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13.02.2016 | 09:07 | Zellkulturen 

Erste menschliche Dauerzellkultur stammt von 1951

Baltimore / Heidelberg - Mit stechenden Bauchschmerzen ging eine junge Frau in Baltimore Anfang 1951 zum Arzt. Acht Monate später ist Henrietta Lacks tot. Gebärmutterhalskrebs.

Zellkultur
Kaum jemand würde sich wohl heute noch an Henrietta Lacks erinnern, wären ihr nicht vor genau 65 Jahren Zellen entnommen worden - die ersten, die sich im Labor vermehrten. Für die Medizin eine Revolution, für die Familie der Beginn einer Leidensgeschichte. (c) Sven Hoppe - fotolia.com
«Ich hatte zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon 1.000 Patienten mit Gebärmutterhalskrebs gesehen», wird Howard Jones, ihr behandelnder Arzt im Johns Hopkins Krankenhaus, später schreiben. «Aber dieser Tumor war anders als alle anderen. Er war so groß wie eine Münze, sehr lila und weich, dabei sind solche Tumore normalerweise hart.»

Jones entnahm seiner Patientin Zellen - an diesem Montag (8. Februar) vor genau 65 Jahren - und gab die Gewebeprobe der Geschwulst an das Labor des Kollegen George Gey und dessen Ehefrau Margaret. Sie legten die Probe in ein Gemisch aus Hühnerplasma, einem Extrakt aus Kalbsembryonen und menschlichem Nabelschnurblut, stellten es in einen Kühlschrank - und erwarteten das baldige Absterben des Gewebes, denn bislang war es niemandem weltweit gelungen, menschliche Zellen im Labor für mehr als nur ein paar Wochen am Leben zu halten.

Doch die Zellen, auf deren Behälter Margaret Gey die Anfangsbuchstaben des Namens der Patientin - «HeLa» - geschrieben hat, wachsen und wachsen und wachsen. Über Nacht verdoppeln sie sich.

Bald sind es Millionen von menschlichen Zellen - die ersten, die sich jemals in einem Labor vermehrt und für mehr als nur ein paar Tage überlebt haben. «In der Geschichte der Forschung nimmt das eine Spitzenposition ein», sagt Elisabeth Schwarz, Biologin am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. «Das war eine wissenschaftliche Sensation.»

Erstmals in der Geschichte der Medizin kann nun ausgiebig an menschlichen Zellen geforscht werden. George Gey verschickt «HeLa» freigiebig in Labore in aller Welt. Wissenschaftler vermischen ihr neues Forschungsobjekt mit den Zellen von Mäusen und Hühnern, sie analysieren daran die Auswirkungen von Krebs, Kinderlähmung und Aids.

«Das war, als hätte jemand auf den Schalter gedrückt», sagt Biologin Schwarz. Auch in der Molekularbiologie und der Zellbiologie wird bald eifrig an «HeLa» geforscht. Die Zellen der jungen Frau aus Baltimore werden zum Standard in jedem Labor - und sind es bis heute.

Selbstverständlich gebe es inzwischen hunderte anderer Zelllinien, sagt Biologin Schwarz. Aber noch immer sei die allererste eine der begehrtesten. «'HeLa'-Zellen wachsen sehr unproblematisch und sie sind sehr robust. Eine Zelle teilt sich in 24 Stunden, bei anderen Zelllinien dauert das viel länger.» Warum gerade diese Zellen so schnell und robust wachsen, bisweilen sogar so sehr, dass sie andere Zelllinien einfach überfallen, überwuchern und für die Forschung unbrauchbar machen, das können Forscher bis heute nicht genau sagen.

An «HeLa»-Zellen gelang dem langjährigen Vorsitzenden des Deutschen Krebsforschungszentrums, Harald zur Hausen, seine spektakulärste Entdeckung. Er fand darin die humanen Papillomviren HPV16 und HPV18. Es habe sich sofort die Frage gestellt, ob das genetische Material der Viren bei der Entstehung des Tumors eine Rolle spielt, erzählt Schwarz, die damals zur Hausens Assistentin war. Ergebnis jahrelanger Forschung: Die Viren können die Ursache für einen Tumor sein. Ein Impfstoff wird entwickelt, zur Hausen bekommt 2008 den Medizin-Nobelpreis. Aus einem Tumor im Gebärmutterhals ist rund ein halbes Jahrhundert später die Basis für einen Impfstoff dagegen geworden.

Henrietta Lacks konnte von all dem nichts ahnen. Die Afroamerikanerin starb wenige Monate nachdem sich die Zellen ihres Tumors erstmals vermehrt hatten im Alter von nur 31 Jahren. Niemand habe die Mutter von fünf Kindern, die in ärmlichen Verhältnissen auf einer Tabakfarm in Virginia aufgewachsen war, je gefragt, ob aus ihrem Körper Gewebe entnommen werden dürfe, schreibt die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Rebecca Skloot, die die Geschichte von Henrietta Lacks jahrelang erforscht hat, in ihrem Buch «Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks».

Skloots Recherchen zufolge erfuhren die Nachfahren erst rund zwanzig Jahre später und nur durch Zufall, dass einige Zellen ihrer Mutter noch lebten. Für die Kinder sei das ein Schock gewesen, schreibt Skloot. «Sie glauben ans Beten, Glaubensheilungen und manchmal an Voodoo. Sie sind in einer afroamerikanisch geprägten Gegend aufgewachsen, die zu den ärmsten und gefährlichsten des Landes gehört. Henriettas Tochter Deborah glaubt daran, dass der Geist ihrer Mutter in ihren Zellen weiterlebt.»

Geld haben die Nachfahren für die unbewussten Verdienste ihrer Mutter eigenen Angaben zufolge nie bekommen und auch bis zur öffentlichen Anerkennung dauerte es. In dem Waldstück in Virginia, in dem das Grab von Lacks vermutet wird, steht seit einigen Jahren eine Gedenktafel.

Im Juni 2011 bekam sie posthum die Ehrendoktorwürde der Morgan State Universität in Baltimore verliehen. «Die Geschichte von Henrietta Lacks hat den Anstoß gegeben, dass man inzwischen vorher fragt, wenn menschliches Material für Forschungszwecke verwendet wird», sagt Biologin Schwarz. «Heute ist das Standard, aber damals hat man sich einfach noch keine Gedanken drüber gemacht.»
dpa
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