Wissenschaftler am FBN befassen sich mit der Frage, welche Fähigkeiten Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten sowie welches Lernvermögen Nutztiere haben, um
Haltungsbedingungen zur Verbesserung des Tierwohls entsprechend gestalten zu können.
Es geht um die zentrale Frage, auf welchem Niveau und mittels welcher Mechanismen die Tiere Informationen aufnehmen und verarbeiten sowie wiederkehrende Abläufe und Prozesse erlernen können und wie das geistige Vermögen zum Wohle der Nutztiere in der
Landwirtschaft eingesetzt werden kann?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Schweizerische Nationalfonds (SNF) fördern jetzt ein gemeinsames Forschungsprojekt an Wild- und Hausziegen, um diese kognitiven Fähigkeiten der Tiere und die Auswirkungen von langfristigem Training auf die Haltung und das Wohlbefinden von Nutztieren zu untersuchen.
Am Beispiel der Ziege soll außerdem der Einfluss der Domestikation auf das Lernverhalten und die kognitiven Fähigkeiten bei Tieren erforscht werden. In dem mit insgesamt rund 450.000 Euro geförderten Forschungsvorhaben sollen dazu gezielt Unterschiede zwischen Wild- und Hausziegen untersucht werden.
Dr. Jan Langbein vom FBN-Institut für Verhaltensphysiologie Dummerstorf wird die Studie auf deutscher Seite leiten. Identische Untersuchungen werden am Schweizer Zentrum für tiergerechte Haltung:
Wiederkäuer und Schweine (ZTHT) bei
Agroscope in Tänikon (Dr. Nina Keil) durchgeführt. Die Testreihe mit Wildziegen wird im Tierpark Dählhölzli in Bern erfolgen, dem einzigen größeren Wildziegenbestand in Europa.
„Kognitionstests sind ein wichtiges Werkzeug bei der vergleichenden Untersuchung von Lern- und Kognitionsleistungen von Wild- und domestizierten Tieren. Entsprechende Veränderungen im Verhalten können nur noch an wenigen Tierarten erforscht werden, da das Vorhandensein der wilden Ausgangsform der domestizierten Art dafür eine Grundvoraussetzung ist“, so Prof. Birger Puppe, Leiter des Instituts für Verhaltensphysiologie am FBN.
Nutztiere sind Bedingungen ausgesetzt, die eine nur eingeschränkte Umsetzung arteigenen Verhaltens zulassen, was schnell zu Langeweile, Stress und Frustration führen kann. Während bei Zootieren positive Effekte durch die Stimulation des Lernvermögens und anderer kognitiver Fähigkeiten nachgewiesen wurden, gibt es nur wenige Studien, die sich mit kognitivem Training als Form der Umweltanreicherung und möglichen positiven Effekten für das Wohlbefinden bei Nutztiere auseinandersetzen.
Vorteil Wildtier oder Hausrasse?
Im Forschungsprojekt sollen in den kommenden drei Jahren an Wild- und Hausziegen Veränderungen der Lernleistung und -flexibilität sowie in kognitiven Fähigkeiten im Verlaufe der Entwicklung zum Haustier (Domestikation), die Fähigkeit zum sozialen Lernen von Artgenossen oder Menschen sowie die Motivation zur Beschäftigung mit mentalen Herausforderungen und der Einfluss von kognitiven Training auf Stress und Wohlbefinden untersucht werden.
Versuchstiere im Projekt sind Wildziegen aus dem Berner Tierpark und zwei domestizierte Ziegenrassen mit unterschiedlichem Zuchtziel. „Durch die Wiederholung der Versuche an zwei Forschungsstandorten unter vergleichbaren Haltungsbedingungen kann die Aussagekraft der Resultate erheblich gesteigert werden“, sagte Projektleiter Dr. Jan Langbein.
Die Ergebnisse des Projektes sollen am Beispiel der Ziege Erkenntnisse liefern, inwieweit die Domestikation generell und spezifische Zuchtziele im Besonderen die Lern- und kognitiven Fähigkeiten von Tieren verändert haben. „Ein vertieftes Verständnis der kognitiven Fähigkeiten und Ansprüche von Nutztieren ist die Voraussetzung für artgerechtere Haltungsbedingungen in der Zukunft unter Berücksichtigung geeigneter kognitiver Herausforderungen, so wie es bei Zootieren bereits seit längerem realisiert wird“, unterstrich Langbein.
Große Erfahrung in der Verhaltensforschung
Es liegt vor allem auch an den Dummerstorfer Wissenschaftlern, dass sich altbekannte Sprüche von „blöden Ziegen“, „faulen Schweinen“ oder „doofen Kühen“ als unwahr erwiesen haben. Schon seit mehr als 15 Jahren werden in Dummerstorf die vielfältigen Fähigkeiten und das Sozialverhalten der Nutztiere erforscht. So konnte unter anderem bewiesen werden, dass
Ziegen wie Menschen in Kategorien denken können, Schweine auf persönlichen Namensaufruf zum Futtertrog eilen und brünstige Kühe an ihren Lauten zu erkennen sind.
Die Kompetenz in der langjährigen Kognitionsforschung und wissenschaftliche Akzeptanz spiegeln sich auch in einer jüngst erschienenen Veröffentlichung in dem renommierten amerikanischen Forschungsjournal SCIENCE wider. Dort haben die Dummerstorfer Wissenschaftler Dr. Jan Langbein und Prof. Birger Puppe einen Kommentar* zu einem aktuellen Versuch zum Lernvermögen von Enten veröffentlicht. Enten können in einem prägungsähnlichen Vorgang zwar Konzepte in Bezug auf Formen, nicht aber in Bezug auf Farben erlernen, wie die FBN-Wissenschaftler entsprechende Darstellungen im Originalartikel relativierten.