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10.10.2018 | 12:46 | Klimaforschung 

Mehr Ehrgeiz in der Klimapolitik gefordert

Incheon/Berlin - Missernten, Dürren, steigende Meeresspiegel: Die Begrenzung des Klimawandels und seiner Folgen wird zu einem Wettlauf gegen die Zeit.

Klimawandel
Deutschland ringt um den Kohleausstieg, die EU streitet, wie viel Sprit neue Autos fressen dürfen - Alltag im mühsamen Klimaschutz. Jetzt schreckt ein neuer UN-Bericht die Politik auf. Die Botschaft: Mehr Ehrgeiz lohnt sich. Aber es wird schwer. (c) proplanta
Der Weltklimarat der Vereinten Nationen fordert in einem Sonderbericht rasches Handel in allen Bereichen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Zwar seien die Folgen für die Weltbevölkerung dann immer noch dramatisch. Eine Erwärmung um zwei Grad würde die Lebensgrundlagen für Hunderte Millionen Menschen aber noch viel stärker bedrohen, warnen die Experten.

Im Pariser Klimaabkommen hat die Weltgemeinschaft sich darauf verständigt, den Klimawandel bei «deutlich unter zwei Grad» zu bremsen, möglichst aber schon bei 1,5 Grad. Wissenschaftler wurden beauftragt, auszuarbeiten, ob und wie das machbar ist. In der Nacht zum Montag legten sie ihre Ergebnisse in Südkorea vor.

«Die globale Erwärmung auf 1,5-Grad zu begrenzen, erfordert rasche, weitreichende und beispiellose Veränderungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft», erklärte der Klimarat IPCC im Anschluss an eine mehrtägige Sitzung in der Küstenstadt Incheon. Es gehe Energie, Industrie, Gebäude, Transport, Landnutzung und Städtebau. Der globale Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderen Klimagasen müsste nach dem IPCC-Bericht für das 1,5-Grad-Ziel von 2010 bis 2030 um 45 Prozent fallen und im Jahr 2050 netto bei Null liegen.

Das 1,5-Grad-Ziel bezieht sich nicht auf die derzeitige Temperatur, sondern auf die vor der Industrialisierung - denn seitdem hat die Erde sich bereits um etwa ein Grad erwärmt. Es bleiben also nur 0,5 Grad. «Eine der Kernaussagen des Berichts ist: Wir sehen derzeit bereits die Konsequenzen von einem Grad Erderwärmung wie mehr Extremwetter, steigende Meeresspiegel, schwindendes arktisches Meereis und andere Veränderungen», sagte der Co-Vorsitzende einer IPCC-Arbeitsgruppe, Panmao Zhai.

Einig sind sich die meisten Forscher, dass die Welt ohne zusätzliche Anstrengungen derzeit sogar auf drei bis vier Grad Erwärmung zusteuert. Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, dass die Staaten ihre Ziele regelmäßig nachschärfen. Genaue Regeln dafür sollen auf der nächstem UN-Klimakonferenz im Dezember im polnischen Kattowitz beschlossen werden.

Nach dem neuen Bericht können die Menschen möglicherweise etwas mehr CO2 ausstoßen als bisher angenommen, um dennoch dass 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Für den Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, ist das kein Grund zur Entspannung. «Gegenüber früheren Abschätzungen des IPCC haben wir höchstens einen Zeitgewinn von sieben Jahren.» Der sei aber «schon längst verfrühstückt» angesichts der geplanten und existierenden Kohlekraftwerke, die oft noch Jahrzehnte CO2 ausstießen.

Der IPCC-Bericht macht deutlich, dass es große Unterschiede zwischen einer Erwärmung von 1,5 und einer von 2 Grad gibt: 

  • Die Begrenzung auf 1,5 Grad könnte die Zahl der Menschen, «die klimabedingten Risiken ausgesetzt und anfällig für Armut sind, bis 2050 um mehrere Hundert Millionen» verringern.
  • Bei 1,5 Grad werden Ernteeinbußen bei Mais, Reis, Weizen und womöglich weiteren Getreidearten geringer ausfallen.
  • Der Meeresspiegel wird bei 1,5 Grad bis zum Jahr 2100 um 10 Zentimeter weniger klettern als bei 2 Grad. 
  • Einen eisfreien Arktischen Ozean im Sommer gibt es wahrscheinlich einmal pro Jahrhundert, bei 2 Grad vermutlich «mindestens einmal pro Jahrzehnt».
  • Etwa 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe würden bei 1,5 Grad verschwinden. «Mit 2 Grad wären praktisch alle verloren.»
  • Bei 2 Grad könnten deutlich weniger Fische gefangen werden.
  • Das Risiko für große Systemumbrüche, etwa das Abschmelzen des Grönlandeises, erhöht sich bei 2 Grad.
An diesem Dienstag treffen sich die Umweltminister der EU in Brüssel, um über ihre Position vor der kommenden Weltklimakonferenz und den Klimaschutz im Verkehr, also strengere CO2-Grenzwerte für Neuwagen, zu verhandeln.

Die Bundesregierung zeigte sich am Montag beeindruckt vom Sonderbericht des Klimarats. Umwelt- und Forschungsministerium forderten mehr Ehrgeiz im Kampf gegen die Erderwärmung. Die Erkenntnis, dass zwei Grad Erderwärmung viel schwerwiegendere Folgen für Millionen Menschen hätten als 1,5 Grad, müsse «handlungstreibend» sein, sagte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth.

Forschungs-Staatssekretär Michael Meister nannte den Bericht einen «Weckruf»: «Wir haben die Fakten vorliegen für die Klimapolitik.» Derzeit hinkt Deutschland im Klimaschutz den eigenen und internationalen Zielen hinterher. Eine Kommission soll noch in diesem Jahr einen Plan für den Ausstieg aus der Kohlestrom-Gewinnung vorlegen, auch zum Klimaschutz im Verkehr tagt eine Arbeitsgruppe. Ab 2019 soll ein Klimaschutzgesetz sicherstellen, dass Deutschland die Ziele in Zukunft erreicht.

Eine am Sonderbericht beteiligte Hamburger Klimaexpertin stellte der Bundesregierung ein mäßiges Zeugnis aus: Sie fände es «schade», dass Deutschland «nicht mehr ganz an der Führungsspitze des Umbruchs und des Voranschreitens» stehe, sagte Daniela Jacob, und forderte «deutlich ambitionierte Schritte». Das Land habe dazu alles, was es brauche, etwa Erfindergeist und Ingenieure.

Auch die deutschen Umweltverbände forderten mit Blick auf den neuen Report größere Anstrengungen der Politik. «Auch die Bundesregierung muss ihre Ziele und Maßnahmen der 1,5-Grenze anpassen», sagte BUND-Chef Hubert Weiger. «In Deutschland muss deshalb schnellstmöglich mit dem Kohleausstieg begonnen werden», mahnte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert, forderte mit Blick auf das Treffen in Brüssel am Dienstag: «Schon aus Selbstschutz muss die Europäische Union morgen als gutes Beispiel vorangehen, indem sie sich im EU-Umweltrat verpflichtet, das EU-Ziel für 2030 deutlich zu erhöhen.»
dpa
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