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02.08.2016 | 15:16 | Klimaanlagen-Problem 

Dicke Wollpullover im Hochsommer

New York - Sommer in New York - das heißt drückende Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit und dicker Wollpullover.

Dicker Wollpullover mit Zopfmuster
Hitzewelle in New York - Zeit, den Winterpullover herauszukramen. Denn während draußen die Temperaturen auf über 30 Grad Celsius klettern, werden die Gebäude drinnen häufig auf die Hälfte heruntergekühlt. Ein Teufelskreis, sagen Experten. (c) proplanta
Denn während draußen zwischen den Wolkenkratzern Manhattans die Temperaturen oft auf über 30 Grad steigen, die Stadtverwaltung immer wieder Hitze-Warnungen verkündet und dringend zum Wassertrinken rät, bibbern die Mitarbeiter in vielen Bürogebäuden in eiskalter Klimaanlagenluft.

«Ich trage kurze Hosen und in meinem Büro sind es 15 Grad. Ich friere!», schreibt ein New Yorker beim Kurznachrichtendienst Twitter. Andere veröffentlichen Fotos von sich mit Handschuhen am Computer oder eingepackt in dicke Decken und Pullover bei der Arbeit. «Ich werde mir wohl warme Suppe zum Mittagessen holen müssen», schreibt eine New Yorkerin und ein anderer Twitter-Nutzer bringt es auf den Punkt: «Der Sommer ist in New York angekommen, das bedeutet, dass ich wieder einen dicken Pullover ins Büro anziehen muss.»

Die Amerikaner gelten als Klimaanlagen-verrückt und in kaum einer Stadt wird das so deutlich wie in der Millionenmetropole New York. Mehr als 500.000 Klimasysteme für ganze Gebäude und rund sechs Millionen Blockgeräte, die in Fenster eingebaut werden, seien im Großraum der Stadt in Betrieb, berichtet die «New York Times» unter Berufung auf den Energieversorger ConEd. Die Zahl steige jedes Jahr um rund sechs Prozent an. Viele Geräte werden schlecht gewartet und gelten als Bakterienschleudern. Eines der aus den Fenstern hängenden und ständig leckenden Klimamodule auf den Kopf zu bekommen, gilt unter New Yorkern als Ur-Angst.

Das Ganze ist aber vor allem auch ein Energieproblem: Rund 49 Millionen Tonnen Treibhausgase blies die Millionenmetropole 2014 in die Atmosphäre. Das sei etwa so viel wie Norwegen oder Schweden, sagt John Lee vom Nachhaltigkeitsbüro der Stadt. 73 Prozent davon stammten von der Energienutzung in den etwa eine Million Gebäuden der fünf Stadtbezirke Manhattan, Bronx, Queen, Staten Island und Brooklyn, also unter anderem Klimaanlagen.

2050 sollen es nur noch rund 11 Millionen Tonnen sein, das ist die ehrgeizige Zielvorgabe von Bürgermeister Bill de Blasio. Aber davon sei die Stadt noch weit entfernt, sagt Lee. «Ich weiß nicht, ob wir schon klug geworden sind. Immerhin sind wir weniger blöd.» Alle Gebäude der Stadtverwaltung werden inzwischen nur noch auf 25 Grad Celsius heruntergekühlt. Auch die Vereinten Nationen verkündeten für ihr Hauptquartier am East River schon vor einigen Jahren eine entsprechende Initiative.

Die Klimaanlagen-Verrücktheit der Amerikaner sei historisch gewachsen, erklärt der Wissenschaftler Stan Cox, der 2010 zu dem Thema das Buch «Losing Our Cool» veröffentlichte. Erfunden Anfang des 20. Jahrhunderts von einem US-Ingenieur namens Willis Carrier sei die Technik zunächst hauptsächlich in der Industrie benutzt worden. In den 1930er Jahren kamen Kinosäle hinzu, in den 50ern Bürogebäude.

Noch 1960 besaßen nur rund zwölf Prozent aller Haushalte in den USA Klimaanlagen und die lagen hauptsächlich im warmen Süden. Dort habe die Technik die Massenbesiedlung vielerorts überhaupt erst möglich gemacht, sagt Cox. «Ohne Klimaanlagen hätte der Süden nicht so wachsen, entwickelt und urbanisiert werden können, wie das in den vergangenen 50 Jahren geschehen ist.»

In den 70er und 80er Jahren stieg die Zahl der Haushalte mit Klimaanlagen massiv an. «Inzwischen ist der Sättigungsgrad quasi vollständig erreicht.» Auch die Bürogebäude seien in den vergangenen Jahrzehnten immer mit eingebauten Klimaanlagen errichtet worden, die Fenster lassen sich häufig nicht öffnen. «Die meisten dieser Häuser wären heute im Sommer nicht benutzbar ohne diese Anlagen und wenn man das Thermostat auf wärmer einstellt, fühlt es sich sofort stickig an.»

Das habe sich auch auf die Kultur ausgewirkt. «Arbeitgeber glauben, dass ihre Mitarbeiter effizienter arbeiten, wenn sie intensiver gekühlt werden.» Häufig leiden aber gerade Frauen unter den Bibbertemperaturen - was daran liegen könnte, dass die Einstellungen der Anlagen auf älteren Berechnungen auf Basis des männlichen Metabolismus basieren, wie niederländische Forscher im vergangenen Jahr herausfanden. Zudem gelte in den USA inzwischen: Je kälter, desto schicker, sagt Experte Cox. «Gerade im Einzelhandel und bei den Restaurants wird die Überkühlung als Zeichen von Opulenz gewertet.»

Mehr Klimaanlagen in Betrieb führten zu mehr Treibhausgasen, die wiederum zu wärmeren Sommern - und damit wiederum mehr Klimaanlagen führten, sagt Cox. «Es ist ein Teufelskreis.» Der Experte selbst lebt einen möglichen Ausweg vor. «Meine Frau und ich benutzen keine Klimaanlage. Wir halten uns mit Ventilatoren, kaltem Wasser, Schatten und grüner Vegetation vor unseren nach Süden zeigenden Fenstern kühl.

Außerdem backen und kochen wir bei heißem Wetter so wenig wie möglich und wir haben das Glück einen immer kühlen Keller zu haben.» Cox und seine Frau leben im US-Bundesstaat Kansas, wo es im Sommer bis zu 49 Grad Celsius warm wird. «Wenn wir es hier ohne Klimaanlage schaffen, sollte das doch auch im Rest des Landes möglich sein.»
dpa
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