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21.01.2022 | 16:26 | Alles Bio 

Ein halbes Jahrhundert Ökoforschung in Witzenhausen

Kassel/Witzenhausen - Seit fünf Jahrzehnten schon wird am Standort Witzenhausen der Universität Kassel zu den Themen Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit und Tierwohl geforscht.

Ökologische Agrarwissenschaften
Der Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Uni Kassel setzt seit gut 50 Jahren Impulse für die Agrarwende. Am Standort Witzenhausen wird vielfältig zur Zukunft des Ökolandbaus geforscht. Aktuelles Beispiel: die Tierfreundlichkeit von mobilen Hühnerställen. (c) K.F.L. - fotolia.com
Vor gut 25 Jahren startete dort der weltweit erste universitäre Studiengang für Ökologische Landwirtschaft. Die Wissenschaftler in Nordhessen erfanden beispielsweise die Biotonne und entdeckten eine neue, besonders widerstandsfähige Bananenart im Oman. Selbst der britische Thronfolger Prinz Charles stattete dem Fachbereich 1997 einen Besuch ab, um von den Nordhessen zu lernen.

Im Mittelpunkt der Forschung in Witzenhausen steht die Weiterentwicklung des Ökolandbaus, die Suche nach ökologische Lösungen für landwirtschaftliche Probleme. Aktuell befassen sich die Wissenschaftler beispielsweise mit den Vor- und Nachteilen der Hühnerhaltung in mobilen Ställen.

Denn: «So schön die Ställe mit den Hühnern auf der grünen Wiese auch aussehen, ganz so einfach ist diese Form der Haltung nicht», sagt die Agrarwissenschaftlerin Katrin Dorkewitz. Sie begleitete das Verbundprojekt «MobiWohl» der Universitäten Kassel und Göttingen sowie des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin.

239 Eier wurden in Deutschland laut dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) im Jahr 2020 pro Kopf verbraucht. Viele Konsumenten wünschen sich, dass die Eier von glücklichen Hühnern stammen. Immer mehr Landwirte setzen deshalb auf die Vermarktung von Freilandeiern und halten Legehennen in Mobilställen. Grünes Gras, frische Luft und Tageslicht verheißen Gutes fürs Tierwohl. Doch sind die Hühner in diesen mobilen Gehegen tatsächlich glücklicher und gesünder?

Dieser Frage geht «MobiWohl» nach. Die Forscher wollen herausfinden, welche Chancen, aber auch Risiken diese Form der Eierproduktion bergen kann und wie Mobilställe verbessert werden können, damit es den Hühnern in ihnen tatsächlich gut geht. Untersucht wird dazu die Form der Haltung unter den Aspekten Tierwohl sowie Markt und Akzeptanz in der Bevölkerung. 44 Bio- und konventionelle Betriebe bundesweit nehmen an dem Projekt teil. Die Wissenschaftler werden sie regelmäßig besuchen und zufällig ausgewählte Tiere untersuchen.

Da die Ställe regelmäßig versetzt werden können, seien sie grundsätzlich tier- und umweltfreundlicher als stationäre Ställe, erläutert Dorkewitz. «Der Kot der Tiere und damit der Nährstoffeintrag in das Land wird über die gesamte Fläche verteilt und so die punktuelle Belastung des Bodens und des Grundwassers mit Stickstoff verhindert. Die Hennen haben immer wieder frisches Grün und Beschäftigung.» Dennoch gebe es mögliche Risiken.

Dazu zählen laut Dorkewitz etwa Beutegreifer, Witterungsextreme und beengte Verhältnisse im Stall. Hühner vollführten etwa 10.000 Pickschläge pro Tag - eigentlich zur Nahrungsaufnahme. «Wenn sie Langeweile haben, bepicken sie aber auch Artgenossen.» In den Mobilställen sei das Risiko dafür geringer, solange frisches Grün verfügbar sei. «Aber was ist im Winter?», fragt die Wissenschaftlerin.

Im Sommer hingegen stelle sich die Frage der Belüftung der Mobilställe. «Da kann es mitunter schon sehr heiß werden.» Auch das Mehr an Bewegung der Tiere hat laut Dorkewitz Vor- und Nachteile. «Es ist einerseits gut für die Knochen, andererseits erhöht sich das Verletzungsrisiko der Tiere.»

Um die Mobilstallhaltung zu verbessern und langfristig erfolgreich zu machen, soll im Rahmen des dreijährigen Projektes ein Praxisleitfaden etwa in Hinblick auf die Versetzungshäufigkeit der Ställe, die Haltung und die Fütterung der Hühner entwickelt werden. Auch die Akzeptanz der Bevölkerung wollen die Forscher untersuchen. Denn: «Viele Menschen mögen Mobilställe, nur eben nicht in der Nachbarschaft», sagt Dorkewitz.

Für die Praxis sei die Forschung in Witzenhausen überaus wichtig, konstatiert Arnd Berner. Seit 2002 betreibt er, selbst Witzenhäuser Student der ersten Stunde, einen Biohof im südniedersächsischen Einbeck (Landkreis Northeim). Ökolandbau sei mehr als nur der Verzicht auf Pestizide und Düngemittel. «Es gibt noch viel Forschungs- und Verbesserungsbedarf, sei es in Hinblick auf Bodenökologie oder Tierhaltung, die noch drastisch verbessert werden muss.»

Die größte Herausforderung allerdings sei der Klimawandel, meint der Diplom-Agraringenieur. Aufgrund von Nässe und Feuchtigkeit habe er in den vergangenen Jahren schon starke Ernteausfälle bei Kartoffeln erlitten. Der Biolandwirt hofft für den Umgang damit auf Impulse auch und besonders aus Witzenhausen.
dpa/lhe
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