Oder aus Chicorée-Wurzeln. Oder aus alten Brötchen. Ermöglichen soll das eine sogenannte Bioraffinerie, die pflanzliches Ausgangsmaterial in Biokunststoffe verwandelt. Kruse ist Fachgebietsleiterin für Konversionstechnologien nachwachsender
Rohstoffe an der Universität
Hohenheim und hat am Mittwoch mit einem Forscherteam ihrer Hochschule den Prototyp in
Betrieb genommen.
Die Bioraffinerie der Hohenheimer Wissenschaftler steht in einem ehemaligen Schlachthaus auf einer Hofanlage in Eningen (Baden-Württemberg), wo die Universität eine Versuchsstation betreibt. Umbau der Räume und Bau der Anlage haben insgesamt mehr als 1,2 Millionen Euro gekostet, gefördert aus Forschungsprojekten von EU, Bund und Land. Ein Jahr lang habe das Team die Raffinerie geplant und dabei auf seit vielen Jahren erhobene Labordaten zurückgegriffen, sagt Ingenieur David Steinbach.
Nun können die Forscher einen Brei aus
Miscanthus, einer auch als Chinaschilf bekannten Pflanze, in die Bioraffinerie einspeisen. Mit der Anlage lässt sich aus dem Schilfgras sogenanntes Hydroxymethylfurfural (HMF) gewinnen - ein Ausgangsstoff zur Herstellung von Getränkeflaschen,
Verpackungen und Autoteilen. Oder eben von Strumpfhosen. «Bisher benutzte man dafür Erdöl», sagt Steinbach. HMF soll solche fossilen Rohstoffe ersetzen.
Die Universität Hohenheim pflanzt Chinaschilf auf einigen Testfeldern um Eningen an. In ganz Baden-Württemberg belaufe sich die Anbaufläche derzeit auf 100 Hektar, schätzt Agrarwissenschaftlerin Iris Lewandowksi. Geht es nach Andrea Kruse, vergrößert sich diese künftig deutlich: «Unsere Idee ist, dass Landwirte es auf ihren weniger guten Feldern anbauen und so die Biomasseproduktion in ihren Betrieb integrieren.» Zu dieser Idee gehört auch, dass
Bauern eine Bioraffinerie auf ihrem Hof stehen haben und diese mit selbst angebautem Schilf füttern. Über zentrale Sammelanlagen soll der Biokunststoff zu Industriepartnern gelangen. Kruse will beispielsweise Babynahrungshersteller, Getränkekonzerne oder eben Sportbekleidungs- und Strumpffabrikanten dafür gewinnen.
In anderen Fachbereichen, etwa der Chemie, existierten bereits ähnliche Forschungsprojekte, sagt Kruse. Eine Studie des Nova-Instituts im Auftrag des Bio-Based Industrie Consortium verzeichnet Ende 2017 europaweit 224 unterschiedliche Bioraffinerien - auch solche, die auf Zucker-, Öl- und Holzbasis arbeiten oder
Biodiesel produzieren. Das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung untersucht das Marktpotenzial biobasierter Lebensmittelverpackungen oder die Anwendbarkeit von Biokunststoffen im unternehmerischen Großeinkauf.
Die Bioraffinerie im ehemaligen Eninger Schlachthaus setzt ein Kilogramm Chinagras pro Stunde um. Für die Anlagen der Zukunft schwebt den Forschern ein Wert von einer Tonne am Tag vor - die Dimensionen künftiger Raffinerien hängen allerdings auch vom Ausgangsrohstoff ab. Denn Kruse zufolge lassen sie sich neben Schilf auch mit anderen bisherigen Abfallprodukten - etwa Teilen der Chicorée-Wurzel oder sogar alten Backwaren - befüllen. Für größere Folgeanlagen müssten aber erst einmal Investoren gefunden werden. Steinbach schätzt ihre Kosten auf zwei Millionen Euro.