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28.03.2011 | 04:05 | Umweltforschung 

Verkabelter Wald liefert CO2-Daten

Zürich - Ein vollautomatisiertes, ausgeklügeltes Netzwerk an Messvorrichtungen in einem Schweizer Waldstück mass während zwei Sommern verschiedene Komponenten des Kohlenstoffkreislaufs.

Lydia Gentsch
Lydia Gentsch richtet ihre Messapparaturen ein. (c) Simone Ulmer
Noch werten die Forscher die Daten aus, doch danach sollen elementare Prozesse dieses Kreislaufs besser verstanden sein.

Bereits in der Mittelschule lernen wir, was Photosynthese ist: Durch die Photosynthese bilden Pflanzen aus Licht und Kohlendioxid (CO2) Zucker. Dabei nehmen die Pflanzen CO2 aus der Luft auf. «Veratmen» sie den bei der Photosynthese gebildeten Zucker, um ihren Energiebedarf zu stillen, geben sie wieder CO2 ab und schliessen somit den Kohlenstoffkreislauf auf Pflanzenebene. Dadurch sind Ökosysteme mit ihren Photosynthese betreibenden Organismen massgeblich am Kohlenstoffkreislauf der Erde beteiligt; sie sind wichtige Kohlenstoffsenken und -quellen.

Dieser biologische Kohlenstoffkreislauf ist jedoch nur teilweise verstanden. Wissenschaftler vom Institut für Agrarwissenschaften der ETH Zürich haben deshalb während zwei Sommern versucht, Teilprozesse kontinuierlich und genau zu messen. Ihre Messdaten stammen aus einem Waldstück auf der Lägeren, dem nordöstlichen Ausläufer der Jurakette zwischen Baden und Dielsdorf.


Aufwändige Messinfrastruktur im Wald

Das auf den Namen «Isocycle» getaufte Projekt wurde von dem Geoökologen Alexander Knohl, Assistenzprofessor an der ETH Zürich initiiert. Ermöglicht wurde Isocyle durch einen Marie Curie Excellence Grant, den der junge Wissenschaftler erhielt. Knohl und sein Team verkabelten etwa 100 Quadratmeter Wald, indem sie ihn mit 15 speziell angefertigten Messkammern bestückten. Die aus Kunststoff bestehenden Messkammern installierten sie im Boden und an den Baumstämmen. Einzelne belaubte Äste umschlossen sie mit Astkammern aus transparenter Teflonfolie. Das derart aus Messkammern aufgespannte Netzwerk, das über Schläuche und Kabel mit einer Art Messzentrale verbunden war, ermöglichte den Forschern, die CO2- und Wasserdampf-Flüsse in das «Pflanzen-System» und aus dem System heraus zu quantifizieren.

Um diese Flüsse in den Kammern des verkabelten Waldes zu messen, nutzen die Wissenschaftler neu entwickelte Laserspektrometer, die neben der CO2- und Wasserdampf-Konzentration auch die stabilen Isotope von Kohlenstoff und Sauerstoff im CO2 sowie Sauerstoff und Wasserstoff im Wasserdampf, direkt aus der Luft messen können. Die Laserspektrometer brachten die Forscher neben dem verkabelten Gelände in einer Hütte unter, die zum von der Empa betriebenen Nationalen Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe gehört.

Neben der Hütte steht zudem einer von zehn in der Schweiz stationierten Messtürme des sogenannten Fluxnet-Programms. Fluxnet ist ein globales Netzwerk von 400 speziellen Messtürmen, mit deren Hilfe der Nettoaustausch von CO2 und Wasserdampf sowie der fühlbare Wärmefluss zur Atmosphäre gemessen werden. Der Physiker und Postdoc Patrick Sturm vom Isocycle-Team nutzt den 45 Meter hohen Messturm, um über den Baumkronen ein Bild von den Isotopenflüssen zwischen Wald und Atmosphäre zu erhalten.


Marke Eigenbau auf hohem Niveau

Die Messapparaturen in der Hütte und die Messkammern im Wald waren mit beheizten Kabeln und Leitungen verbunden, denen beheizte Verteilerkästen zwischengeschaltet waren. Beheizt wurde, damit der Wasserdampf der Luft nicht kondensierte und so die Messwerte verfälschte. Das von der Doktorandin Lydia Gentsch mit ETH-Technikern der Gruppe Graslandwissenschaften und des Instituts für Agrarwissenschaften entwickelte ausgeklügelte System sowie der Mess-Zyklus waren vollständig automatisiert.

Hierfür hatte Patrick Sturm einen Computer so programmiert, dass er dem Kammer-Mess-System sowie den Laserspektrometern vorgab, was sie wann tun, beziehungsweise messen sollen: Computergesteuert wurde die Luft der jeweiligen Kammer über ein Ventilsystem zu den Laserspektrometern geleitet und die Messkammern in bestimmten Zeitabständen von der Umgebung für 15 Minuten abgeschlossen. Alle 5 Sekunden massen die Laserspektrometer in der von den Kammern angesaugten Luft die Isotope. Die herrschenden Umweltbedingungen wurden mit Hilfe von vielen verschiedenen Sensoren für Lichteinfall, Temperatur oder Luft- und Bodenfeuchte bestimmt.

Mit den aus dem Mess-Netzwerk gewonnenen Daten wollen die Wissenschaftler dazu beitragen, Antworten auf grundlegende Fragen zu finden: Wie viel CO2 können terrestrische Ökosysteme binden? Welche Mechanismen sind dafür verantwortlich, wie laufen sie ab und wie reagieren diese Prozesse auf Klimavariationen - etwa auf Trockenstress während Hitzewellen.


Schwerere Isotope bei Trockenheit

In der Waldhütte massen deshalb die Laserspektrometer in der angesaugten Luft die natürlich vorkommenden stabilen Isotope 13C und 18O des Kohlendioxids. Im Wasserdampf der Luft massen sie zudem die stabilen Isotope 18O und Deuterium. Die Forscher nutzen diese Isotope als Werkzeug, denn sie hinterlassen Spuren in der Pflanze, anhand denen sich deren Lebensbedingungen erforschen lassen. Bei der Photosynthese im Blatt bevorzugen die Pflanzen CO2-Moleküle mit dem leichteren 12C-Isotop. Das schwerere Isotop 13C, das ein Neutron mehr in seinem Atomkern hat, wird seltener eingebaut.

Wie stark das Blatt aber die schwereren Isotope für seine Nahrungsbildung nutzt, hängt unter anderem von den Umweltbedingungen ab. Ist es heiss und trocken, schliesst das Blatt seine Spaltöffnungen, um möglichst wenig Wasser zu verdunsten. Dabei wird es aber weniger wählerisch bei der Nahrungsproduktion und baut deshalb auch schwerere Isotope ein. Findet sich ungewöhnlich viel 13C in einem Jahresring eines Baumes, ist das ein Hinweis aufein besonders trockenes Jahr. «Aber auch unter normalen Bedingungen kann der 13C Anteil im Pflanzen-Kohlenstoff ein Indiz für physiologische Vorgänge in der Pflanze sein», erklärt Lydia Gentsch. «Derartige Schwankungen in der Isotopensignatur, ihre Grössenordnungen und Häufigkeit, sind in Feldversuchen bisher kaum untersucht worden.»


Kapazität der Kohlendioxidsenken erforschen

Parallel zu den Feldversuchen führt Matthias Barthel für seine Doktorarbeit Trockenheits-Experimente mit kleinen Buchenbäumen im Labor durch. Diese werden mit einer künstlich veränderten Isotopensignatur im CO2 begast. Das ermöglicht dem Wissenschaftler den Weg des Kohlenstoffs durch die Pflanze zu verfolgen und gibt Hinweis auf die Kohlenstoffverteilung und den Kohlenstofftransport innerhalb der Pflanze bei Trockenstress.

Durch den Abgleich der gewonnenen Daten aus Feld- und Laborversuchen wollen die Forscher die Mechanismen der CO2-Aufnahme und -Abgabe von Buchen verstehen. Bis anhin ist noch wenig erforscht, wie sich die Kapazität der Kohlendioxidsenken bei einem wärmer werdenden Klima verhält. Gelingt es den Forschenden, mit Isocycle die grundlegenden Prozesse im Wasser- und Kohlenstoffkreislauf zu bestimmen und durch bestehende Modelle zu verifizieren, hilft dies beispielsweise, die natürlichen terrestrischen Kohlenstoffsenken besser in Klimamodellen zu berücksichtigen.


Tagesgang in der Photosynthese

Die Geländearbeit und Versuche im Labor sind nun abgeschlossen. Derzeit sitzen die Wissenschaftler in ihrem Büro und extrahieren mit speziellen Computerprogrammen die für sie relevanten Daten aus dem «Datensalat» der Millionen von Datenpunkten. Bereits kann Lydia Gentsch anhand der Messungen in den Astkammern erste Tendenzen ausmachen: Die Blätter betreiben über den Tag nicht nur, wie erwartet, unterschiedlich stark Photosynthese, sondern nehmen während des Tages im Vergleich zu 12C auch unterschiedlich viel 13C auf.

Die Daten zu interpretieren und eine Erklärung für die über den Tag unterschiedlich starke 13C-Aufnahme zu finden, wird eine ihrer nächsten Aufgaben sein. «Wenn etwa die Stärke der 13C-Aufnahme direkt mit einer Kombination der gemessenen Umweltparameter erklärbar wäre, dann wäre das natürlich ideal», sagt Gentsch, «So einfach wird es jedoch nicht werden, weil Pflanzen, wie alle Lebewesen, ihre physiologischen Prozesse aktiv regulieren.» Wie diese Grundlagenforschung den Kohlenstoffkreislauf weiter entschlüsselt, wird sich jedoch erst in den nächsten ein bis zwei Jahren zeigen, wenn alle Daten ausgewertet, analysiert und miteinander verglichen sind.


Kabelwald im Globe

Ein ausführlicher Bericht über den «Kabelwald» befindet sich in der aktuellen Ausgabe des Magazins ETH Globe. Im Fokus der Ausgabe steht das Thema «Robotik». ETH Globe schaut darin den Experten des Instituts für Robotik und Intelligente Systeme der ETH Zürich über die Schulter und fragt einen der renommiertesten Robotiker Europas nach seinen Visionen – ein spannender Ausflug in die Welt der Roboter von Heute und Morgen. Wie immer ist das Magazin auch als PDF verfügbar und wird erstmals ergänzt durch den neuen ETH Globe-Podcast.

ETH Life - Das Online-Magazin der ETH Zürich, Simone Ulmer, 21.03.2011"
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