Der Abbau von Hessens einzigem Atomkraftwerk hat am Mittwoch begonnen. «Der heutige Tag ist ein wichtiger Meilenstein», sagt Kraftwerksleiter Horst Kemmeter. «Es gibt kein Zurück mehr.»
In 15 Jahren will der Betreiber RWE seine Arbeit erledigt haben, «um die Anlage aus dem Atomgesetz entlassen zu können», wie Kemmeter es beschreibt. Bis dahin ist es ein langer Weg, zunächst müssen laut
RWE erstmal Möglichkeiten zur Dekontamination eingerichtet werden, um verstrahltes Material zu reinigen.
Eine Alternative zum Abbau habe es nicht gegeben, sagt Kemmeter. «Die politischen Leitplanken waren klar.» Das Atomkraftwerk war 2011 nach der Katastrophe von Fukushima erst für drei Monate und dann für immer abgeschaltet worden. Ende März erhielt RWE vom hessischen Umweltministerium als Aufsichtsbehörde die Abbau-Genehmigungen.
Biblis ist einer von vier Standorten, an denen Meiler des Energieriesen RWE stehen. Dazu gehören noch Lingen im Emsland (Niedersachsen), das 2022 abgeschaltet werden soll, das
AKW Gundremmingen in Bayern, für dessen Blöcke Ende 2017 beziehungsweise 2021 Schluss ist, sowie Mülheim-Kärlich (Rheinland-Pfalz), das schon seit Jahren und noch immer abgebaut wird. Neben den Atomkraftwerken hat RWE in Deutschland noch vier Braunkohlekraftwerke, drei Wasser- und drei Steinkohlekraftwerke, zwei Gaskraftwerke und ein Müllheizkraftwerk.
RWE spaltete sich 2016 in zwei Teile auf, um das wenig zukunftsfähige Geschäft mit konventionellen Kraftwerken vom lukrativeren Zukunftsgeschäft um
Ökostrom, Vertrieb und Netzbetrieb zu trennen. Zudem ist die Schadensersatzklage des Unternehmens wegen der Biblis-Stilllegung vom Tisch. Verlangt worden waren 235 Millionen Euro.
Die Rücknahme der Klage ist Teil eines milliardenschweren Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Betreibern deutscher Kernkraftwerke zur Entsorgung nuklearer Altlasten, der Ende Juni unterzeichnet wurde. Er sieht vor, dass die vier deutschen Energieriesen Barmittel in Höhe von rund 24 Milliarden Euro in einen staatlichen Entsorgungsfonds zahlen. Der Fonds soll die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls managen. Für
Stilllegung und Abriss der Kernkraftwerke sowie die Verpackung des Mülls bleiben die Konzerne verantwortlich.
Klar ist: Ein AKW-Abbau produziert Abfall. Und der muss in Biblis erst zwischengelagert werden. Denn ein Endlager für hochradioaktiven Müll ist in Deutschland noch nicht gefunden. «Die Suche nach einem Endlager ist das eigentlich Schwierige», sagt Hessens Umweltministerin Priska Hinz (Grüne). Sie gibt gemeinsam mit Kemmeter am Mittwoch den Startschuss für den Biblis-Abbau. «Das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen», sagt sie.
Die abgebrannten Brennstäbe kommen in den Castoren in Biblis in ein bis 2.046 genehmigtes Zwischenlager. RWE rechnet mit insgesamt 103 solcher Behälter. Hinzu kommen rund 63.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktiver Abfall. Dafür ist der Schacht Konrad im niedersächsischen Salzgitter vorgesehen, der aber vor 2022 nicht zur Verfügung stehen dürfte. «Als Puffer» baut RWE in Biblis dafür ein zweites Lager. Es soll Ende 2018 fertig sein.
Die
Diskussion um die Sicherheit geht indes auch am Tag des Abbau-Starts weiter. Ein Kritiker des Verfahrens ist der Bund für Umwelt und
Naturschutz (BUND), der Klage beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht hat. Es sei «nicht akzeptabel», dass eine
Umweltverträglichkeitsprüfung fehle, erklärt der BUND.
Das Kraftwerk Biblis war in seiner Geschichte immer wieder mit Pannen in die Schlagzeilen geraten. 1987 entwich in Block A bei einem der schwersten Störfälle in einem deutschen Atomkraftwerk durch ein offenes Ventil 15 Stunden lang radioaktiver Dampf. Im Jahr 2006 wurden bei einer Routine-Revision fehlerhaft montierte Dübel festgestellt, die unter anderem Rohrleitungen gegen Erdbeben sichern sollten. Rund 15.000 Dübel mussten ausgetauscht werden.