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20.12.2021 | 03:44 | Dürre und Borkenkäfer 

Wald in Rheinland-Pfalz in Not

Montabaur / Lübeck - Weit geht der Blick über eine leere, dunkle Fläche mit zahllosen Baumstümpfen. Die Aussicht von der Montabaurer Höhe im Westerwald macht ratlos.

Waldsterben
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Dürre und Borkenkäfer haben den Fichtenwäldern zugesetzt. Einige Wissenschaftler und Naturschützer empfehlen aber eine andere Strategie als das schnelle Fällen von Bäumen. Ein besonderes Forstkonzept hat die Stadt Lübeck. (c) proplanta
Die zuständige rheinland-pfälzische Behörde Landesforsten gibt auf einer Tafel eine Erklärung: Der Klimawandel fördere den Borkenkäferbefall, und: «Geschädigte Bäume mussten entnommen werden.»

Gab es wirklich keine andere Möglichkeit? «Es wäre sinnvoller gewesen, die vom Borkenkäfer geschädigten Fichten stehenzulassen, meint die Botanikerin Dorothee Killmann von der Universität Koblenz-Landau, die mit Teilnehmern einer Waldbegehung der Naturschutzinitiative (NI) vor der Tafel steht. «Anstatt den Waldboden freizulegen und ihn so ungehindert der Sonneneinstrahlung auszusetzen, hätte man die Fläche der Natur überlassen sollen.»

Ein Teil der Montabaurer Höhe hat sogar den Schutzstatus eines Flora-Fauna-Habitats (FFH) der Europäischen Union. Allein im FFH-Gebiet Montabaurer Höhe wurden nach Angaben des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums «rund 180.000 Fichten zur Eindämmung der klimabedingten Borkenkäfermassenvermehrung notgeerntet».

Von einem Kahlschlag könne aber keine Rede sein, sagt ein Sprecher des Ministeriums. «Die Entnahme der mit Borkenkäfern befallenen Bäume hatte das Ziel, die Nachbarwälder zu retten.»

Auch viele Waldbesitzer setzen auf Abholzen: «Beim Borkenkäferbefall hilft nur die sofortige Entnahme der befallenen Bäume, um die Vermehrung aufzuhalten und den übrigen Wald vor Kahlfraß und Zerstörung zu schützen», sagt die Sprecherin des Dachverbandes Die Waldeigentümer, Larissa Schulz-Trieglaff. Bei der Wiederaufforstung solle auf die Arten geachtet werden: «Die freien Flächen müssen durch klimaresiliente Mischbaumarten wiederbewaldet werden, um die Wälder möglichst schnell zu stabilisieren.»

Bei der Waldbegehung im Westerwald kommen die Naturschützer wiederholt auf das «Lübecker Modell» zu sprechen. Dieses zeige, wie mit einer kleineren Zahl von Eingriffen eine naturnahe Waldbewirtschaft möglich sei und der Wald gleichzeitig widerstandsfähiger gegen Dürre oder Borkenkäfer werde.

Das Forstrevier Lauerholz im Lübecker Stadtwald ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Wald. Auf mehr als 900 Hektar stehen hauptsächlich Laubbaumarten wie Buchen, Eichen, Eschen und Ahorn. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf: Dieser Wald ist anders.

Zwischen dicken alten Exemplaren liegen umgestürzte Bäume, kleine Wasserläufe durchziehen den Wald. «Seit rund 30 Jahren arbeiten wir im gesamten Lübecker Stadtwald nach dem Prinzip des integrativen Prozessschutzes», sagt Knut Sturm, der Leiter des Bereiches Stadtwald der Hansestadt Lübeck. «Das bedeutet, dass wir die natürlichen Prozesse im Ökosystem Wald so selten wie möglich stören.»

«Wir verzichten auf die sogenannte Durchforstung der Wälder, auf Kahlschlag und Wiederaufforstung. Stattdessen setzen wir auf Naturverjüngung, das heißt, wir warten ab, welche Baumarten von allein nachwachsen, wenn alte Bäume absterben oder umstürzen», sagt er. Wenn alte Bäume gefällt werden, werde ebenfalls nichts nachgepflanzt.

Durch die Baumsamen gebe es Millionen neuer Optionen von Keimlingen, die heranwachsen und sich durchsetzen müssten, beim gezielten Anpflanzen immer nur einige Tausend. Umgestürzte Bäume bleiben liegen und werden langsam von Insekten und Pilzen zersetzt.

Auch vom Borkenkäfer befallene Bäume bleiben stehen. Befallene Fichten sondern Sturm zufolge sehr wahrscheinlich wie viele andere Pflanzenarten auch Signalstoffe ab, die Fressfeinde und andere Antagonisten der Borkenkäfer anlocken. «Zwei bis drei Wochen später, wenn diese eingetroffen sind, holt ein Förster gewöhnlich den Baum raus und bekämpft damit genau die Antagonisten der Borkenkäfer», sagt Sturm.

Im Vergleich zu Referenzflächen habe sich der Borkenkäfer weniger ausgebreitet, wenn die befallenen Bäume stehengeblieben seien, sagt er mit Verweis auf Untersuchungen im Lübecker Wald und angrenzender Waldgebiete . «Allerdings lässt sich das nicht auf alle Wälder übertragen», betont Sturm. Es komme auch auf die vorherrschenden Baumarten und Regionen mit ihren spezifischen Klimabedingungen an, zudem habe jeder Wald andere Abwehrstrategien. Das müsse jeweils erprobt werden.

Auf Laien wirke der naturnah bewirtschaftete Wald mit dem herumliegenden Totholz und den unbegradigten Bächen oft unordentlich, sagt der frühere Leiter des Lübecker Forstamtes, Lutz Fähser, der das Waldkonzept in der Hansestadt etabliert hatte. «Doch das ist Natur.»

«Die naturnahe Bewirtschaftung unserer Wälder bedeutet nicht, dass wir keine Bäume fällen», stellt Sturm klar. Es sei jedoch nur rund ein Drittel eines gewöhnlichen Forstes, «und wir entnehmen nur einzelne starke Bäume, die zu langlebigen Produkten verarbeitet werden. Als Brennholz ist unser Holz viel zu schade.»

Seine Lösung für den Holzbedarf: weniger verbrennen und für Möbel und Häuser Eichenholz verwenden, das sehr lange halte, wie etwa die alten Bauten von Lübeck zeigten. «Zwei Drittel des Holzes gehen in Deutschland in kurzlebige Produkte wie Brennholz, Papier und Pressspan, bei uns sind es 18 Prozent», sagt Sturm.

Waldexpertin Sandra Hieke von Greenpeace hält das Lübecker Konzept angesichts der Klimaveränderungen für das einzig richtige. «Die Erfahrung und wissenschaftliche Auswertungen zeigen, dass intensiv bewirtschaftete Forste in der Regel stärker unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden als stabile naturnahe Wälder», sagt sie.

Inzwischen haben einige große Städte in Deutschland das Konzept übernommen, darunter Berlin, München, Hannover und Göttingen. Auch international sei das Interesse sehr groß, sagt Sturm.
dpa
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