Seine Grünen lagen in Umfragen zwischen 11 und 13 Prozent, die
SPD dümpelte in den unteren Zwanzigern.
Ein paar Wochen und einen Kanzlerkandidaten Martin Schulz später berauscht sich die SPD an Ü-30-Werten, während die Grünen bei äußerst mauen sieben Prozent festgenagelt scheinen und ziemlich ratlos wirken. Was ist passiert?
Schulz ist passiert. Der im Hinterzimmer ausgemauschelte Europapolitiker und Ex-Bürgermeister saß nie im
Bundestag und geht in Berlin als «neues Gesicht» durch. Er zieht Stimmen von rot-grünen Wechselwählern, die auf eine Ablösung der Kanzlerin hoffen.
Dem gegenüber steht das grüne Spitzenduo. Cem Özdemir, vor 23 Jahren erstmals in den Bundestag gewählt, und Katrin Göring-Eckardt, seit 19 Jahren im Bundestag. Die Urwahl durch die Parteibasis sollte nach innen und außen mobilisieren, aber nur der erste Teil klappte.
Die Grünen haben 61.600 Mitglieder, so viel wie nie zuvor. Und sieben Prozent in Wahlumfragen, so wenig wie seit Jahren nicht.
Ihr eigenes «neues Gesicht» hat die Partei um nur 75 Stimmen verpasst. So knapp lag der schleswig-holsteinische Landesminister Robert Habeck, Politik-Quereinsteiger und oft erfrischend direkt, hinter Parteichef Özdemir. Eine vertane Chance? Möglich, aber nicht ausreichend als Erklärung für den grünen Fehlstart ins Superwahljahr mit einer Bundestags- und drei Landtagswahlen.
Da ist auch das Nach-Silvester-Drama um Parteichefin Simone Peter, die mit einem Kommentar über den Kölner Silvestereinsatz Zorn auf sich zog. Da sind - nur teilweise selbst verschuldete - Schein-Debatten über Katzensteuer und Sexhilfen auf Rezept, die zwar längst nicht das 2013er Chaos um den «Veggie Day» herankommen, aber in die gleiche Richtung weisen. Und da ist das Mega-Thema innere Sicherheit nach dem Berliner Anschlag, bei dem die meisten Wähler den Grünen traditionell nicht recht über den Weg trauen.
Und nun? Ob man Özdemir und Göring-Eckardt fragt, Wahlkampfmanager Kellner oder Fraktionsmanagerin Britta Haßelmann, die Antworten sind fast identisch: Umfragen sind Momentaufnahmen. 2002 lagen wir bei gut vier Prozent und holten doppelt so viel. Gut, dass sich dank Schulz überhaupt was bewegt. «Das muss man sportlich nehmen», sagt Özdemir.
Aber die Angst ist spürbar, von der Basis bis zur Spitze. Die Frage drängt, wie die Grünen da wieder rauskommen. Derzeit heißt die Strategie: Voll auf Öko, den grünen Markenkern. Drei Stunden saß die Parteiführung diese Woche mit den Umweltverbänden zusammen. Nur: Nicht mal in deren Chefbüros wagt man derzeit zu hoffen, dass Klima- und Naturschutz eine entscheidende Rolle im Wahlkampf spielen werden.
Vor ein paar Wochen war bei den Grünen noch mehr von Gerechtigkeit die Rede als von Umwelt, das Thema hat Schulz nun komplett für die SPD gekapert. «Wir müssen das andocken an die Themen, die die Menschen bewegen», sagt Parteichefin Simone Peter. Man müsse klar machen, dass soziale und ökologische Fragen zusammenhängen. Die Grünen wollen das Öko-Thema als «Existenzfrage» an den Wähler bringen. Sachlich spricht viel dafür. Zieht das in einem Jahr, in dem es - wie die Partei zugibt - hauptsächlich um Gefühle geht?
Immerhin bleibt ein grüner Reflex seit der Spitzen-Urwahl aus. Der linke Flügel, in dem viele das Spitzenduo für zu bürgerlich, brav und unionsnah halten, meckert kaum - öffentlich. Es kommt auch seltener vor, dass zu einem Thema sofort zwei gegensätzliche Positionen auf dem Tisch liegen. Fraglich ist nur, ob das so bleibt.
Ein Tiefschlag ist schon in Sichtweite. Ende März wird im Saarland gewählt, die Grünen müssen um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. Auch in NRW sieht es nicht rosig aus. Im Bund lautet das Ziel «deutlich zweistellig». Es scheint gerade weit weg. In einem offenen Rennen zwischen Angela Merkel und Martin Schulz laufen die Grünen in Gefahr, abgehängt zu werden - egal, wie sie sich aufstellen.
Kleiner Trost? «Beide wissen, dass sie nicht alleine regieren können», sagt Özdemir. Wenn Schulz oder Merkel nicht Chef einer neuen «GroKo» werden wollen, kommen sie an den Grünen - Stand jetzt - kaum vorbei.