wird, um das Wohlbefinden in der Stadt zu erhöhen“, sagt Redepenning. Die Menschen schaffen sich Oasen mitten im städtischen Leben, übertragen ihre Vorstellungen vom Landleben partiell in die Stadt.

Urbanes Gärtnern nennt sich eines dieser Phänomene, aber auch die immer größer werdende Flut von Magazinen und Zeitschriften rund um das Landleben gehört dazu. Diese richten sich mehrheitlich an die in der Stadt lebende Bevölkerung der gehobenen Mittelschicht und haben einen wirtschaftlich nicht unbedeutenden Markt geschaffen, diese Ländlichkeit herzustellen und zu leben. Denn: „Die dort dargestellte ländliche Wohnungseinrichtung, -dekoration oder Gartengestaltung erfordert ein bestimmtes Kapital“, erklärt der Wissenschaftler.

„Das Landleben ist nicht so idyllisch wie es gern dargestellt wird“



Kann das Landleben aber tatsächlich seine ihm zugesprochenen Erwartungen erfüllen? Vergleicht man statistische Kennziffern von Stadt und Land mit dem, was ihnen subjektiv an Bedeutung zugeschrieben wird, macht sich Ernüchterung breit. „Die Befunde sind nicht nur nicht deckungsgleich, sie unterscheiden sich in bestimmten Punkten sogar deutlich voneinander“, erklärt Redepenning. „Das Landleben ist natürlich nicht so idyllisch wie es gern dargestellt wird.“

Der traditionelle Bauernhof, auf dem der Landwirt wohnt und das eigene Land bewirtschaftet, ist in Zeiten der technisierten Landwirtschaft nicht mehr die Regel. Zahlreiche Konflikte, etwa über den Ausbau erneuerbarer Energien oder der Lebensmittelsicherheit, kennzeichnen ebenso das ländliche Dasein. „Schließlich erzeugt die infrastrukturelle und demographische Schrumpfung eine ganz andere Figur des Ländlichen, so dass es viel zu einfach ist, von einem ländlichen Raum zu sprechen.

Das ländliche Idyll zeigt nur eine Seite des Ländlichen“. Auf der anderen Seite stellt dieses Defizit, und die „Leere des Ländlichen“ auch eine Art von Möglichkeitsraum dar: Offene, naturbelassene Flächen, billige Grundstückpreise und Abgeschiedenheit rufen neue Nachfrager auf den Plan: „Das, was in der Vergangenheit häufig kritisiert wurde, ist nun zu etwas geworden, was eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen, man mag sie als rurale Raumpioniere bezeichnen, aktiv suchen. Sie betrachten die Leere als Luxus und suchen sie gezielt.“

Dadurch verändern sich nicht nur urbane und rurale Räume, sondern auch die Trennlinie zwischen Stadt und Land. „Der Raum ist heute eher ein fluides System“, so Redepenning. Die klaren Bedeutungszuweisungen wie „hektische Stadt“ oder „ruhiges Land“ entsprechen daher nicht mehr den realen Gegebenheiten, wenngleich sie immer wieder gern hervorgeholt und betont werden.

Redepenning spricht hier von einer „Verwischung von Grenzen“ und erklärt: „Nicht nur die vielerorts bessere Anbindung eher dörflicher Strukturen an die Stadt, sondern vor allem auch die neuerliche Nutzung der Räume, wie zum Beispiel der Nachbarschafts- und Gemeinschaftsgärten inmitten von städtischen Wohngebieten, sind eindeutige Belege für die zunehmende Trennungsunschärfe.“ (PD)
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