Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
20.12.2010 | 15:47

Bedenkliche unbedenkliche Orangen

Zürich - Konsumenten können Orangen aus Integrierter Produktion ohne Bedenken geniessen, für die Umwelt könnte der Anbau aber um Größenordnungen verbessert werden.

Orangen
(c) proplanta
Dies zeigt eine ETH-Studie über den Lebenszyklus und Verbleib von Pestiziden im Orangenanbau Spaniens. Weihnachtszeit ist auch Orangenzeit, in jedem Lebensmittelgeschäft liegen sie in den Regalen. Die Zitrusfrüchte sind willkommene Lieferanten von Vitamin C, welches das Immunsystem in der Schnupfen- und Grippezeit besonders braucht. Aber sind die Orangen wirklich so gesund, wie alle behaupten? Sind sie nicht belastet mit Pestiziden, die uns am Ende mehr schaden, als dass uns die Orange mit ihren wertvollen Vitaminen nützt?

Diesen und weiteren Fragen ist Ronnie Juraske, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umweltingenieurwissenschaften, nachgegangen. Er hat zusammen mit der spanischen Professorin Neus Sanjuán, die am Institut zu Gast war, untersucht, wie sich die im Orangenanbau angewendeten Pestizide auf die menschliche Gesundheit und die Süßwasser-Ökosysteme wie Bäche oder Seen, auswirken. Die beiden Forschenden untersuchten den Lebenszyklus von 25 verschiedenen Pestiziden, die im Orangenanbau gemäss Richtlinien der Integrierten Produktion (IP) eingesetzt werden dürfen. Dazu berechneten Juraske und Sanjuán für jedes dieser Spritzmittel ihre Einflussgröße auf die menschliche Gesundheit und die erwähnten Ökosysteme. Überdies verglichen sie IP mit Bio-Produktion.


Antimilbenmittel am giftigsten

Die toxikologischen Einschätzungen zeigen, dass im Durchschnitt die Antimilben-Spritzmittel die Gesundheit des Menschen am stärksten gefährden. Der Umwelt, insbesondere den in der Studie betrachteten Süßwasser-Lebensräumen, schaden dagegen die Insektizide am meisten. Spritzmittel gegen Unkräuter belasten sowohl die Umwelt als auch den Menschen am wenigsten.

Wenig überraschend ist, dass der negative Einfluss der Spritzmittel auf die menschliche Gesundheit bei Bio-Orangen um bis zu 100 Mal geringer ist als bei IP-Orangen; auch in Sachen Ökologie schneidet der biologische Orangenanbau um Größenordnungen besser ab. «Die beste ökotoxikologische Bewertung des besten IP-Betriebs ist 1000 Mal schlechter als die eines Bio-Betriebs», sagt Juraske. Bei einem schlechten IP-Betrieb kann der Unterschied zum Bio-Anbau bis zu einem Faktor zehn Millionen anwachsen, errechneten die ETH-Forscher. Dies bezieht sich allerdings nur auf Wasserorganismen, die als Anzeiger für die Ökotoxizität der Pestizide beigezogen wurden.

«Würden die spanischen Orangenbauern auf Bio umsteigen, würde dies die Umwelt stark entlasten», betont Juraske. Allerdings kommen auch Bio-Orangenbauern nicht ohne Spritzmittel aus. Sie dürfen Bäume und Früchte mit einem Parafinöl besprühen, damit Schadinsekten kleben bleiben und keinen Schaden anrichten können.


Nachbehandlung schlägt zu Buche

Für die Konsumierenden sieht der ETH-Forscher allerdings wenig Grund zur Sorge. Die meisten Spritzmittel bauen sich recht rasch ab, und wenn die Orangen schließlich Wochen nach der Ernte und der letzten Behandlung im Laden zum Verkauf angeboten werden, sind sie in der Regel bedenkenlos zu genießen.

Überrascht hat Juraske aber, dass das «letzte Bad» der Orangen nach der Ernte und vor dem Transport fast 95 Prozent der Gesamtbelastung der Orangen durch Pestizide ausmacht. IP-Früchte werden im Gegensatz zu Bio-Orangen mit einem Gemisch von Fungiziden nachbehandelt, damit sie auf dem Transport und im Laden nicht zu faulen beginnen. «Das ist bei weitem der größte Anteil an Pestiziden, die auf und in den Orangen enthalten ist. Zudem ist diese Nachbehandlung zeitlich am nächsten bei den Konsumenten», gibt Juraske zu bedenken. Diese Nachbehandlung stellt denn auch für die Käuferinnen und Käufer das größte Toxizitätsrisiko dar. Aber selbst wer Schalen von IP-Orangen beispielsweise für Backwaren nutzt, kann dies bedenkenlos tun. «Im Backofen bei Temperaturen um die 200°C zerfallen die Pestizide», sagt der Wissenschaftler.

Von der Fungizidbehandlung gelangen allerdings höchstens fünf Prozent in die Frucht hinein, das meiste bleibt auf und in den Schalen. In den Schnitzen werden die Pestizide überdies rasch abgebaut. Das ist ein Vorteil gegenüber anderen Früchten wie zum Beispiel Erdbeeren. Diese Frucht ist schwammartig und saugt die Pestizide in sich auf. Zudem ist ihre Haut sehr dünn. «Da man Erdbeeren frischt isst, also kaum Zeit für den Abbau der Spritzmittel bleibt, setzt man sich einer recht hohen Konzentration aus», sagt der Umweltingenieur.


Gesundheitsgefährdung umstritten

Wie giftig Pestizide sind, ist jedoch nicht so einfach einzuschätzen. Juraske sagt, dass eine allgemeine Vorhersage für die Pestizidbelastung auf Orangen nicht möglich ist, da zum Beispiel nicht immer bekannt ist, welche Spritzmittelart und welche Dosis die Bauern auf die Früchte spritzen. Zudem müssen sie das Pestizid auch variieren, damit die Schädlinge keine Resistenzen gegen ein einzelnes Mittel aufbauen können. Und nicht jedes Spritzmittel ist für Mensch und Umwelt gleich schädlich.

Ob und wie schädlich Pestizidrückstände in der Nahrung sind, ist umstritten. Während viele Menschen davon überzeugt sind, dass diese ihnen stark schaden, sagen Wissenschaftler wie Juraske, dass die Gefährlichkeit für Konsumenten wohl übertrieben ist. Bereits vor einigen Monaten haben er und weitere ETH-Forschende mit einer Studie, ob Pestizide die Lebenserwartung der Konsumierenden herabsetzt, auf sich aufmerksam gemacht. Ihren Berechnungen zufolge ist der Effekt minimal: In den USA beträgt die durchschnittliche Verkürzung der Lebenszeit 4,2 Minuten, in der Schweiz 3,2 Minuten. Pro Kilogramm versprühten Pestiziden während des Anbaus nehmen die Schweizer Konsumenten 0,41 Gramm mit der Nahrung auf, die Amerikaner 0,51 Gramm.


Informationen ergänzen

Spanische Orangen werden heutzutage vor allem gemäß den Richtlinien der Integrierten Produktion (IP) angebaut, konventionelle gibt es kaum noch. «Viele Pestizide, die früher verwendet wurden, sind heute in der EU verboten. Viele davon haben in Bezug auf den Ertrag auch nicht viel gebracht», betont Juraske. Durchschnittlich verwenden die Orangenproduzenten bis zu fünf verschiedene Spritzmittel, je nach Befall und Plage. Vom Landwirtschaftsministerium erhalten sie Informationen darüber, welches Spritzmittel sie wann und wie anwenden sollen. «Ökologische Ratschläge erhalten sie allerdings keine. Auch Informationen über die Öko- und Humantoxizität fehlen den Bauern weitgehend», hat Juraske herausgefunden. Diesbezüglich könne ihre Studie wertvolle Informationen liefern, welche die offiziellen Stellen im Idealfall in ihre Empfehlungen aufnehmen.


ETH Life - Das Online-Magazin der ETH Zürich, Peter Rüegg, 20.12.10
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Gemeinsame Lösungen für Pflanzenschutzmittelreduktion gefordert

 COPA-COGECA warnen weiter vor einer Überregulierung

 EFSA-Chef Url warnt vor Flaschenhals für Innovationen beim Pflanzenschutz

 Äpfel aus Südtirol sorgen für Pestizidbelastung auch in Berglagen

 Pflanzenschutzmittelexport höher ausgefallen als angegeben

  Kommentierte Artikel

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet

 Weniger Schadholz - Holzeinschlag deutlich gesunken