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07.02.2009 | 08:23 | Energiepolitik in Schweden  

Neue Atomreaktoren für Schweden: Ausstieg aus dem Ausstieg perfekt

Stockholm - Vor fast 30 Jahren entschied sich Schweden als erstes Land der Welt für den Ausstieg aus der Atomenergie - jetzt sieht sich die Stockholmer Regierung mit der genau gegenteiligen Entscheidung erneut als internationale Speerspitze.

Neue Atomreaktoren für Schweden: Ausstieg aus dem Ausstieg perfekt
«Wir gehen einen Schritt weiter als andere, zeigen mehr Tatkraft und bringen endlich die Klimapolitik und die Energiepolitik unter einen Hut», meinte Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt am Donnerstag, als seine Koalition grünes Licht für den Bau von bis zu zehn neuen Atomreaktoren als Ersatz für alte Meiler gab.

Noch länger als in Deutschland seit dem Atom-Ausstiegsbeschluss der rot-grünen Koalition von Ex-Kanzler Gerhard Schröder 1999 gehört das Thema «Zukunft der Atomindustrie» in Schweden zu den absoluten Dauerbrennern der Innenpolitik. Seit der Volksabstimmung mit dem Ja zum Ausstieg 1980 gab es ein ständiges Hickhack über die Umsetzung der Entscheidung. Sozialdemokratische Regierungschefs von Olof Palme bis Göran Persson taten sich ebenso schwer mit praktischen Schritten Richtung Ersatzenergien wie ihre bürgerlichen Kollegen vom entschiedenen Atomkraftgegner Thorbjörn Fälldin bis zum jetzigen Atomkraftbefürworter Reinfeldt von den Konservativen.

Knapp zweieinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt aber konnte Reinfeldt in dieser Woche endlich auch den Widerstand der traditionell gegen Atomkraft agierenden Zentrumspartei in seiner Regierung brechen. «In Zeiten wie jetzt brauchen die Menschen Signale der Hoffnung, und wir geben ihnen eines», bezog sich Reinfeldt vor allem auf die gerade im Exportland Schweden täglich auf neun Millionen Bürger einprasselnden Hiobsbotschaften von der Krisenfront:

Volvo und Saab sind mit ihrer Pkw-Fertigung vom Aus bedroht, kaum ein Tag vergeht ohne Ankündigung von jeweils mehreren tausend Stellenstreichungen in irgendeinem bekannten Konzern von Electrolux über Ericsson bis Atlas Copco.«Unsere Investoren brauchen Planungssicherheit, die geben wir ihnen jetzt», meinte da auch Wirtschaftsministerin Maud Olofsson vom Zentrum. Sie hatte noch im Wahlkampf 2006 verkündet, ihre Partei werde sich jedem Neubau von Kernreaktoren entschieden widersetzen. Nun sagt sie: «Das hier ist ein Kompromiss, und wir haben im Gegenzug Volldampf beim Ausbau erneuerbarer Energien durchgesetzt.»

Dass Lars Josefsson an der Spitze von Schwedens größtem Stromerzeuger Vattenfall sich über die energiepolitische Wende freuen würde, war klar. Sein zu 100 Prozent staatliches Unternehmen, in Deutschland wegen Pannen an den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel sowie umstrittener Kohlekraftwerke in Ostdeutschland in der Kritik, hat seit Jahren intensiv Lobbyarbeit betrieben. Ja, man begrüße die Entscheidung von Reinfeldts Regierung und werde wohl auch in Schweden als Ersatz für 2020-2025 zur Stilllegung anstehende zwei bis vier Reaktoren Ersatz bauen, meinte Josephsson.

Schwedens rot-grüne Opposition tat sich mit ihrem vorsichtigen Nein zu den Regierungsplänen schwer. Auch die Gewerkschaften sagen nämlich eindeutig Ja zum Ausstieg aus dem Ausstieg. Umfragen geben dieser Gruppe in der Bevölkerung eine klare Mehrheit. In Vergessenheit geraten scheint angesichts von Krise und steigender Arbeitslosigkeit in Schweden auch die Wolke von Tschernobyl, die nur dank günstiger Windverhältnisse im April 1986 nicht über den Skandinaviern niederging. Kaum ein Wort war am Donnerstag auch über ungelöste Endlagerungsprobleme für Kernabfall zu hören - und über die etwaige Notwendigkeit einer neuen Volksabstimmung nach der Kehrtwende auch nicht. (dpa)
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