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25.07.2010 | 08:53 | Hummelparasiten 

Entdeckung aus dem Hummeldarm

Zürich - Große Biodiversität im Kleinen: die ETH-Forscherinnen Regula Schmid und Martina Tognazzo haben bei wichtigen Bestäubern einen neuen Parasiten entdeckt und beschrieben.

Hummelparasiten
Von seiner Schwesterart lässt er sich nur genetisch und anhand seiner Größe unterscheiden.

Große Tiere wird man in der Schweiz kaum mehr entdecken und erstbeschreiben können. Anders bei einem Blick durchs Mikroskop auf die Welt der Einzeller. Regula Schmid und Martina Tognazzo vom Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich haben in der Fachzeitschrift Journal of Eukaryotic Microbiology eine neue Art beschrieben. Der tierische Einzeller aus der Familie der Trypanosomen heißt Crithidia expoeki (zu Ehren der Arbeitsgruppe 'Experimentelle'Oekologie' an der ETH).

Der Einzeller lebt im Darm von Erdhummeln Bombus terrestris und ist ein «Abkömmling» von Crithidia bombi. Auch dieser Parasit ist noch nicht lange bekannt. Er wurde erst 1987 und 1988 erstmals beschrieben.


Fast nur genetisch unterscheidbar

Die beiden ETH-Forscherinnen stolperten eher zufällig über die neue Art. Bei genetischen Analysen realisierten sie, dass C. bombi in zwei deutlich unterscheidbaren Linien den Hummeldarm besiedelt. Die Unterschiede in der Erbsubstanz, insbesondere bei der mitochondrialen DNS, waren gar so groß, dass beide Linien Artstatus verdienten. Die beiden Arten unterscheiden sich auch deutlich von einer weiteren Crithidia-Art, C. mellificae aus der Honigbiene, mit der die Forscherinnen die Hummelparasiten verglichen.

Von Auge lassen sich die Arten indes kaum voneinander unterscheiden. Dies ist mit ein Grund, weshalb erst genetische Untersuchungen die richtige Artzugehörigkeit herausschälten. C. expoeki ist allerdings größer als C. bombi, wie Messungen an den Einzellern zeigten.


Ungemütliche Darmbewohner

Beide Arten besiedeln den Darm von Hummeln und können im gleichen Individuum vorkommen. Die Parasiten verbreiten sich über die Ausscheidungen von Hummeln. Ansteckungsgefahr besteht sowohl im Nest als auch auf Blüten, welche die Hummeln zur Nektarsuche besuchen und dort ihre Ausscheidungen fallen lassen. Außerhalb des Darms sind die Parasiten einige Stunden lebensfähig. Sie überleben den Winter in der jungen Hummelkönigin und beginnen sich im Frühling, kaum hat die Königin eine eigene Kolonie gegründet, auszubreiten und zu vermehren.

Die Durchseuchungsrate von Hummeln mit den Crithidien ist relativ hoch. Im Frühling, vor der Gründung eines eigenen Staates, ist jede zehnte Hummelkönigin befallen. Im Extremfall sind 80 Prozent der Arbeiterinnen in einer Population damit befallen, im Durchschnitt knapp ein Drittel.

Der Befall bekommt den Hummeln nicht. Bei Experimenten im Labor konnten infizierte Königinnen kaum mehr einen Staat gründen. Sind die Arbeiterinnen schlecht ernährt, zum Beispiel wegen lang anhaltendem schlechten Wetter, dann sterben infizierte Individuen früher als Nichtinfizierte. Da die Crithidien fast alle Hummelarten befallen, bedrohen die Parasiten wichtige Bestäuberleistungen in der Natur


Vielfältige Klone

Die Parasiten vermehren sich vorwiegend klonal. Jeder Hummelstaat und jedes einzelne Tier besitzt einen eigenen «Cocktail» von Crithidien-Klonen, was letztlich zu einer hohen Vielfalt innerhalb der gefundenen Arten führt. «Wir haben von C. bombi bisher über 200 verschiedene Klonlinien bestimmt», sagt Regula Schmid. Sie geht allerdings davon aus, dass die Parasiten gelegentlich auch Gene austauschen, nur so ist die extreme genetische Vielfalt erklärbar. Wie die Einzeller Gene austauschen, ist derzeit nicht geklärt. «Wir haben bisher nur Zellen mit doppeltem Erbgut gefunden, nie haploide mit nur einem Gensatz», betont die Forscherin. Möglicherweise verschmelzen die Einzeller miteinander, tauschen Gene aus und trennen sich wieder. Falls diese Vermutung bestätigt würde, wäre dies auch eine Weltneuheit für einen solchen direkt übertragenen Insektenparasiten.

Die beiden Erreger sind weltweit verbreitet. Mittlerweile habe sie auch neue Gebiete erreicht, weil die Erdhummel sich natürlicherweise oder vom Menschen eingeführt, weiter verbreitet hat. Insbesondere Züchter aus Belgien und den Niederlanden verschickten Hummeln in alle Erdteile, wo die fleißigen Insekten als Bestäuber in landwirtschaftlichen Kulturen eingesetzt wurden. Als blinde Passagiere reisten die einzelligen Parasiten mit. In Nordamerika beispielsweise wird seit einiger Zeit ein starker Rückgang bei den Hummeln beobachtet. Das könnte auch auf eingeführte Crithidien zurückzuführen sein. «Züchter passen heute jedoch besser auf, damit die Parasiten nicht versehentlich verschleppt werden», sagt Regula Schmid. Mexiko beispielsweise hat die Einfuhr von Erdhummeln sogar verboten.


«Illustre» Verwandtschaft

Die Crithidia-Arten gehören zu den Trypanosomen, die als Krankheitserreger von Menschen und Tieren eine große Rolle spielen. Am bekanntesten und mittlerweile gut untersucht ist Trypanosoma brucei, der Erreger der Schlafkrankheit, der durch den Biss der Tse-Tse-Fliege übertragen wird. Auch die Leishmaniose, die in Südamerika weit verbreitet ist, ist auf eine Trypanosomen-Art zurückzuführen.

Regula Schmid ist indessen nicht erstaunt, dass sie in Hummeln noch neue Arten entdecken konnte. Gerade bei einzelligen Lebewesen gebe es noch zahlreiche unbeschriebene Arten und mit molekularen Methoden würden sich auch Organismen als eigenständige Arten herauskristallisieren, die morphologisch nicht unterschieden werden können.

Möglich sei auch, dass die Gattung Crithidia in die Gattung Leptomonas überführt werde. «Die Taxonomie der Trypanosomen-Einzeller ist noch lange nicht bis ins letzte Detail geklärt», sagt sie.

Literaturhinweis
Schmid-Hempel R & Tognazzo M. Molecular Divergence Defines Two distinct Lineages of Crithidia bombi (Trypanosomatidae); Parasites of Bumblebees. 2010. The Journal of Eukaryotic Microbiology. DOI: 10.1111/j.1550-7408.2010.00480.x



Quelle: ETH Life - Das Online-Magazin der ETH Zürich, Peter Rüegg, 19.07.10
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