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29.12.2010 | 11:06 | Debatte: Zukunft der Sicherheitsforschung 

Inge Broer: Wir müssen ein klares und effizientes System entwickeln, um neue Pflanzen zu analysieren

Darmstadt/Aachen - Angesichts wachsender Weltbevölkerung, Klimawandel und Ressourcenknappheit stehen Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung vor neuen Herausforderungen. Auch gentechnische Methoden werden dabei eine Rolle spielen. bioSicherheit sprach mit Prof. Dr. Inge Broer über diese Themen.

Prof. Dr. Inge Broer
Prof. Dr. Inge Broer (c) bioSicherheit.de
Prof. Dr. Inge Broer ist Biologin und leitet die Arbeitsgruppe Agrobiotechnologie an der Universität Rostock. Sie war an der Entwicklung verschiedener gentechnisch veränderter Pflanzen beteiligt, beispielsweise eine Kartoffel, die einen biologisch abbaubaren Kunststoff produziert, und hat in den letzten zehn Jahren Sicherheitsforschung an gentechnisch veränderten Pflanzen durchgeführt. 2010 veröffentlichte sie ein Thesenpapier zur Zukunft der biologischen Sicherheitsforschung.

bioSicherheit: In den nächsten Jahren werden Pflanzen mit neuen Eigenschaften gezüchtet werden - Pflanzen, die nachwachsende Rohstoffe produzieren oder Biomasse zur Energiegewinnung, Pflanzen, die an abiotische Stressfaktoren wie Trockenheit besser angepasst sind und solche mit neuen Krankheitsresistenzen. Was kann sich bei diesen neuen Pflanzen an Sicherheitsproblemen ergeben?

Inge Broer: Eventuelle Sicherheitsprobleme hängen immer davon ab, um welche Kulturpflanze und um welche spezifische Eigenschaft es sich handelt. Im Prinzip kann man sich bei Stresstoleranzen, also zum Beispiel Krankheitsresistenzen, vorstellen, dass die Kulturpflanze weniger abhängig wird von ihrer Bearbeitung durch den Menschen und sich deshalb eher in der Umgebung durchsetzen kann. Einige Kulturarten, die schon jetzt sehr konkurrenzstark sind, könnten dann vielleicht auch außerhalb der Ackerfläche wachsen. Wenn eine neue Eigenschaft die Konkurrenzkraft erhöht, sollte sehr genau geprüft werden, ob die veränderte Kulturpflanze in der Anbauregion Wildpflanzen als Kreuzungspartner hat. Das Risiko, dass die Nachkommen einer solchen Kreuzung sich besser ausbreiten können, sollte nicht eingegangen werden. Aber das hängt wieder von der Eigenschaft und von der Kulturart ab. Zum Beispiel hat Raps bei uns wilde Kreuzungspartner, Mais und Kartoffeln aber nicht.

Für Pflanzen mit gesteigerter Biomasseproduktion sehe ich eher, dass die Abhängigkeit vom Menschen größer wird, das heißt, dass das Risiko, dass diese Pflanzen sich in der Umwelt ausbreiten, geringer wird.

bioSicherheit: Wie identifiziert man die Sicherheitsfragen, die vor dem Anbau gelöst werden müssen, und wie sollte man sie bearbeiten?

Inge Broer: Wir müssen ein klares und effizientes System entwickeln, um neue Pflanzen zu analysieren, eine Art Entscheidungsbaum. Zuerst schaut man sich an, was sind die möglichen Risiken bei einer spezifischen Kombination von Transgen und Pflanze. Produziert eine Pflanze beispielsweise ein Protein, das Schadinsekten abtötet, stellt sich die Frage nach der Schädigung anderer Insekten. Produziert eine Pflanze ein Protein, das Bakterien abtötet, stellt sich die Frage nach der Schädigung von Bodenbakterien.

Dann betrachtet man, ob tatsächlich ein Schaden eintreten kann. Zum Beispiel: Kommt ein Insekt, das durch einen Bt-Mais geschädigt werden könnte, überhaupt mit dem Mais in Kontakt? Oder: Wird das Protein, das Bakterien abtötet, überhaupt in den Boden abgegeben? Oder: Kann ein potenziell allergenes Protein überhaupt ins Blut übertreten?

Die nächste Frage ist, wie groß die Unterschiede zwischen der gentechnisch veränderten und der unveränderten Pflanze sein müssen, damit man von der Möglichkeit eines Schadens ausgeht, und welche Unterschiede biologisch relevant sind. Um das zu untersuchen, braucht man Zeiger, das sind zum Beispiel Organismen, die besonders empfindlich sind oder Testreaktionen, die besonders sensitiv sind und die auf ein mögliches Risiko hinweisen könnten. Für diese Zeiger muss man wissenschaftlich begründete Schwellenwerte definieren. Erst wenn der Wert, den man mit einem bestimmten Meßsystem ermittelt hat, den Schwellenwert überschreitet, sind an dieser Stelle möglicherweise weitere Untersuchungen erforderlich.

Dann muss man genau überlegen, mit welcher Fragestellung man ins Freiland muss und mit welcher man im Labor arbeiten kann. Grundsätzlich sollte man immer im Labor anfangen, unter standardisierten Bedingungen. Wenn man im Labor einen Effekt sieht, muss man ihn im Freiland überprüfen. Im Freiland ist es allerdings erheblich schwieriger und aufwändiger, belastbare Aussagen zu treffen, weil man ständig wechselnde Bedingungen hat, die man auch nicht beeinflussen kann.

Ein solches Entscheidungssystem wäre sehr viel effizienter als das, was wir heute machen. Heute haben wir weder festgelegte Zeiger noch Schwellenwerte.
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