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15.03.2011 

Macht Atomausstieg Strom deutlich teurer?

Es ist kein halbes Jahr her, da schenkte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den sieben ältesten Atommeilern ohne Nachrüstung eine längere Laufzeit. Doch die Zeitenwende durch Fukushima ändert alles - und lässt Merkel am Dienstag zum Mittel einer «staatlichen Anordnung aus Sicherheitsgründen» greifen.

Strommast
(c) proplanta
Bis Mitte Mai werden nur noch neun der 17 Atomkraftwerke Strom liefern. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) rechnet bereits mit steigenden Strompreisen. 


Welche Meiler müssen nun vom Netz?

Die vorübergehende Abschaltung betrifft die AKW Neckarwestheim I, Philippsburg I (Baden-Württemberg), Biblis A und B (Hessen), Isar I (Bayern), Unterweser (Niedersachsen) und das ohnehin seit 2007 fast dauerhaft stillstehende AKW Brunsbüttel (Schleswig-Holstein). Zudem bleibt das 1983 ans Netz gegangene und nach einem Trafobrand abgeschaltete AKW Krümmel in Schleswig-Holstein vom Netz getrennt. Merkel begründet den Schritt damit, dass bei einem Stil

lstand die Sicherheitschecks leichter durchzuführen sind. Alle Anlagen werden nun besonders auf ihre Notstromversorgung und das Kühlsystem hin überprüft. Die Meiler werden noch diese Woche heruntergefahren. Neckarwestheim I und Isar I werden dauerhaft abgeschaltet, Krümmel, Brunsbüttel und Biblis A droht das gleiche Schicksal.


Warum werden die AKW vom Netz genommen?

Weil es Sicherheitsbedenken gibt. Aber die Regierungsentscheidung wirft Fragen auf: Schließlich gibt es regelmäßige Sicherheitschecks und für alle Anlagen Schwachstellen-Analysen. Zudem sind drei Monate nicht sehr viel. Generell gilt: Den Anlagen fehlt die «dicke Haube», also ein Schutz gegen den Absturz von großen Flugzeugen. Die Regierung hat das Risiko von Terrorattacken mit Flugzeugen zunächst als zumutbares Restrisiko angesehen, Fukushima habe aber gezeigt, dass auch das Undenkbare einkalkuliert werden muss. Zudem ist es bei den Meilern wie mit einem «U», erklärt Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz. Zunächst gibt es in den ersten Jahren Anfängerkrankheiten, dann kommt eine problemlose Phase und je älter die Meiler werden, desto stärker steigen die Probleme.


Was passiert nach den drei Monaten?

Es ist möglich, dass alle Anlagen nach dem dreimonatigen Aussetzen der Laufzeitverlängerung nicht wieder ans Netz gehen, so wie es SPD und Grüne fordern. Zumal bereits jetzt klar ist, dass zwei AKW sicher und drei AKW wahrscheinlich dauerhaft stillgelegt werden. Dann muss geklärt werden, ob deren Mengen an Strom, die sie noch produzieren durften, auf die jüngeren Meiler übertragen werden. Diese würden dann teils weit über das Jahr 2040 hinaus laufen. Und es muss wohl ein neues Atomgesetz her. Die Regierung könnte aber auch milliardenteure Nachrüstungen verlangen, was ebenfalls Abschaltungen zur Folge hätte, weil es sich gerade für die ältesten Anlagen aufgrund einer geringen Restlaufzeit nicht rechnet. Jochen Stay, Kopf der Anti-Atom-Bewegung, traut dem Ganzen nicht: «Es ist eine Wählertäuschung ohne Gleichen, jetzt radikale Entscheidungen vorzuspielen und dann nach den Wahlen doch alles beim Alten lassen zu können.»


Droht Deutschland nun eine Stromlücke?

Nein. Entweder produzieren Kohle- und Gaskraftwerke mehr Strom oder es wird Atomstrom aus Frankreich zum Ausgleich der Ausfälle importiert. Die Stromproduktion der ältesten sieben Atomkraftwerke, sowie des Reaktors Krümmel ging ohnehin laut Greenpeace 2009 im Vergleich zu 2008 um über 16 Terrawattstunden (Tw/h) auf knapp 32 Tw/h zurück und trug nur noch 5,4 Prozent zur Stromproduktion bei.

Ökoenergien sind bereits bei etwas mehr als 16 Prozent. Und nicht zu
vergessen: Im Juli und August 2007 waren wegen Wartungsarbeiten und Stillständen schon mal sieben Atommeiler vom Netz getrennt. Und 2009 fielen mit Biblis A und B (Hessen) sowie Brunsbüttel und Krümmel (Schleswig-Holstein) fast dauerhaft vier AKW als Stromlieferanten aus, ohne dass es groß ins Gewicht fiel.


Aber dauerhaft geht es doch noch nicht ohne Atomstrom, oder?

Kurzfristig kann man bis zu fünf Kernreaktoren vom Netz nehmen, dies entspreche dem Überschuss an Strom, den Deutschland im Moment hat, sagt die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. «Dies ändert sich jedoch im kommenden Jahrzehnt, da viele alte Kohlekraftwerke vom Netz gehen.» Die frühe Abschaltung der Reaktoren müsste laut Kemfert durch einen teilweise Zubau von Kohlekraftwerken kompensiert werden. Da diese aber teurer werdende Zertifikate für den Ausstoß des Klimakillers CO2 kaufen müssen, könne sich das auf die Strompreise auswirken.


Werden die Strompreise nun kurzfristig steigen?

Das kann sein, muss aber nicht sein. «Das Abschalten von Kernkraftwerken wird die Strombörsenpreise vermutlich deutlich ansteigen lassen», sagt der Sprecher des Stromportals Verivox, Jürgen Scheurer. Der Verbraucherschützer Holger Krawinkel betont, dass sich der Strompreis an der Börse immer nach den teuersten Kraftwerken richtet: Fehlt Atomkraft, kann es sein, dass teure Gaskraftwerke in Spitzenzeiten Strom zuschießen müssen, dann steigt der Preis. Die Regierung müsse hier notfalls regulatorisch einschreiten, um zu hohe Strompreise zu unterbinden, sagt Krawinkel.

Zugleich wirkt gerade mehr Ökostrom preisdämpfend. Scheurer sagt, dass die Versorger höhere Börsenpreise nicht 1:1 weitergeben müssen. Experten halten aber etwa 1 Cent mehr pro Kilowattstunde (kw/h) für möglich. Derzeit kostet eine kw/h mit Ökostromumlage und Steuern, die zusammen 50 Prozent des Preises ausmachen, 26 Cent. Mit einer Kilowattstunde lässt sich eine Maschine Wäsche waschen. Schlimmer ist es für die Industrie, wo die Strompreise um bis zu 10 Cent steigen und Produkte verteuern können.


Werden die Konzerne Merkels Anordnung schlucken?

Die Regierung beruft sich auf Paragraf 19 des Atomgesetzes, wo geregelt ist, dass in Notsituationen bestimmte AKW vorübergehend oder ganz still gelegt werden können. Die Konstruktion ist sehr wackelig. Die Konzerne könnten dagegen klagen, da es keine konkrete Gefahr gibt, die die Anwendung rechtfertigt, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Das sei schließlich der «Gefahrenabwehr-Paragraf» des Atomgesetzes. Er vermutet einen «Deal», dass die Konzerne nicht auf Ausgleichszahlungen in Millionenhöhe klagen und die Regierung dafür erst einmal nur vorübergehend die Meiler vom Netz nimmt.

Angesichts der Stimmung in der Bevölkerung wird in Koalitionskreisen aber auch betont, dass es schwer werden dürfte, in drei Monaten den ein oder anderen Meiler wieder hochzufahren. Die Börse erwartet eine grundlegende Kehrtwende. Eon- und RWE-Papiere brachen am Dienstag um mehr als 4 Prozent ein. Bei einer früheren AKW-Abschaltung entstehe ein erheblicher Druck auf die Gewinne und Bewertung beider Unternehmen, betonte Analystin Deborah Wilkens von Goldman Sachs. (dpa)
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Kommentare 
Cammie Bandulin schrieb am 20.06.2011 09:27 Uhrzustimmen(126) widersprechen(68)
Es geht den Energiekonzernen immer nur um ihren Gewinn. Sie denken nie an unsere Natur, Hauptsache sie haben ihren Gewinn. Nun sprechen die Firmen davon, dass nicht genug Strom produziert würde ohne die Atomkraftwerke, aber das ist wieder nur eine Ausrede um den Ausstieg aus der Atomkraft zu bremsen. Auch die Bundesregierung möchte den Energieriesen entgegenkommen, indem sie den Kraftwerkbetreibern erlaubt, die Stromkontingente der sieben Atommeiler, die umgehend deaktiviert werden sollen, auf aktuellere Atommeiler zu überschreiben. Meiner Meinung nach ist dies alles Nonsens. Ich werde weiterhin gegen die Atomkraft vorgehen.
Kenny Mckibbens schrieb am 12.04.2011 14:55 Uhrzustimmen(132) widersprechen(77)
Die Experten streiten sich wieder, was für uns und unsere Umwelt effektiver sei. Und jetzt hat ausgerechnet der neue Hoffnungsträger der Umweltpolitik - US-Präsident Obama - die Planung und den Bau von Atomkraftwerken Vereinigten Staaten von Amerika gefordert. Mit Atomkraft könne man - ohne Kohlendioxid in großen Mengen freizusetzen - Strom erzeugen. Sogar berühmte Ökoaktivisten und sogar Ex-Bundeskanzler warnen vor einem überhasteten Atomausstieg. AKWs sind nur wenn etwas schiefgeht bedrohlich, Kohlkraftwerke hingegen immer. So oder so, Jeder kann sofort was beitragen, indem wir den Stromverbrauch senken (und damit auch Kosten sparen). Zum Beispiel beim Kochen spart ein stromsparender Herd gegebüberm normalen Elektroherd ungefähr 40 % Strom. Deckel drauf spart 60-70 % Energie, Schnellkochtopf spart bis zu einem Drittel Energie. Außerdem sollten die Töpfe nicht kleiner als die Platten sein, da dabei ungenutzte Energie verloren geht. Jeder Einzele sollte Strom sparen. Oft sind die, die am meisten den Umweltschutz fordern wollen im kleinen privaten die größten Umweltsünder. Auf dieser Webseite gibt es noch einige wichtige Tipps, was wir im privaten Haushalt machen können, um den Kampf gegen die Atomenergie zu gewinnen.
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